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Berlin: Otto Leiser (Geb. 1932)

Nach seiner Pensionierung predigte, tröstete und beerdigte er weiter

Als der Trauerzug sich von der Dorfkirche zum Friedhof bewegte, ruhte der Verkehr. Otto Leiser hätte das gemocht, nicht weil er sich und seine Beerdigung besonders wichtig genommen, sondern weil ihm gefallen hätte, dass seine Kirche in ihren Ritualen sichtbar wird und ein wenig Sand ins alltägliche Getriebe wirft. Denn er besaß einen gediegenen, bisweilen anarchischen Humor, nicht unbedingt typisch für einen protestantischen Pfarrer.

Er war hineingeboren worden in die Nazizeit in Naumburg, gerade noch jung genug, um dem Krieg zu entgehen, aber nicht der Indoktrination auf einer „Nationalpolitischen Erziehungsanstalt“. Doch selbst dort gab es Inseln des Geistes. Und als die Nazis vertrieben waren und die Namen ihrer Gegner bekannt wurden, stieß Otto Leiser auf das Vermächtnis Dietrich Bonhoeffers, der ihm ein Vorbild wurde bis zuletzt.

Leben wie diese werden heute nicht mehr hergestellt: Kontinuität im beruflichen wie privaten Leben, Beständigkeit, sachte Wechsel, der Beruf als Berufung bis ins hohe Alter. Leiser studierte Theologie in Berlin, beschaffte sich Geld für den Lebensunterhalt auf dem Bau, breitschultrig genug war er, ackerte mit am Aufbau der Stalinallee. Ein Weggefährte erinnert sich: „Otto war derjenige von uns, der am leichtesten auf Arbeiter zugehen konnte, der ihre Sprache sprach.“

Dann begann er die klassische Pfarrerslaufbahn als Vikar an der Schöneberger Gemeinde zum Heilsbronnen, wo sein Jugendfreund Edmund van Kann schon als Hilfsprediger tätig war. 1963 wurde er selbst Pfarrer in der Lankwitzer Dreifaltigkeitsgemeinde, die er 16 Jahre lang durch eine aufgeregte Zeit hindurch prägte. Ein Achtundsechziger war er nicht, löste sich aber doch rasch von den Positionen, die den Heilsbronnen unter dem Superintendenten Reinhold George zu einem erzkonservativen Bollwerk hatten erstarren lassen. Er studierte zur Weiterbildung an der sehr linken Pädagogischen Hochschule, blieb aber ausgleichend inmitten der Stürme, die die Kirche durchschüttelten, immer ansprechbar und heiter, resolut, wenn nötig, aber eben auch nur dann. Dazu Genuss mit Maß: Eine gute Flasche Wein oder auch mehrere im Lankwitzer Garten mit Freunden, innere Ruhe beim Angeln, Urlaub in Dänemark, natürlich mit Christa, der Cousine eines Mitstudenten, die er seit 1952 kannte, und mit den beiden Kindern.

Mit dem Alter eines Pfarrers wandeln sich seine Arbeitsbereiche. Erst die Konfirmanden- und Jugendarbeit, dann die Älteren, die Bibelkreise, auch die Beerdigungen. Die Hinterbliebenen konnten sich kaum Besseres wünschen, als von Otto Leiser besucht zu werden, der es nie an Anteilnahme fehlen ließ, aber in seiner heiter-herzlichen Art auch neue Perspektiven zu öffnen vermochte. Nach 16 Jahren war es genug damit, Leiser zog ins hessische Treysa, um dort mit Behinderten zu arbeiten; die Brücke nach Lankwitz blieb bestehen. Dann wieder Berlin, die Beschäftigung mit Schwerhörigen an der Lukas-Gemeinde in der Bernburger Straße.

Das Haus in Falkensee wurde nach seiner Pensionierung zum Mittelpunkt des letzten Lebensabschnitts: Er entdeckte das Kochen, beackerte den Garten und setzte Likörchen aus dem eigenen Obst an. Doch er konnte auch von seinem Beruf nicht lassen, betreute eine verwaiste Pfarrstelle, predigte, tröstete, beerdigte. Und blieb weiter ansprechbar: „Wenn ich mal mehrere schwierige Todesfälle hatte“, erinnert sich die junge Pfarrerin, die heute in Falkensee arbeitet, „dann nahm er mir die schwersten ab, nicht um zu zeigen, dass er es besser konnte, sondern aus Anteilnahme und Hilfsbereitschaft“.

2007 kam der Krebs, doch das Leben lief weiter wie bisher, er kochte für Familie und Freunde, auch wenn er selbst manchmal kaum essen konnte. Die Krankheit trat für Jahre in den Hintergrund, verlief ohne große Schmerzen, und dann war es plötzlich und ganz schnell vorbei.

Zum Abschied kam der große Prediger Edmund van Kann und hielt von der Kanzel eine anrührend persönliche Rückschau. So soll ein Menschenleben zu Ende gehen.

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