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Berlin: Ost- und Westblicke

Wer ist von hüben und wer von drüben? In der Ausstellung „Kunst in der DDR“ stellt sich das schnell heraus. Die einen freuen sich übers Wiedersehen, die anderen vermissen Bilder mit hübschen Pionierleiterinnen

Die beiden sehen das ganz pragmatisch: „Heute ist es nicht so heiß, und um diese Zeit ist es noch nicht so voll – also auf ins Kulturforum.“ Sigrid und Dietrich Schade kommen schweigend und nachdenklich aus der „Kunst in der DDR“-Ausstellung. Sie empfanden die Bilderschau überraschend in ihrer Vielfalt, „vieles ist uns von den Dresdner Kunstausstellungen bekannt – wer sich damals in der DDR für die Bildende Kunst interessierte, wird jetzt so etwas wie Wiedersehensfreude empfinden.“ Und außerdem: „Dass uns gleich am Eingang in der oberen Halle Heinrich Heine begrüßt, stimmt einen froh – übrigens haben wir nun drei Heines von Waldemar Grzimek in Berlin: am Weinbergweg, hinter der Neuen Wache und nun hier in der Neuen Nationalgalerie.“ Nur den Womacka, den haben die Schades vermisst: „Man hatte sicher die Qual der Wahl, aber muss sich der Veranstalter zum Richter über DDR-Kunst und -Künstler aufspielen? Ohne Womackas Bilder, auch im öffentlichen Raum, ist die Kunst der DDR einfach nicht vollständig.“ Walter Womacka war einer der meistbeschäftigten Maler des Landes, eine Ausstellung über die offizielle Staatskunst käme in der Tat kaum ohne ihn aus.

Das bewusste Weglassen von „Staatskunst“ oder wenigstens Staatsnähe mit Pinsel und Staffelei führt kurioserweise dazu, dass viele Besucher, vor allem aus dem Westen, die Schau „etwas düster“ finden – einem Berliner Psychologen fehlen quasi das Lachen der Bauarbeiter und die hübschen Pionierleiterinnen. Überhaupt, in der DDR war die Malerei wohl ein unglaublich wichtiger Akt, in den viel hineininterpretiert wurde, während man im Westen zwar freier malen konnte, aber nicht so furchtbar ernst genommen wurde. Manche Bilder fand der Berliner „richtig nett“, manche eher keck, wie die Abrechnung des in den Heizungskeller von Burg Giebichenstein verbannten Hallenser Malers Albert Ebert. Der ließ keinen Geringeren als Walter Ulbricht in einem Feuerloch schmoren – „Heizers Geburtstagsständchen“ von 1956. Auf Reproduktionen des Bildes war der bärtige Kulturstalinist wegretuschiert.

Das sind Geschichten, die man im Katalog findet – mancher möchte so was zu den Bildern lesen. Eine Berufsschullehrerin aus Frankfurt (Main) erkennt „etwas Arbeiter- und Bauernstaat in den Gesichtern und kein Kinderlachen“. Vieles sei verdammt resignativ, bei manchen Malern habe man das Gefühl, dass sie ständig ihre traurigen Gefühle porträtierten. Nathalie und Tim aus Wien finden es „aufregend und interessant“, denn „das Westliche kennen wir zur Genüge, nun möchten wir mal sehen, wie die Kunst der DDR so war“. Und wie war sie? Menschlich und nicht so schwer verständlich.

Vor einem sehr wichtigen, viel diskutierten DDR-Bild kann man erkennen, woher das Publikum kommt. Wer im Westen groß geworden ist, geht zumeist achtlos vorbei – der Ostmensch bleibt stehen, erinnert sich an die Diskussionen um „Die Ausgezeichnete“ von Wolfgang Mattheuer. 1974 malte der Star der „Leipziger Schule“ eine müde, grauhaarige Frau, vor der vier Tulpen auf leerem Tischtuch liegen. Viel war von Frauenförderung die Rede damals, von Gleichberechtigung. Aber die Kinder, wer kümmerte sich um die? Und die Männer? Und die Wohnung? Mattheuers Bild gibt die Antwort mit den mickrigen Tulpen, die er ursprünglich noch in Zellophanpapier malen wollte.

Hier kommen West und Ost ins Gespräch. Renate Löschner, Kunsthistorikerin aus West-Berlin, findet das Mattheuer-Bild sehr emotional und die Frau regelrecht depressiv, als würde sie eine Geste der Dankbarkeit erwarten. „Erst dachte ich, die sei gestorben“, sagt Ute-Kerstin Gerjets aus Bremen, „aber vielleicht genießt sie ihre Ehrung nur ganz für sich allein.“ Ein Mann kommt hinzu, Reinhard Schicke, und erzählt, dass sich in seiner Kneipe in Mitte immer die Dissidenten-Maler trafen, er kennt sich aus: „Also, dieses Bild war ganz wichtig, die Frau sitzt allein, obwohl sie ein Vorbild ist. Da liegt doch Bedeutung drin. Bescheidenheit? Einsamkeit! Wo ist überhaupt das Kollektiv?“ Und die Hände unterm Tisch? Zu abgearbeitet. Hier erklärt der Ostler dem Westler die Welt. . .

Im Gästebuch finden die meisten die Ausstellung erfreulich. Aber es gibt auch Fragen: „Wo sind denn Hegewald, Baselitz und Sonntag?“ „Weshalb so viel Metzkes?“ Trotz „aller Mängel, tendenziöser Sichtweisen und Befangenheit“ hält ein Besucher die Schau für einen gelungenen Versuch, DDR-Kunst einen Platz in der gesamtdeutschen Geschichte einzuräumen. Über das „Best of DDR“ könne man dabei natürlich streiten.

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