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Das Olympiastadion in London.

© dpa

Olympische Spiele in Berlin: London als abschreckendes Vorbild

Olympische Spiele in Berlin - eine gute Idee? Der Blick nach London, wo 2012 die Spiele stattfanden, verrät: eher nicht. Ein Gastkommentar

Gegen Olympische Spiele kann man fast nichts haben, schon gar nicht in einer weltoffenen Stadt wie Berlin: Sie wären ein großes internationales Fest, Anlass für Austausch, der weit über den Sport hinausgeht. Und wären nicht viele positive Nebeneffekte zu verbuchen? Das Thema Stadtentwicklung bekäme den so oft vermissten politischen Rückenwind, schließlich sind die Spiele aufgrund der damit verbundenen Ausstattung mit Sportstätten, dem Olympischen Dorf, Infrastrukturmaßnahmen et cetera, vor allem ein großes Städtebauprojekt. Wäre Berlin nicht "schön blöd", wenn die Stadt sich diese einmalige Chance entgehen ließe?

Zumal Berlin doch dezentrale, nachhaltige und ressourcenschonende Spiele plant, die "nicht in einem isolierten Olympiaquartier stattfinden" sollen, sondern zum Großteil in bereits bestehenden Sportstätten. Sanfte Spiele sollen es werden, die nichts mit den milliardenteuren Großevents, mit den überdimensionierten, später verfallenden Sportanlagen gemein haben, die aktuell das Bild von Olympia prägen.

Das Vermächtnis der Spiele

Nachhaltige Spiele – ein glaubwürdiges Versprechen? Hier bietet sich der Blick nach London an, weil die Olympiastadt 2012 in Bezug auf Planungskultur, Bürgerbeteiligung und Debatten um Stadtentwicklung noch eher dem Vergleich mit Berlin standhält als die nächsten Ausrichterstädte Rio (2016) oder Tokyo (2020). Zudem wurden die Londoner Spiele mit hohem Anspruch in Bezug auf ihre städtebauliche Qualität konzipiert – "Legacy", das Vermächtnis der Spiele, war hier der Schlüsselbegriff. Drei Jahre nach dem Großereignis ist es also umso spannender, zu prüfen, was von den Versprechen eingelöst wurde.

In London sollte mit Hilfe der Olympischen Spiele der seit Jahrhunderten als benachteiligt geltende und auch physisch vom Rest Londons abgeschnittene Osten der Stadt neu definiert werden – durch eine deutlich verbesserte Einbindung in das Netz des öffentlichen Nahverkehrs, einen Park mit modernen Sportstätten und Freizeitangeboten, neuen Wohnquartieren, Kultur- und Bildungseinrichtungen. Das bis dahin gewerblich genutzte und teilweise kontaminierte Gebiet wurde gereinigt und durch kleinteilige Fußgänger- und Radwegeverbindungen sowie Grünzüge mit den angrenzenden Quartieren verknüpft. Herzstück des Konzepts war der Olympische Park, in dem eine Vielzahl der Sportstätten untergebracht waren und der nach einer umfangreichen Umbauphase 2013 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde.

Der Olympische Park als wichtiges Marketing-Werkzeug widerspricht Berlins Konzept

Bei einer näheren Betrachtung dieses Parks wird deutlich, dass ein solch zentraler Ort, in dem die wichtigsten Veranstaltungsorte, aber auch alle denkbaren Infrastrukturen – Olympisches Dorf, Medienzentrum, Restaurants, Einkaufsmöglichkeiten, Trainingsstätten – konzentriert sind, der funktionale Kern der Spiele ist.

Für eine Konzentration möglichst vieler Wettkampfstätten in einem eingezäunten Gelände sprechen zunächst kommerzielle Interessen: Die Finanzierung der Spiele und des IOC beruht neben Geldern der Ausrichterstädte maßgeblich auf Sponsorengeldern. Bei den Sommerspielen in London brachten Konzerne wie McDonald's, Coca-Cola, BP und Dow Chemicals 40 Prozent der Einnahmen auf.

Cordelia Polinna, Städteplanerin.
Cordelia Polinna, Städteplanerin.

© promo

Ein wichtiger Aspekt ihrer Marketingstrategie war die Platzierung von Markenerlebnisräumen innerhalb des Olympischen Parks, in denen die Firmen den Athleten und den Besuchern ihre Produkte präsentierten. Um eine solche Strategie wirksam werden zu lassen, braucht es einen Olympischen Park, in dem die Mehrzahl der Wettkämpfe stattfindet und in dem sich die Zuschauer dem Einfluss bestimmter Sponsoren und deren Produkten nicht entziehen können. Wo sie vor, nach und zwischen den Wettkämpfen die exklusiv angebotenen Speisen im "offiziellen Restaurant der Olympischen Spiele" zu sich nehmen, die neuesten Produktinnovationen betrachten und sich anderweitigen Branding-Aktivitäten hingeben.

Auch Menschen, die keine Eintrittskarte für einen Wettkampf erworben hatten, konnten den Park für zehn Pfund (etwa 13 Euro) Eintritt besuchen. Inwieweit dieses ausgefeilte Sponsoring-Konzept mit der in Berlin verfolgten Idee dezentraler Spiele vereinbar wäre, ist fraglich. Dass die Besucher nach den Wettkämpfen in den angrenzenden Stadtquartieren einen Döner essen oder im "Olympic Campus" auf dem Tempelhofer Feld Slow Food genießen, ist nicht im Sinne der Sponsoren – und damit des IOC.

Allein die Sicherheitskosten lagen in London bei 1,3 Milliarden Euro

Die Konzentration der Wettkampfstätten in einem Olympischen Park ist aus Sicht des Veranstalters auch aus Sicherheitsgründen sinnvoll. Natürlich muss der Schutz der Olympischen Wettkämpfe höchste Priorität haben, was bei dezentralen Spielen bedeuten würde, große Teile Berlins zu einer Hochsicherheitszone zu machen. Für die Spiele in London war sowohl die Angst vor terroristischen Anschlägen als auch vor Unruhen – die London Riots im August 2011 hatten die Stadt völlig unvorbereitet getroffen – groß.

Der Olympische Park selbst wurde durch einen 5,000-Volt-Elektrozaun mit NATO-Draht gesichert. Beim Betreten des Geländes wurden die Besucher biometrischen Kontrollen unterzogen. Auch der weitere Sicherheitsaufwand in der Stadt war immens: Insgesamt waren ca. 50.000 Sicherheitskräfte im Einsatz, ein Flugzeugträger war in der Mündung der Themse stationiert und Flugabwehrraketen wurden auf den Dächern von Gebäuden im Umfeld des Olympischen Parks installiert. Drohnen kreisten über den Stadien und Eurofighter waren in Alarmbereitschaft.

Bereits vor den Spielen trug London den unrühmlichen Titel als "Hauptstadt der Kameraüberwachung". Überwachungskameras sind in der Innenstadt fast flächendeckend installiert, ausgefeilte Techniken zur Erkennung von Nummernschildern und Gesichtern wurden zu den Spielen auf den neuesten Stadt gebracht. Auch in Berlin ist zu erwarten, dass mit den Olympischen Spielen eine umfassende Überwachung öffentlicher Räume eingeführt wird, mit technischen Möglichkeiten, die sich in den nächsten Jahren noch rasant weiterentwickeln werden – denkt man etwa an die Verknüpfung der Daten der Überwachungskameras mit denen unzählige Smartphones.

Äußerst fraglich ist, ob solch kostspielige Technologie nach den Spielen wieder verschwindet. Die Sicherheitskosten der Spiele in London wurden auf 1.3 Milliarden Euro geschätzt. Müssten die über die gesamte Stadt verteilten Wettkampfstätten in Berlin nach ähnlichen Standards gesichert werden, würden die dadurch entstehenden Kosten das dezentrale Konzept erneut in Frage stellen.

Viele Neubauten wirken heute noch wie Fremdkörper

Allen Bemühungen zum Trotz, dass sich Olympia in London durch eine hohe städtebauliche Qualität auszeichnen würde, wirken der Olympische Park und viele Neubauten in der Umgebung auch heute noch wie Fremdkörper. Die Kür zum Austragungsort resultierte in einer Flut von Bauanträgen in den angrenzenden Bezirken. Damit waren die lokalen Planungsämter völlig überfordert, die Projekte wurden "durchgewunken". Resultat ist eine Ballung von wenig qualitätvollen Spekulationsobjekten – die – wie der Architekturkritiker Oliver Wainwright schreibt – heute wie Mahnmale der Olympischen Geldgier die angrenzenden Sozialwohnsiedlungen überragen. Auch auf solche Szenarien müsste die Berliner Verwaltung bei einer Bewerbung vorbereitet sein.

Die Integration des Parks in sein Umfeld ist ebenfalls fraglich. Flankiert und durchzogen wird der Park von großen Straßen – diese waren zum reibungslosen Transport von Gästen, Waren und bei Notfällen während der Spiele erforderlich, bilden heute jedoch Barrieren und degradieren Fußgänger zu Statisten. Das Einkaufszentrum Westfield stellt eine große Barriere zwischen dem Park und dem Verkehrsknotenpunkt Stratford dar. Es wurde so konzipiert, dass 70 Prozent der Besucher der Wettkämpfe vor dem Betreten des Olympiageländes zunächst durch die Mega-Mall mit Kasino, Kinocenter sowie fast 400 Geschäften und Restaurants geschleust wurden.

Auch wie der Park selbst sich präsentiert, ist ernüchternd: Trotz der umfangreichen Umbaumaßnahmen nach dem Ende der Spiele erscheinen große Bereiche noch immer überdimensioniert, was auf die gigantischen Erschließungszonen zurückzuführen ist, die notwendig waren, um mit dem Massenandrang während der Spiele umgehen zu können. Die im Park verbleibenden Sportstätten sind für sich genommen durchaus schöne Gebäudeskulpturen, doch vor allem die Erdgeschosszonen – wo die Gebäude auf die Parkbesucher treffen – sind geprägt von gesichtslosen Ladezonen, Parkplätzen und Flächen für schnelle Evakuierungen im Notfall. Auch angesichts dieser Flächen ist fraglich, ob das auf Umnutzung bestehender Sporteinrichtungen basierende Konzept Berlins machbar ist - führt man sich etwa die Situation in den dicht bebauten Stadtquartieren im Umfeld der Max-Schmeling-Halle vor Augen.

Es fällt schwer sich vorzustellen, dass aus dem Londoner Park in naher Zukunft ein attraktiver Stadtpark werden kann, der das Herz eines vielfältigen und belebten Quartiers bildet. Die wenigen Projekte, die im Umfeld des Londoner Parks realisiert wurden, um Benachteiligungen auszugleichen und städtebauliche Verknüpfungen herzustellen, wirken hier wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Das städtebauliche Erbe der Londoner Spiele zeigt, dass es trotz hoher Ansprüche kaum gelingt, Einrichtungen und Infrastrukturen für ein Großevent so zu planen, dass sie nach dem Event adaptiert und flexibel weiterentwickelt werden können. Neben vielen anderen ein weiterer Grund, den betörenden Versprechen alternativer Olympische Spiele in Berlin zu misstrauen.

Cordelia Polinna ist Partnerin des Planungsbüros Polinna Hauck Landscape + Urbanism und Mitbegründerin der Initiative "Think Berl!n". Von Oktober 2011 bis September 2013 war sie Gastprofessorin für Planungs- und Architektursoziologie an der TU Berlin, von 2012-2014 Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat für die BerlinStrategie | Stadtentwicklungskonzept Berlin 2030. Ihr Beitrag erscheint im Rahmen der Tagesspiegel-Debatte zu Olympischen Spielen in Berlin.

Cordelia Polinna

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