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Packt Sie: Packt sie bei ihrer Ehre!

Ein falscher Blick, schon geht’s los: „Machst du mich an? Wallah, ich fick’ dich, Hurensohn!“ Ständig, so scheint es, fühlen sich junge, männliche Muslime in ihrem Stolz verletzt. Den allein in Religi.

Mein Blick muss etwas unglaublich Ehrabschneidendes an sich haben. Erst kürzlich rempelte in einer Neuköllner Kneipe ein offensichtlich stark angeheiterter Mann Ende 20 meinen Tisch an und verteilte mein noch jungfräuliches Bier über dem Fußboden. Reflexartig plusterte er sich auf wie ein Kugelfisch und fragte, was ich denn so verdutzt dreinschaue. Ob er mich Respekt lehren solle. „Wallah“ – bei Gott – schwört er, dass er mir auf die Fresse haue, wenn ich weiter so grinse. Erst als er mir mehrfach energisch mit dem Zeigefinger gegen die Stirn pocht, merke ich, dass ich irgendwo zwischen dem Moment, als er mein Bier umschüttete, und jenem, als er mich als Hurensohn bezeichnete, seine Ehre beleidigt haben muss. Oder die seiner Mutter. Oder seiner Freunde. Oder sonst einer Gruppe, aus deren Zugehörigkeit er sein letztes bisschen Selbstbewusstsein zieht. Ich bin es leid. Nicht, weil ich seine Situation nicht nachvollziehen könnte. Die Ägypter nennen dieses Phänomen „’uqdit al-khawaga“ – den Ausländerkomplex. Ein Gefühl der Unterlegenheit nach Jahren des Kolonialismus. In Berlin steigert sich dieser Komplex zu Aggression, befeuert von dem Gefühl, nicht angekommen zu sein in einer Gesellschaft, in der ihnen Misstrauen und Hass entgegenschlägt. Die Frustration, nicht die Tradition und auch nicht die Religion, lässt Menschen, die so behandelt werden, einen Verteidigungsmechanismus entwickeln und die damit einhergehende Aggression mit einem furchtbaren Euphemismus rechtfertigen: Ehre. Es soll mir keiner mit einem „Clash of Cultures“ oder gar einem Religionskonflikt kommen. Wer den Koran im Sinne eines toleranten und fortschrittlichen Glaubens interpretieren will, wird eine Sure finden. Wer eine Rechtfertigung sucht, auf „Ungläubige“ als Menschen zweiter Klasse herabzublicken, wird ebenfalls fündig – und wenn er die Fatwa dazu von einem anonymen Online-Mufti in Jakarta erst anfertigen lassen muss. Ebenso verhält es sich mit den Texten der Bibel oder der Thora. Nein, nicht die Religion und nicht die Herkunft sind entscheidend, sondern Bildung und persönliche Haltung. Denn es sind ja meist nicht erfolgreiche arabische Geschäftsleute, die nachts pöbelnd im Club stehen, Islam predigen und Bier saufen. Und auf der anderen Seite selten die Neurochirurgen und Atomphysiker, die auf „deutscher“ Seite Angst haben, dass ihre Arbeitsplätze von sogenannten Ausländern weggenommen werden und die deshalb die „Ehre“ des Deutschtums und der europäischen Kultur hochhalten. Sondern jene „ehrbaren“ Deutschen, die fürchten müssen, dass noch jeder dehydrierte Flüchtling, der an den Strand von Lampedusa gespült wird, ihren Job schneller und besser machen kann als sie selbst. Was ich leid bin, gerade hier, in Berlin, sind nicht die Frustrierten. Diese Stadt atmet Vielfalt. Sie atmet neben dem Konflikt auch die Chance, aus ihm Gewinn zu ziehen. Und sie verspielt ihr Potenzial, wenn sie akzeptiert, dass sich ganze Bevölkerungsschichten einfach der Diskussion um ein gemeinsames Miteinander verweigern. Was ich leid bin, sind die Menschen, die den Namen „Kevin“ voller Mitgefühl eine Diagnose nennen und „Ahmed“ als einen kulturell determinierten Rüpel hinnehmen, machen lassen, und darüber selbst immer aggressiver werden. In jener Bar spüre ich nicht nur den Zeigefinger meines Gegenübers auf meiner Stirn. Ich spüre auch die Blicke der anderen Gäste, die sagen wollen: „Lass’ gut sein. So sind ,die‘ eben.“ Es ist die perfideste Form von Rassismus. Jene Akzeptanz eines Missstandes, die nur so strotzt vor Fatalismus und – übrigens – Orientalismus. Das gutgemeinte Verständnis wird so zu einem gesellschaftlich akzeptierten Instrument der Exklusion. Berlin hat das nicht nötig. Wenn wir alle mitnehmen wollen, müssen wir auch die „Ehre“ derjenigen herausfordern, die sich ausgeschlossen fühlen. Mit Argumenten, nicht mit Klischees. Das wäre respektvoller Umgang. Ich bin an diesem Abend gegangen. Aber die Kneipe liegt um die Ecke. Ich komme wieder und rede. Dann in Ruhe. Nicht in Rage.

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