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Berlin: Ohne Schlips, aber mit weißer Weste

Von Fetting bis Warhol: Zum zehnten Todestag Willy Brandts werden in der SPD-Zentrale über 80 Porträts des Politikers gezeigt

Die Enthüllung eines Porträts in der Ahnengalerie des Kanzleramtes ist in der Regel nichts, was die Öffentlichkeit sonderlich aufregt. Nicht so am 20. Februar 1978, als in Bonn das von Georg Meistermann geschaffene Bildnis Willy Brandts vorgestellt wurde. „Brandt in Öl und ohne Nase“ regte sich die Bild-Zeitung auf, selbst SPD-Vorstandsmitglied Hans Apel fühlte sich weniger an den großen Vorsitzenden als an Frankenstein erinnert. Andere aus der parteiübergreifenden Riege selbst ernannter Kunstkritiker vermissten eine Krawatte, was der Künstler konterte, dafür habe Brandt eine weiße Weste. Der Porträtierte selbst gab sich salomonisch: „Ein Parteivorsitzender ist nicht zuständig für das Kunstverständnis derer, die sich über Kunst äußern, schon gar nicht für das von Mitgliedern seiner Partei.“

Brandt war eine Herausforderung für jeden Porträtisten, der mehr abformen wollte als nur die Varianten der Oberfläche. Es gebe „kaum 10 Fotos von ihm, die sich gleichen“, klagte 1973 Meistermann, der sich schon einmal an diesem Modell versucht hatte und es wenige Jahre später erneut wagen sollte. Er tat dies übrigens auf Einladung Brandts – nachdem dessen Anregung, man möge den Erstling in die Galerie aufnehmen, im Kanzleramt auf keine Gegenliebe gestoßen war.

Die Charakterisierung des Porträtierten scheint zutreffend, man schlendere nur durch die dem SPD-Politiker zu dessen heutigem zehntem Todestag gewidmete Ausstellung im Willy-Brandt-Haus. Und man halte beispielsweise vor einem Ensemble von vier Porträts des Meisterfotografen der Bonner Republik, J. H. Darchinger, inne: Das ist ein und dieselbe Person? Oben links der Staatsmann vor dem Volk, darunter er allein als Lichtgestalt, vom Pathos einer Wahlrede beflügelt, wieder oben scheinbar der Urlauber, etwas nachlässig gekleidet und mit gelöstem Lächeln, eine überraschende Szene, war Brandt doch kurz zuvor als Kanzler zurückgetreten. Die vierte Aufnahme schließlich zeigt Brandt, den nachdenklichen Philosophen.

83 Werke, Fotos, Gemälde, Drucke, Skulpturen wurden zusammengetragen, entstanden in den Jahren 1963 bis 2002. Brandts Zeit als Regierender Bürgermeister von Berlin, die 1966 endete, wird nur gestreift. Reiner Fettings Skulptur aus dem Atrium des Brandt-Hauses ist in kleinerem Format zu sehen, dazu Porträts von Johannes Heisig, Andy Warhol, Ernst Volland, J. H. Darchinger oder Herlinde Koebl. Und auch die beiden Meistermanns hängen Seite an Seite. In der Kanzlergalerie hatte ohnehin schon zur Kohl-Ära ein „ähnlicher“ gemaltes Porträt von Oswald Petersen das Bild mit der weißen Weste abgelöst. Andreas Conrad

Willy-Brandt-Haus, Stresemannstraße 28. Eröffnung am 9. Oktober, 19.30 Uhr. Geöffnet bis 1. Dezember, Di. bis So., 12 – 18 Uhr

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