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Wenn Sie demnächst im Friedrichshain-Kreuzberger Partygebiet auf weiß gekleideten Gestalten treffen, ist es vielleicht gar kein Junggesellenabschied...

© Jörg Carstensen/dpa

Pantomime gegen Partylärm in Berlin-Friedrichshain: Was für ein Theater

Dreck, Lärm, Remmidemmi an den Wochenenden: Dagegen gehen nun Pantomime-Darsteller in der Simon-Dach-Straße in Friedrichshain vor. Wir waren in der ersten Nacht dabei.

Der kommende Aufstand wird fruchtig werden: „Smoothie Revolution“ wirbt ein Saftladen in der Warschauer Straße für geschreddertes Essen im Glas. Banane und Kakao, Erdnussbutter und Proteinpulver, alles hinein in den Becher und fertig ist der Trunk, den sie hier den „Erdnuss Krieger“ nennen. Ein Spitzenprodukt der Friedrichshainer Ausgehkultur, wie geschaffen für einen Freitagabend, wo ein paar Meter hinter dem Saftladen in einem Hinterhof an einem weiteren Schritt der Bewusstseinswerdung gebastelt wird: Die Pantomimen kommen.

Denn Friedrichshain-Kreuzberg hat ein Problem, und es ist laut und stinkt und pinkelt in Hauseingänge: Party-Volk. Ballermannisierung des Viertels. Immer mehr Besucher, Getränke zum Mitnehmen, Großauftrieb am Wochenende. Bedeutet genervte Anwohner – zu ihrem Schutz schicken Bezirk, Gastronomen und Clubbetreiber jetzt Pantomimen auf die Straße.

Vorher im Hinterhof: Pressetermin. Kathrin Klisch vom Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg wünscht sich „ganz viel positives Feedback“, schließlich ist das hier ein Pilotprojekt, da weiß man nicht, was da noch kommt. Rund 100 000 Euro hat das alles gekostet, dafür gibt es drei Teams aus Pantomime und Mediator, vierköpfige Gruppen, von denen immer eine bis Mitte Juli an Wochenenden durch das Viertel streifen soll, jeweils von 22 bis vier Uhr morgens.

Herangeschafft wurden die Pantomimen über die Berliner Clubcommission. Das Anforderungsprofil laut Ausschreibung: „Selbstsicher, sympathisch und homophil“ sollen die Mimiker sein, extragut wäre es, wenn sie „irgendwas mit ‚sozial‘ im Titel haben“. Dafür soll es laut Ausschreibung 80 Euro pro Nacht geben. Doch so viel? Nein, sagen sie jetzt. Tatsächlich sei es sogar mehr und immer nur über Geld zu reden, findet Lutz Leichsenring von der Clubcommission nicht so toll.

Geht hier ja um mehr, im Prinzip ist es eine Kulturfrage: Was tun gegen Lärm? Ordnungsamt, Polizei und Repression? Oder Pantomime, Straßentheater und Kooperation? „Charmant und sympathisch“ sollen die Mimiker sein, sagt Leichsenring, das Problem auf eine „Berliner Art und Weise“ lösen. Also dann.

Die Simon-Dach-Straße gegen 21 Uhr: Fünf junge Menschen ganz in weiß, Hüte auf den Köpfen, weiß geschminkte Gesichter – Showtime. Da sind Lokale und vor den Lokalen sitzen Menschen und essen. Die sind jetzt fällig. Die Pantomimen kommen. Setzen sich dazu, haben eine kleine Diskokugel dabei, die sie mit ihren Taschenlampen anstrahlen. Dann der Knick ins Pädagogische: Eine hält ein Kopfkissen, kann nicht schlafen, alles so laut, dann Finger auf den Mund und weiter.

Ihr Arbeitsauftrag ist breit angelegt: Nicht nur Lärm, sondern auch Dreck nervt. Der macht zwar keinen Krach, ist aber auch nicht schön. Die Schauspieler entdecken ein Kaugummi auf der Straße, festgetreten. Skandal. Verzerrte Gesichter der Mimiker, wer nicht reden kann, muss umso mehr gestikulieren. Grimmassen, Entsetzen, stummer Ekel. Ein Kaugummi. Auf der Straße. Festgetreten. Sie untersuchen den Fall, treten näher, Taschenlampen leuchten das Objekt aus.

Wer war das? Fingerzeig auf Passanten. Sie? Oder er? Oder irgendwer? Der Täter ist nicht zu ermitteln. Also wohin jetzt mit dem Kaugummi? In den Mülleimer vielleicht? Wäre eine Möglichkeit, zumindest theoretisch. Praktisch ist da aber kein Mülleimer, wie es überhaupt ein Problem zu sein scheint, dass in der Simon-Dach-Straße und den angrenzenden Partyvierteln zu wenig Mülleimer für zu viel Müll sind. Nun könnte jemand im Bezirk auf die verwegene Idee kommen, da mehr Mülleimer hinzustellen. Aber für den Anfang ist so eine Pantomine-Truppe ja auch nicht schlecht.

„Meine Tochter und ich waren gerade was trinken“, jubelt die Mutter, nachdem sie auf dem Weg nach Hause von den Schauspielern gestoppt wurde. Ein bunter Abend, alles ist prima, jetzt noch das Unterhaltungsprogramm der Mimiker. Haben sie verstanden, was das soll, fragt ein Kamerateam das angeschickerte Duo. Irgendeine Aufführung, mutmaßt die Mutter, Taubstumme im Kiez, die Theater spielen, so in der Art? Nun ja.

Ratlosigkeit auch bei dem Rosenverkäufer, dem die weißgekleidete Truppe gegen 22 Uhr den Blumenstrauß entwendet. Nun steht er da und sieht seinen Umsatz flöten gehen. Was habe ich getan?, sein Gesicht ein einziger Zweifel. Warum es ihn erwischt hat, bleibt unklar, an sich sind Rosenverkäufer und Pantomime doch Brüder im Geiste: Wirklich viel sagen tun sie beide nicht. Ein paar Meter weiter krümelt ein Dealer seinem Kunden hinter einem Auto ein wenig Gras in die offenen Hände. Diskrete Gesellen auch sie, der Dealer ist von Haus aus ein unauffälliger Zeitgenosse und fällt damit nicht direkt ins Beuteschema der Pantomimen. Dasselbe gilt im Übrigen für jene, die besonders laut sind, pöbeln und sich schlecht benehmen. Wie zum Beispiel die Betrunkenen, die sich neben einem Bankautomaten in der Simon-Dach-Straße niedergelassen haben. Wo jetzt einer aufsteht, ein paar Meter läuft und schimpfend an einen Stromkasten pinkelt. „Da würden wir jetzt nichts machen“, sagt einer der Kommunikatoren. Handgreiflichkeiten sollen sie aus dem Weg gehen.

Die zahlreich mitlaufenden Initiatoren verbreiten derweil gute Laune. „Erstaunlich positiv“ lautet das erste Zwischenfazit, und so kann man es natürlich auch sagen. Denn gehauen wurde niemand. Selbst der arme Junge mit den blondierten Haaren hat sich beeindruckend gut im Griff. Da möchte man abends mal draußen sitzen und grünschimmernde Getränke trinken, und dann kommen diese Leute und gehen nicht mehr weg. Setzen sich schweigend dazu, tätscheln einem die Wange, streichen einem durch die Haare.

In den Notaufnahmen sitzen Menschen, die für wesentlich weniger verkloppt wurden. Starrer Blick des Blondierten nach vorne, ins Nichts, in die Leere. Dann kommt ein Kommunikator und quatscht den Jungen voll. Dann kommt ein Kameramann und möchte wissen, wie dem Blondierten das so gefallen hat, und dann reicht es ihm. Er dürfe jetzt gerne weitergehen, sagt der Junge zum Fernsehtypen. Er formuliert etwas griffiger.

Was soll das bedeuten - "Schlaft doch auf dem Nachhauseweg"? Hoffentlich nicht.
Was soll das bedeuten - "Schlaft doch auf dem Nachhauseweg"? Hoffentlich nicht.

© Jörg Carstensen/dpa

Kurz nach 22 Uhr füllt sich die Simon-Dach-Straße allmählich. Die Nacht ist ein wildes Tier, das jetzt allmählich lauter wird. Die Pantomimen verschwinden im Hinterhof, eine Pause ist angekündigt, die sich als Feierabend entpuppt: Schluss mit Mimik. Auf der Straße übernimmt das echte Leben die Regie. Eine Freitagnacht von Simon-Dach-Straße über Oberbaumbrücke bis hin in den Wrangelkiez: Party.

Echtes Leben? Wie man’s nimmt: Es ist nach eins, als auf der Warschauer Brücke zwei junge Männer in Streit geraten. Der Klassiker: Der eine haut den anderen, der haut zurück, aber nicht doll genug. Bloß kein Risiko eingehen, wirklich fatal zu kassieren. Die Dramaturgie sieht vor, dass irgendwann irgendwer dazwischen- gehen muss, der die Kontrahenten voneinander trennt. Sind genug Leute zwischen den Streitenden, können die endlich in Aggressionen ausbrechen, die jetzt garantiert nicht mehr wehtun werden – zu viel Menschenmaterial dazwischen. So auch hier, eine prächtige Inszenierung, dann gehen sie. Der eine nach links, der andere nach rechts. Schauspieler, hier wie dort. Fortsetzung folgt.

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