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Berlin: Pablo von Lichtenberg

Mit 24 war er ein erfolgreicher Banker und Yuppie. Mit 26 hatte er einen Schlaganfall. Paul Reese krempelte sein Leben um. Heute betreibt er eine Galerie im Ostteil der Stadt.

„Entdecke die Unentdeckten", sagt Paul Reese und zeigt auf die Ölbilder einer jungen Malerin, die zur Zeit in seiner Galerie zu sehen sind. Der 43-Jährige ist Besitzer der Friedrichshainer „Gallery twenty-four". Hier stellen Künstler aus, die noch keine lange Ausstellungsliste in ihrem Lebenslauf vorweisen können. Die eher schlecht als recht von ihrer Kunst leben können.

Die Nachfrage ist offenbar groß: Als der Amerikaner im Oktober 2001 seine Galerie am Traveplatz im Internet vorstellte, erhielt er in den nächsten 72 Stunden Nachfragen von rund 650 Künstlern aus 27 Ländern. Der 43-Jährige nennt sich selbst einen Autodidakten, der bis zu seinem 24. Geburtstag nie eine Galerie oder ein Museum betreten hatte.

Pablito nannten ihn seine spanischen Nachbarn in Miami. „Bitte einfach nur Pablo“, bat sich Reese schließlich aus, als er die Highschool beendet hatte und Banker werden wollte. Mit 24 hatte er eine Bilderbuchkarriere hinter sich: Er war der jüngste Filialleiter einer großen US-Bank. Da lernte der typische Vertreter der Yuppiegeneration der 80er Jahre seinen Freund und Mentor John A. Watson kennen. Der war Praktikant bei Pop-Art-Künstler Robert Rauschenberg und inspirierte Reese zu ersten künstlerischen Arbeiten mit Alltagsgegenständen. Wie beispielsweise die bunten Bilder, die im Atelier hängen und von Reese „works in red and black“ genannt werden. Auf einem sind unter anderem mehrere rote Scharniere und drei kleine alufarbene Fliesen zu sehen. „Die sind aus meinem Bad in Miami“, erklärt der Künstler.

Als 26-Jähriger erlitt der Banker durch einen zunächst harmlos anmutenden Sportunfall einen Schlaganfall und fiel ins Koma. Erst nach Tagen wachte er wieder auf. „Da merkte ich, dass das Leben sehr kurz sein kann", sagt Reese. Er packte seine Sachen und reiste zunächst durch Europa und Mittelamerika, lernte Spanisch und Französisch und unterrichtete später an der Highschool in Miami Sprachen.

1987 war er mit seinem Lebensgefährten Watson das erste Mal in West-Berlin. Sie fuhren für ein paar Stunden in den Ostteil der Stadt. Reese war verwirrt. Besonders darüber, dass in einem kommunistischen Land Kinder ein Fahrrad besitzen und Jugendliche Jeanshosen tragen. Dass er, nur sechs Jahre später, in diese Stadt ziehen sollte – unvorstellbar. 1991 starb sein Freund Watson in Miami an Aids. Reese lief ziellos durch South Beach. Wie aus dem Nichts tauchte ein Stadtstreicher auf und sprach ihn plötzlich an: „Na, was machst du jetzt mit deinem Leben?". Der 32-Jährige entschied sich für die Kunst.

Zwei Jahre später lud ihn eine Künstlerfreundin zu ihrer Ausstellung nach Berlin. Reese blieb. „Das Wetter war es nicht, was mich hier hielt", sagt er lächelnd. Vielmehr der Kontrast zu Miami. Auf der einen Seite die sonnige Stadt in Florida, wo der Rasen millimetergenau geschnitten und alles hell und perfekt ist. Auf der anderen Seite das dunkle und schmutzige Ost-Berlin Anfang der 90er mit den Clubs in den Hinterhöfen.

In Lichtenberg fand er eine passende Wohnung. „Es gab im Gegensatz zu den Friedrichshainer Wohnungen mit Außentoilette ein richtiges Bad in der hellen Zweizimmerwohnung." Auch, wenn sich herausstellte, dass das Ding neben der Wanne kein Wasserboiler, sondern ein Badeofen war. Reese lacht heute darüber und sagt: „Nur kurz vor dem Millennium muss ich mit Kohlen heizen, um zu baden. Und das in Deutschland, einem fortschrittlichen Land, wie ich dachte."

Einen Kommentar hat Reese am Telefon besonders oft gehört: „Aha, du bist der Amerikaner, der in Lichtenberg wohnt." Bis Reese, der vielleicht einzige Amerikaner in diesem Bezirk, sich nur noch mit „Pablo von Lichtenberg" meldete. Inzwischen ist dies sein Künstlername, auf den er auch ein Copyright hat. Weil er 2001 in Friedrichshain die passenden Räume für seine Galerie fand, zog er noch mal um. „Von Prollville nach Pennertown", sagt der Künstler lachend.

Hier entwickelt sich derzeit eine lebendige Galerienszene. Im September 2001 initiierte Reese die Mimosa-Sonntage. Mimosa ist ein Drink aus Orangensaft und Sekt und wird in Miami sonntags bei entspannter Jazz-Musik zum Brunch getrunken. Bald sprach sich die Aktion unter seinen Freunden und Bekannten herum. 24 weitere Friedrichshainer Galerien und Ateliers beteiligen sich inzwischen und öffnen immer jeden dritten Sonntag im Monat zwischen 14 und 19 Uhr ihre Türen für Besucher. Für die Gäste werden kostenlose Rundgänge angeboten. Der erste startet auch am heutigen Sonntag, 14 Uhr, an der „WaxArt“ in der Grünberger Straße 87, der zweite um 16 Uhr am „artmaxx Künstlerbedarf“ in der Warschauer Straße 20. „Friedrichshain hat mehr zu bieten als die Kneipenmeile auf der Simon-Dach-Straße. Nach dem Frühstück dort können die Gäste gerne in meine Galerie kommen“, sagt Reese. Er freut sich auf heute, denn immerhin besuchten beim letzten Mimosa-Sonntag über 170 Gäste seine Galerie in der Oderstraße 24.

Katrin Rothe

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