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Berlin: Osthafen: Ein Stück Hamburg

"Dieser Blick!" In 46 Metern Höhe gerät Reinhard Müller ins Schwärmen.

"Dieser Blick!" In 46 Metern Höhe gerät Reinhard Müller ins Schwärmen. Schräg unter sich sieht er die Oberbaumbrücke, über die gerade eine U-Bahn huscht, gegenüber in Kreuzberg einen alten Speicher, weiter hinten das Allianz-Hochhaus in Treptow, hinter sich die Oberbaum-City und unten auf der Spree das Fahrgastschiff "Elfe" mit vielen Leuten, die rundum fotografieren. Der Fluss ist zu schmecken, der frische Wind riecht fast nach Meer - und überhaupt: Es könnte hier ein Stück Hamburger Hafen sein. Aber es ist der Osthafen in Friedrichshain, und Reinhard Müller steht auf dem Dach des alten Eier-Kühlhauses, das er als Projektentwickler und Architekt für den Noch-Hamburger Musik-Produktionsgiganten Universal zur neuen Unternehenszentrale umbaut.

Reinhard Müller, Geschäftsführer der Firma IVG/Wert-Konzept, mag sich vom Blick nach unten gar nicht trennen. Auch Gottfried Kupsch schaut oft von hier oben auf die Stadt. Er vermarktete das einstige Kühlhaus, und er sucht Gewerbemieter für den angrenzenden, gerade fertig umgebauten Getreidespeicher, der zur Hälfte vergeben ist und in dem seit Anfang des Jahres auch die Ausstellung "Berlin Stadtmodelle" gezeigt wird. Rund 180 Millionen Mark kostet der Umbau beider Gebäude, die zusammen als "Spreespeicher" firmieren. Nach der Universal-Entscheidung - die Produktionsfirma will spätestens ab Juli 2002 hier produzieren - sollen auch andere Firmen der Hansestadt interessiert sein. Kupsch erwartet sogar einen "Riesenrutsch aus Hamburg nach Berlin".

Es ist ein Blick, der Höhenrausch aufkommen lässt; ein Blick auch, der zeigt, wie aufregend eine Stadt am Fluss sein kann. Vielleicht war es sogar die leicht hanseatische Atmosphäre, die zur Universal-Entscheidung beigetragen hatte. Unten, an der Stralauer Allee, steht auf einem Schild "Hafengebiet", und eine Hafenkantine macht auf sich aufmerksam, es gibt Kräne und eine Kaimauer, Baustoffe werden hergestellt - nur richtige Pötte, die Getreide oder auch Eier entladen, gibt es längst nicht mehr.

Bis zu 65 Millionen Eier lagerten einst im Kühlhaus, das die Leipziger Kühltransit 1929 im Bauhaus-Stil errichten ließ. Müller begann Anfang letzten Jahres in Abstimmung mit dem Denkmalschutz mit dem Umbau. Das fast fensterlose Kühlhaus mit seinem markanten Fassadenmuster erhielt wieder seine historische Steinfassade, wurde zur Uferseite im Mittelteil aber radikal geöffnet, um Glasflächen von der Decke bis zum Fußboden zu ermöglichen. Fertig wird das Gebäude Anfang nächsten Jahres sein.

Der benachbarte Getreidespeicher war schon 1913 entstanden, von einem Architekten entworfen, der auch im Stettiner Hafen baute. Dem Architekten von heute ging es darum, "Wunden zu zeigen", vor allem an der Fassade des alten Speichers, der in seiner Geschichte mehr durchzustehen hatte. Das Bauwerk, im Krieg zerstört, wurde auf einer Seite wieder aufgestockt, erhielt zusätzliche Treppenhäuser und Aufzüge für die "Office-Lofts". Alte Seilwinden blieben erhalten, rohes Mauerwerk schafft Kontraste zu moderner Büroausstatttung. Ehemalige Putzflächen an den Seiten des Hauses wurden durch große Fenster ersetzt, die das Haus heller machen. Ein Möbelhersteller, eine Unternehmensberatung, ein Software-Entwickler, ein Call-Center haben sich angesiedelt; außerdem ist ein "vielseitiges Gastronomiekonzept" geplant, zu dem das Café Einstein gehören soll.

"Endlich ist es soweit, nach New York und London - den Lieblingsmetropolen der Ausgeflippten, Beseelten und Kulturbeflissenen, hat nun auch Berlin seine Docklands", schwärmt eine Werbebroschüre. Die Oberbaum-City mit ihrer Kreativ-Szene wird als Pionier und Ansporn gesehen, die "Faszination historischer Gebäude und des Wassers" gerühmt, der günsige S- und U-Bahnanschluss hervorgehoben.

Oben auf dem Dach des alten Kühl- und künftigen Universal-Hauses, sieht Architekt Müller allerdings auch auf einen wunden Punkt im Stadtbild; die große Baulücke, gegenüber in Kreuzberg, neben der verblichenen Fassade der "Königstädtischen Dampf-Wasch-Anstalt". Hier sollte einmal an der Cuvrystraße das Cuvry-Center entstehen, ein Einzelhandelszentrum. Die Planung war von Anfang an umstritten.

Jetzt will die IVG/Wertkonzept ein Projekt entwickeln, dass sich am anderen Ufer orientiert, dem Aussehen und der Nutzung der Spreespeicher nacheifert und mit Klinkersteinen an die alten Bebauung des Osthafens erinnert: die "Cuvry-Höfe". Und Müller sieht im Geiste schon Spree-Taxis von einem zum anderen Ufer gondeln.

Christian van Lessen

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