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Berlin: Oranienburger wird zur Geschäftsstraße In der Spandauer Vorstadt

Die Apotheke wirkt deplatziert. Sie passt nicht in diese Gegend.

Die Apotheke wirkt deplatziert. Sie passt nicht in diese Gegend. Nicht mehr. Geradezu absonderlich aber erscheint der SanAktiv-Laden in der Rosenthaler Straße. Inmitten teurer Schuhläden, schicker Straßencafes und minimalistischer Designerläden werden hier Gehhilfen, Rollstühle und orthopädische Schuheinlagen an den Mann gebracht. Oder vielmehr wurden. Den Laden gibt’s nicht mehr. Vor einigen Wochen ist er woanders hingezogen. „Das Haus wird saniert“, sagt Wolfgang Löffler, der einen Eingang weiter einen Obst- und Gemüseladen betreibt, seit 1979. Wie lange er noch bleibt, weiß er nicht. „Neuerdings muss ich meinen Mietvertrag jährlich verlängern. Wenn die mich hier raus haben wollen, hab ich keine Chance."

In der Spandauer Vorstadt gibt es praktisch kein Kiezleben mehr. Fleischer, Schneidereien und Bäckereien haben schon vor Jahren aufgegeben. Dafür reiht sich Galerie an Galerie, dazwischen Cafés und Bekleidungsläden. Doch auch denen geht es nicht mehr so blendend. „Noch vor einem Jahr haben wir doppelt so viel verkauft wie heute“, sagt Joree Pampasa, Verkäufer im Schuhladen Riccardo Cartillone.

Auch die Verkäuferin im „in situ“ einige Häuser weiter klagt. Die Touristen fehlen. Überhaupt habe sich die Gegend verändert. Die großen Ketten kommen. Sisley hat eine Filiale eröffnet, H&M wird bald einige Häuser weiter einziehen. Die „O-Burger“ ist eine Geschäftsstraße geworden – wie der Ku’damm oder die Steglitzer Schlossstraße. Nur, dass es hier eben andere Geschäfte gibt.

Das Geschäft „in situ“ zieht um in die Große Hamburger Straße. Bei 1400 Euro liegt die Miete dort, für mehr Quadratmeter, Küche und Bad. 4000 Euro Miete wolle der Vermieter nach der geplanten Sanierung des Hauses in der Oranienburger Straße haben. „Es ist leerer geworden im Geschäft“, findet auch Brigitte Jägers, Verkäuferin in der Boutique Vordenhöfen. „Die Leute achten mehr auf ihr Geld.“ Ende August schließt auch dieses Geschäft. Für einige Wochen. „Wir werden unser Angebot umstrukturieren.“ Andere Firmen sollen rein und mehr Accessoires. Kleinere Dinge kaufen die Leute öfter mal, da ist die Hemmschwelle nicht so groß.

„Um hier überleben zu können, muss man eben wissen, was im Kiez fehlt“, sagt Andreas Kannich, Lebensmittelhändler am Koppenplatz, wenige Meter von der Oranienburger Straße entfernt. Gerade putzt er eine Eismaschine. Softeis. Mehr will der Kiez nicht. Das verrät sein Laden. In den leeren Kühlregale verlieren sich ein Stück Butter und eine Packung Käse. Die Farbstoffe in den Obstsäften im Regal haben sich längst am Flaschenboden abgesetzt. Warum die Geschäfte momentan nicht so recht laufen, dafür hat Kannich seine eigene Erklärung. „Hier wohnen doch nur noch Geschäftsleute und Bonner. Die halten nach der Arbeit beim KaDeWe, dann kommen sie her, fahren ihr Auto in die Tiefgarage und nehmen den Fahrstuhl bis zur Wohnungstür“, glaubt er. In seinen Laden jedenfalls kommen sie nicht. Und in die anderen möglicherweise auch nicht.

Nur die Apotheke macht sich keine Sorgen. „Die Angestellten aus den Läden ringsum geben ihre Rezepte ab, genau wie die Leute die hier wohnen, viele Bonner“, sagt die Inhaberin. Die Apotheke gibt es seit 1756 an dieser Stelle. Sie wird auch diese Phase überleben. akl

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