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Nicht jede Schulband wird so erfolgreich wie Mia. – das sind (v. li.) Andy Penn, Gunnar Spies, Mieze Katz und Bob Schütze.

© Anna K.O./promo

Orte in der Hauptstadt: Berlin aus Mias Augen

Die Band Mia gibt es seit 20 Jahren – Sängerin Mieze Katz nimmt uns mit auf eine Zeitreise durch ihr Berlin.

„Es gibt eigentlich keinen Bezirk, in dem wir nicht ein Abenteuer erlebt haben“, sagt Mieze Katz, Sängerin der Ur-Berliner Electropop-Band Mia. Am morgigen Sonnabend spielen sie im Rahmen der Jubiläumstour „Nie wieder 20“ ein Open-Air-Konzert in der Arena der Gärten der Welt. Vorher erzählt Mieze von den Orten, an denen Bandgeschichte geschrieben wurde.

John-Lennon-Gymnasium, Mitte

Ich bin in der Abiturstufe auf die Schule gekommen und habe hier Andy, unseren Gitarristen, kennengelernt. Irokese, Parka, Gitarre auf dem Rücken – er war die coole Socke, die ich noch werden wollte. Ich kam aus der Klassik, war im Chor, hatte eine klassische Gesangsausbildung. Privat habe ich aber ganz andere Musik gehört und mit Andy jemanden getroffen, der sein Lebensgefühl vertont, das hat mir imponiert.

Ich bin dann in eine ganz neue Welt eingetaucht, die Menschen, die mir bis heute am nächsten stehen, kenne ich aus dieser Zeit. In unserem Jahrgang gab es viele Bands, die Schule hat das auch gefördert. Und so hatten wir 1997 in der Turnhalle unseren ersten Auftritt. Alle anderen Schulbands – älter und wahnsinnig cool – waren auch da. Wir waren so aufgeregt.

Bibo Bar, Prenzlauer Berg

Die gibt es leider nicht mehr, befand sich in der Lychener Straße, nahe dem U-Bahnhof Eberswalder Straße. Damals, so 1998, wurden wir noch mit Freigetränken bezahlt, das fanden wir okay. Wir hatten schon an allen Bandwettbewerben teilgenommen, in jedem Jugendclub bestimmt zweimal gespielt.

Jetzt also die Bibo Bar, schön schummerig, alte Polstermöbel, ausrangierte Lampen. Da sind wir selbst gern hingegangen, oft haben Bands gespielt. Wir haben damals viel gejammt, jedes Lied dauerte mindestens zehn Minuten. Darum haben wir in der Bibo Bar nur ein paar Lieder gespielt.

Alle Freunde waren da und zwei Leute vom Label R.O.T., die ich eingeladen hatte. Dürft ihr nicht verpassen, hab ich denen todesmutig gesagt, das ist der heiße Scheiß! Die haben uns dort quasi entdeckt und dann haben wir 18 Jahre gemeinsam gearbeitet. Nach dem Gig in der Bibo Bar stand das Team um Mia, die Arbeit an der ersten Platte begann.

Knaack-Klub, Prenzlauer Berg

Wir hatten mit unserem Produzenten vom Label R.O.T. angefangen, Musik aufzunehmen. Den ersten Track haben wir 1999 bei Ellen Alliens Label BPitch Control veröffentlicht, bald darauf ein Konzert im Knaack-Klub – ein Meilenstein: Ausverkaufter Laden und irgendwo im Publikum Leute einer großen Plattenfirma. Wir wussten das, waren total überdreht und haben zum ersten und letzten Mal vor einem Konzert einen Beruhigungsschnaps getrunken.

Zehn Sekunden später bin ich unglücklich über einen Stuhl gefallen, habe mir mein Knie verrenkt, geblutet hat’s auch. Ach du Kacke, dachte ich. Eigentlich ein Fall fürs Krankenhaus. Aber: Adrenalin macht alles möglich. Ich wusste, das ist ein lebensverändernder Moment, den wollte ich nicht verpassen. Wir haben das Konzert also gespielt und den Major-Plattendeal bekommen. So konnten wir 2002 unser erstes Album „Hieb und Stichfest“ veröffentlichen, 2004 dann „Stille Post“.

Proberaum, Pankow

Der schönste Proberaum der Welt: Im Hof einer ehemaligen Bibliothek, Mühlenstraße, gleich neben der Aral-Tankstelle. Ab 2002 haben wir hier vier Jahre lang Musik gemacht. Das Beste an dem Raum war, dass es Tageslicht gab, vorher probten wir ja nur in Kellerräumen. Hier entstand „Hungriges Herz“: Ich sammelte schon damals alles, was mich beschäftigt, in einer Mappe. Irgendwann war da ein Flyer für eine Schwulen- und Lesbenparty drin, „Hungrige Herzen“ hieß die.

Ich fand den Titel toll und das Foto von den tanzenden Menschen. Auf dem Rand habe ich die erste Strophenzeile notiert, „Dein zuckersüßer, roter Mund“, und weiter an diesem Text getüftelt, wo es darum geht zu halten, wegzustoßen – dieses bittersüße Spiel eben. Das habe ich den Jungs im Proberaum gezeigt, unser Schlagzeuger Gunnar hatte eine passende Musikskizze. Die Refrainzeile hieß zunächst: „Dein hungriges Herz ist mein Spezialgebiet.“

„Geht gar nicht“, haben die anderen gesagt und sind erstmal rüber zur Tankstelle, was essen. Als sie wiederkamen, hatte ich eine neue Zeile: „Mein hungriges Herz durchfährt ein bittersüßer Schmerz. Sag mir, wie weit, wie weit, wie weit, wie weit wirst du gehen?“

Areana, Treptow

Hier standen wir 2004 auf der Bühne zum Vorentscheid des Eurovision Song Contest, das war der bis dahin größte Auftritt für uns, zum ersten Mal im Fernsehen. Da gab es Fanblöcke, Interviews, Kameras ohne Ende. Das war unser Schritt aus dem Underground in den Mainstream – fanden nicht alle aus der Band sofort toll.

Ich mochte diesen Zirkus: Es war ja ein umstrittener Contest, weil alles ganz neu gemacht wurde. Auf einmal waren coole Künstler wie Westbam dabei. Wir sind mit „Hungriges Herz“ angetreten, nicht ins Finale gekommen, sondern Max Mutzke, aber das war völlig in Ordnung. Wenn wir heute den Song spielen, muss ich immer noch an diesen aufregenden Moment in der Arena denken.

Weekend Club, Alexanderplatz

Elektronische Musik war immer eine große Inspirationsquelle für uns. Darum waren auch mehrere Clubs für uns wichtig, das WMF etwa, das Linientreu oder die Garage. Wir waren viel feiern, Drum and Bass, Jungle, Techno, House, Happy House. Wenn ich mich für einen Club entscheiden muss, dann ist es das Weekend, vormals F.U.N., mit seiner Terrasse schräg gegenüber dem Park Inn Hotel am Alex.

Einmal bin ich mit unserem Produzenten Nhoah im Auto hingefahren, auf dem Weg spielte er mir Musik vor, eine ziemlich elektronische Skizze und dann gab es da diese Chöre: Uh huh huh, uh huh huuuh, uh huh huuuh. Wir sitzen also im Auto, starten in die Nacht, die Lichter fliegen vorbei, ein Song wird geboren. „Tanz der Moleküle“ steht für dieses Lebensgefühl, das ich mit Berliner Clubs verbinde.

Der Song erzählt ja auch davon, wie man sich in so einem Moment trifft, und eigentlich könnte man von allem naschen, aber manchmal gibt es doch diese Verbindlichkeit: „Du bist mutig, dass du mir Treue schwörst, zwischen all den schönen Souvenirs.“

Artistenschule Contraire, Köpenick

Während der Arbeit an unserer ersten Konzeptplatte „Zirkus“, haben wir überlegt, was man auf der Bühne machen kann und gesagt: Geil, Trapez! Als ich im Februar 2006 in diese Artistenschule kam, konnte ich nicht mal einen Liegestütz und habe gesagt: Ich würde das gern bis zur Tour im Dezember drauf haben. Die Trainerin, Jutta Schönherz, hat gesagt: Mit deinem Biss schaffen wir das. Und das haben wir, obwohl das Training wirklich hart war. Am Ende hatte ich ein neues Körpergefühl, ich konnte mich ohne Sicherung oben auf dem Trapez halten, nur der Rücken berührte die schmale Stange. Ich bin der Artistenschule Contraire bis heute verbunden, vor ein paar Wochen habe ich eine ihrer Shows im Wintergarten moderiert.

Tacheles und Regierungsviertel

Während der Arbeit am Album „Tacheles“ (2012), habe ich gegenüber vom Kunsthaus Tacheles gewohnt. Wir haben dort noch ein Fotoshooting gemacht und kurz darauf wurde es geschlossen. Einer meiner Lieblingsorte in dieser Zeit war das Regierungsviertel, dort saß ich und habe an Texten geschrieben. Warum? Weil es so anders war als Mitte rund ums Tacheles. Abgeschottete Betonwüste gegen rustikales Künstlerleben. Von diesem Spagat ist „Tacheles“ inspiriert.

Raabestraße, Prenzlauer Berg

Daran erinnert sich unser Schlagzeuger Gunnar genau: Er war bei Freunden in der Raabestraße, ich habe ihn angerufen: „Gunnar, kannst du irgendwo hingehen, wo du Ruhe hast? Ich muss dir einen Text vorlesen.“ Also ist er auf den Balkon gegangen, die Sonne schien und das passte gut dazu: „Weil ich so gerne fliege ohne Fallschirm…“ Der Song ist auch auf dem Album „Tacheles“ gelandet.

Bravo Bar, Mitte

Eines meiner Lieblingsvideos haben wir im April 2015 dort in der Torstraße gedreht, nämlich das zu meiner persönlichen Mia.-Hymne „Biste Mode“. Viele sagen, dass unsere Musik sie durch schwierige Zeit gebracht hat. Dieser Song sagt: „Doch zu mir kannste immer wieder kommen.“ Zum Dreh hatten wir unsere Freunde eingeladen, es gab Freigetränke, ich war die Barfrau. Ein toller Tag.

Marzahn

Meine Mutter hat Anfang der 90er Jahre in Marzahn als Kindergärtnerin gearbeitet. Ich war als Kind häufiger da, um sie abzuholen. Darum habe ich ganz merkwürdig-emotionale Erinnerungen an Marzahn. Und als Band sind wir einmal im Springpfuhlhaus aufgetreten, in unseren Anfangsjahren.

Damals fiel mir wieder ein, wie ich früher daran vorbeigegangen war, auf dem Weg zu meiner Mutter, und wie ich dachte: Hier sind die Großen unterwegs, hier geht’s ab. Dass wir dann da gespielt haben, fand ich verrückt. Da schloss sich so ein kleiner Kreis, der wohl nur mir etwas bedeutet hat.

Konzert in den Gärten der Welt, Sonnabend, 14. Juli, 18.30 Uhr. Tickets ab 26 Euro (inkl. Parkeintritt) unter gruen-berlin.de.

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