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Berlin: Oliver Axer (Geb. 1962)

Er sang die alten unmodernen Lieder und liebte die alten modernen Möbel

Die Stimme aus dem Off sagt: „Balkonpflanze“. Die Dauer eines Lidschlages verstreicht. Oliver Axer antwortet: „13“ – „Krawattenknoten“ – „15“ – „Blumentopfuntersetzer“ – „21“

Die Szene stammt aus dem Film „Der Stehaufmann“, den der RBB vor vier Jahren über ihn drehte. Darin erzählt er, wie er vor dem Fernseher saß und bei „Wetten dass ... ?“ diesen Mann sah, dem Worte genannt wurden, deren Buchstabenanzahl er in kürzester Zeit bestimmen sollte. Oliver spielte mit. Und war immer schneller als der Kandidat.

Die Kamera folgt ihm weiter auf eine Havelfähre, seine Freunde reichen den Passagieren Schnittchen und Wein, während Oliver singt, „Maria, Marie“, ein Liebeslied aus den Dreißigern. Jedes Jahr an einem Septemberabend bestieg er, ohne es vorher anzukündigen, gemeinsam mit Freunden, Picknickkörben und einem Abspielgerät ein Ausflugsschiff und begleitete die verblüfften Menschen mit seinem schönen Tenor von der Anlegestelle Wannsee bis nach Kladow.

Später im Film steht Oliver auf einer Brücke der Museumsinsel, erzählt weiter, von seiner Liebe zum Bauhaus, der Verbindung von Kunst und Handwerk, den von allem Historizismus befreiten Formen, ohne Schnörkel und Ornamente.

Seine ersten Bauhausmöbel sah er in Hannover während der Abiturzeit. Für eine Zeugenaussage musste er ins Polizeipräsidium, nahm dort auf einem Stahlrohrsessel Platz, der Beamte nahm aus einem Stahlrohrschrank ein Formular, welches Oliver auf einem Stahlrohrtisch unterschrieb. Nie zuvor war er von so schönen und dennoch funktionalen Möbeln umgeben. In diesem Moment, auf dem Polizeipräsidium, wusste er, solche Möbel würden eine Rolle spielen in seinem Leben.

Er bewarb sich an der Hochschule der Künste in Berlin, zunächst aber in der Sektion Gesang. Bei der Aufnahmeprüfung sagte ein Professor: „Wenn Sie sich für die Musik entscheiden, werden Sie ein ganz Großer.“ Olivers Leidenschaft für Linien und Formen, für die Verschmelzung von Kunst und Technik jedoch war stärker, er entschied sich gegen die Musik und studierte Industriedesign. In einem 1922 erbauten Siedlungshaus in Schmargendorf richtete er eine Galerie ein, in der er auch wohnte, die „Deutsche Moderne“, handelte mit Objekten aus den Jahren 1920 bis 1940, lebte mit Marcel-Breuer-Sesseln und Marcel-Breuer-Tischen, führte Interessierte durch dieses lebendige Museum, bis es doch zu eng wurde und er unter den S-Bahn-Bögen in Mitte einen Raum mietete. Er restaurierte die Möbel. Er war Mitglied des Bauhaus-Archivs. Er entwarf die Innenausstattung der Räume der Galerie „Zeitlos-Berlin“ im „Stilwerk“ an der Kantstraße.

Jedoch nicht allein die Möbel, alles aus dieser Zeit zog ihn an, die Filme, die Musik, der Schöngeist. Das alles sollte nicht verloren gehen, auch nicht die Tanzmusik der Vorkriegs- und Kriegsära, zu viel enthüllt sie über den Zeitgeist, die Modernität einerseits, die verharmlosende Fröhlichkeit, den Durchhalteschwung und das düstere Ende andererseits. Für die große Welt sei diese Musik zwar zu klein, sagte Oliver, zu groß aber, um sie zu vergessen.

Schon immer fuhren er und Susanne Benze, eine Jugendfreundin, lieber mit dem Auto durch den niedersächsischen Nebel, hörten „Wolken segeln durch die Nacht“, als in die Disco zu gehen. Später entschlossen sie sich, einen Film zu machen, den sie „Hitlers Hitparade“ nannten. 2005 bekamen sie den Grimme- Preis für die Bild- und Toncollage, die gänzlich auf Kommentare verzichtet. Fidel beginnt der Film, „Das wird ein Frühling ohne Ende“ erklingt, dazu tanzt ein Trickfilmschneemann im Sonnenschein und schmilzt langsam dahin. Gisela Schlüter und Heinz Rühmann schwatzen in „Der Gasmann“. Der Moderator einer Unterhaltungssendung sagt schnarrend das Wort „Konzertlager“. In einem Schlager wird der „Stern, der uns immer begleitet“ besungen, zu sehen sind Juden mit Davidstern am Mantelaufschlag, im Ghetto oder in langen Reihen zum Bahnhof marschierend, dann ein Werbefilm: „Millionen fahren Reichsbahn“. Das Grauen braucht keine grauenvollen Bilder. „Hitlers Hitparade“ gewann weitere Preise, kam nach New York, Moskau, Tel Aviv.

Zehn Jahre dauerte die Arbeit am Film, immer wieder unterbrochen von Operationen, Bestrahlungen, Chemotherapien. In „Der Stehaufmann“ erzählt Oliver auch vom Krebs, sagt, er habe verstanden, dass man seinem Gegner respektvoll begegnen müsse, den Feind bezwinge man nicht, wenn man schwach und schludrig gekleidet die Krankenhausflure entlangschlurft.

15 Jahre bezwang er ihn, blieb in Bewegung, arbeitete, sang, war für andere da. Selbst an Krücken gehend, half er einer alten Dame bei Glatteis über die Straße. Einen Obdachlosen lud er in ein Restaurant. Alle zwei, drei Wochen kochte er für Freunde. Am Ende eines solchen Abends im letzten Mai, fast alle Gäste waren gegangen, setzte er sich an den leer geräumten Tisch, zündete sich eine Zigarre an und sang: „Bei dir war es immer so schön“, ein Abschiedslied.

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