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Berlin: Packt die Badehosen ein

Am 22. Dezember wird das Schwimmbad an der Landsberger Allee geschlossen – vermutlich für immer

An der Pinnwand in der Eingangshalle hängen die Zeitungsausschnitte mit den letzten Nachrichten: „Senator Böger schließt SEZ-Abriss nicht aus“. Oder: „Landessportbund: Erst Abriss und dann Neubau des SEZ“. Wenn schon der Landessportbund die Abrissbirne schwingt, muss es wohl schlecht bestellt sein um das Sport- und Erholungszentrum, aus dem neuerdings ein Erlebniszentrum geworden ist – „weil: wenn Sie herkommen, können Sie erleben, dass Sie nischt erleben“, sagt eine Angestellte. Galgenhumor. Nach einem jahrelangen Hin und Her um Besitzer, Betreiber, Rekonstruktion, Verpachtung oder Verkauf sind die SEZ-Leute genervt und ahnen, dass sie verloren haben.

Die Badelandschaft, die Sporthalle, Restaurants, Sauna und Bowling schließen am 22. Dezember. Am 4. Advent geht das SEZ baden. Ob sich in letzter Minute ein Retter findet, ein Investor ins kalte Wasser springt, die Stadt oder gar der Bund jene Summe zur Verfügung stellen, die für eine Sanierung notwendig ist, steht in den Sternen. Aber der Rettungsring liegt bereit. „Andere Städte beneiden uns, im Brandenburgischen werden neue Erlebnisbäder gebaut, und in der Metropole soll so eine Anlage für die sportliche Freizeit von jedermann abgerissen werden? Unglaublich. Und ein Armutszeugnis“, sagt ein durchtrainierter Saunagast. Andere, die im Badebecken ihre Runden drehen, während der herbstliche Vormittag durch die hohen Scheiben lacht, sehen das ähnlich.

Das SEZ hat Tradition, erst nur in Ost-, dann in ganz Berlin. Getreu Walter Ulbrichts Losung „Jedermann an jedem Ort – einmal in der Woche Sport!“ entstand auf der riesigen Fläche von acht Hektar zwischen Volkspark Friedrichshain und Leninallee der größte Sport-Erlebniskomplex der DDR, von einem schwedischen Konsortium in zweieinhalb Jahren mitgebaut. Später wird man von 240 Millionen Mark sprechen, die das unter der Leitung des Ost-Berliner „Bauministers“ Ehrhardt Gißke errichtete Haus gekostet hat.

Zur Eröffnung im März 1981 kam der Staats- und Parteichef persönlich, und die DDR-Journalisten erlebten dabei übrigens zum ersten Mal, dass die Kollegen der „West-Medien“, vor allem der elektronischen, ungewohnt höflich und bevorzugt bedient wurden. Während sie Honeckers Rundgang – leider ohne ein Generalsekretärs-Bad im 27 Grad warmen Wasser – filmten, guckten sich die Ost-Berliner Berichterstatter das Haus von außen schön, bis auch ihnen Eintritt gewährt ward. Die Euphorie über die Sportstätte, deren Universalität weit über die üblichen Wohngebiets-Schwimmhallen hinausging, war geteilt. Während die Ost-Berliner zufrieden ins nasse Weltniveau eintauchten, in der stets überfüllten Sauna schwitzten, nach dem Restaurant das Sprudelbad genossen und zum Schlittschuhlauf aufs Eis strömten, maulte der Rest der DDR: „Typisch – wieder alles nur für die Berliner“. Gleich nach der Wende entdeckten auch die bis dahin ausgesperrten Sportfreunde die Vorteile des größten Berliner Sportzentrums. Im März 1990 schrieb der in die (spätere) Landsberger Allee entsandte Tagesspiegel-Reporter, dass der Genosse Honecker tatsächlich einmal Recht behalten habe, als er ausrief: „Dieses Bauwerk dient dem Wohl des Volkes“. „Auch West-Berliner haben das Prestige-Objekt, in dem sich zur Reproduktion der Arbeitskraft fast alle physischen Bedürfnisse befriedigen lassen, für sich entdeckt“. 2001 kamen 800 000 Besucher, um sich in der Freizeit ein sportliches Erlebnis zu verschaffen, auch bei Federball und beim Bowling, zur Jazz- oder Bauch-Beine-PoGymnastik, diesem „kraftvollen Training der Problemzonen“. Nun ist das SEZ selbst eine Problemzone, und draußen hängt ein Plakat, auf dem uns der Deutsche Sportbund zuruft: Sport tut Deutschland gut. Beweg Dich! Vom Abriss von Sportstätten ist keine Rede.

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