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An historischem Ort. Schülerinnen aus Berlin und Zgorzelec legen am Gedenkstein für die Opfer des Kriegsgefangenenlagers bei Görlitz Blumen nieder.

© Rüdiger Herde

Oranienburger Franz-Bobzien-Preis geht an Berliner Schule: In Ton gebrannte Schicksale

Mit ihrem Ziegelsteinprojekt zur Erinnerung an die Opfer eines Kriegsgefangenenlagers gewinnt die 7. Integrierte Sekundarschule aus Tempelhof den Franz-Bobzien-Preis 2014. Verliehen wurde die Auszeichnung auf einem Festakt in Oranienburg.

Von Matthias Schlegel

Die Namen der sowjetischen Kriegsgefangenen, die im Lager Stalag VIII A im sächsischen Görlitz ums Leben kamen, sind bekannt. Doch dokumentiert waren sie an diesem Ort bislang nicht. Nach und nach werden diese Opfer dem Vergessen entrissen: Auf Tonziegeln erinnern ihre Namen und ein paar biografische Angaben an das Leid und das Unrecht, das auf diesem Gelände geschah.

Mit dem Ziegelsteinprojekt haben Schüler der Jahrgangsstufe 9 der 7. Integrierten Sekundarschule (ISS) in der Tempelhofer Ringstraße gemeinsam mit gleichaltrigen Mädchen und Jungen aus Zgorzelec, dem polnischen Teil der Grenzstadt Görlitz, im Juni vergangenen Jahres Geschichte fassbar, anfassbar gemacht. Indem sie den Biografien der sowjetischen Soldaten in russischsprachigen Originaldokumenten nachforschten, die Namen in den Ton prägten, die Ziegel brannten und sie in einer feierlichen Zeremonie auf dem Lagergelände betteten, haben sie Gedenkarbeit für die Verstorbenen und, ja, Gedankenarbeit für sich selbst geleistet. Und das war für die Jungen und Mädchen aus dieser Brennpunktschule, von denen viele einen Migrationshintergrund und manche selbst Bürgerkriegserfahrungen haben, eine einprägsame Erfahrung.

Mit diesem Ziegelsteinprojekt hat die Tempelhofer Schule den Franz-Bobzien-Preis 2014, der von der Stadt Oranienburg gemeinsam mit der Gedenkstätte Sachsenhausen ausgelobt wurde, gewonnen. Die Jury würdigte den interkulturellen und aufklärerischen Ansatz des Vorhabens, mit dem Um- und Fehldeutungen der deutschen Vergangenheit vorgebeugt werden soll. Der Preis, für den der Tagesspiegel Medienpartner ist, wurde in einer feierlichen Veranstaltung am vergangenen Sonntag, dem 4. Mai, im Rahmen der Feierlichkeiten zum 69. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Sachsenhausen in der Gedenkstätte in Oranienburg überreicht.

Projektleiter Stefan Trampf von der ISS zeigte sich hocherfreut über die Würdigung. Es habe sich bei der Arbeit gezeigt, wie problembehaftet das Zusammenwirken an solch einem Projekt sei. Denn auf dem historischen Boden hätten sich für viele der Schüler ganz aktuelle Bezüge ergeben.

Mit der Auszeichnung werden jedes Jahr Projekte in Berlin und Brandenburg geehrt werden, die in besonderem Maße zur historisch-politischen Bildung und zur Stärkung der Demokratie beitragen. Insbesondere sollen Projekte gewürdigt werden, die sich mit der Aufarbeitung des Nationalsozialismus in Deutschland auseinandersetzen und sich damit für eine demokratische Gesellschaft einsetzen. Der Preis ist mit 3000 Euro dotiert.

Der Preis ist nach dem ehemaligen Sachsenhausen-Häftling Franz Bobzien benannt. Der aus Hamburg stammende Lehrer war 1938 in das Konzentrationslager eingewiesen worden und hatte dort unter ständiger Gefahr für Leib und Leben polnische Kinder und Jugendliche in Deutsch und Mathematik unterrichtet. Er half ihnen damit, den Lageralltag besser zu bewältigen und unter den widrigsten Bedingungen zu überleben.

Der zweite Preis wurde unter zwei Initiativen aufgeteilt: Zum einen ging er an das „Bündnis gegen Fremdenfeindlichkeit, Rechtsextremismus und Gewalt“ in Schwedt an der Oder. Es besteht seit elf Jahren, und die Motive, die einst zu seiner Gründung führten, haben sich noch immer nicht erledigt: „Mit Sorge sehen wir, dass rechtsextremistische Gruppen mit ihren rassistischen, fremdenfeindlichen Parolen, Aktionen und Gewalt Schwedt und der Region ihren Stempel aufzudrücken versuchen.“ In ihr Projekt „Antirassismus macht Schule“ waren von Januar bis März 2013 rund 160 Schüler der Klassenstufen 7 und 8 einbezogen. In 15 verschiedenen thematischen Werkstätten setzten sie sich unter anderem mit rassistischen Pöbeleien, Zuwanderung, jüdischen Spuren in der Stadt, dem nahen und doch so fremden Nachbarland Polen oder mit der Frage einer Mutter an ihre Tochter „Muss es denn unbedingt ein Schwarzer sein?“ auseinander.

Zum anderen wurde mit dem zweiten Preis die Veranstaltungsreihe „2013 – Zossen erinnert an 1933 und die Folgen“ gewürdigt. Sie wurde initiiert vom Kirchenkreis Zossen-Fläming, der Stadt Zossen und dem Bürgerschaft/BAZ e.V.. Die Reihe umfasste rund 30 Ausstellungen, Lesungen, Theatervorstellungen oder Podiumsdiskussionen, in denen professionell-historisch oder kreativ-künstlerisch die Ereignisse des Jahres 1933 und der folgenden Jahre des Nationalsozialismus widergespiegelt und aufgearbeitet wurden.

Den dritten Preis gewann die Initiative „Willkommen in Oberhavel“ aus dem gleichnamigen Landkreis. Er ist der einzige im Land Brandenburg und gehört zu den wenigen in Deutschland, die Asylbewerbern noch immer größtenteils Gutscheine statt Sozialleistungen in bar auszahlen. Die Initiative mache „die Willkommenskultur zur Bürgersache. Wir tauschen selbst Gutscheine in Bargeld um“, begründet die Initiative ihr Engagement. Zwischen 50 und 100 Personen sind derzeit regelmäßig an der Aktion beteiligt. Mit den Gutscheinen, die sie gegen ihr Bargeld eintauschen, machen sie in den dafür benannten „Akzeptanzstellen“ – Supermärkten und Dienstleistungseinrichtungen – dann jene Erfahrungen, die für Asylbewerber alltäglich und nicht selten ernüchternd, oft diskriminierend sind.

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