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Berlin: Papierkrieg im Confrontation Room

Noch in tiefster politischer Eiszeit arbeiteten die vier Alliierten gemeinsam in der Luftsicherheitszentrale im alten Kontrollratsgebäude

Von einer auf die andere Sekunde konnte die Atmosphäre zwischen den Offizieren vereisen – auf Befehl. Dann musste man zu den Kollegen plötzlich ein „Schwein“sein, aber ein höfliches. Schließlich ging es hier um Diplomatie und Weltpolitik. So erinnert sich Tom Farr an die Alliierte Luftsicherheitszentrale in der Zeit des Kalten Krieges. Farr war von 1978 bis 1994 Fotograf bei der U.S. Air Force in WestBerlin und als solcher häufig in der Luftsicherheitszentrale, in die nur selten ein Zivilist hineindurfte. Ein „höfliches Schwein“ zu sein bedeutete, dass selbst handfester Streit einem militärisch-diplomatischen Zeremoniell folgte. Gab es wieder mal Ärger um die Route eines Flugzeugs der Westalliierten nach West-Berlin, dann zogen sich die vier Luftwaffenoffiziere der Amerikaner, Briten, Franzosen und Sowjets in den Confrontation Room zurück. Hier wurden nach einem durchchoreografierten Ritual Protestnoten ausgetauscht. Die Uniformierten traten vor ihrer jeweiligen Landesfahne an, salutierten und übergaben schließlich in HabAcht-Stellung mit steif ausgestrecktem Arm das Protestschreiben. Meist waren die Russen das Ziel der Entrüstung. Zum Beispiel, weil mal wieder ein paar MIGs einem amerikanischen Passagierflugzeug im DDR-Luftraum zu nahe gekommen waren. Die Adressaten nahmen das Schreiben ebenso formell entgegen und hefteten es anschließend säuberlich ab. Die Militärs verließen den Raum – und scherzten wieder miteinander, schließlich kannte man sich oft seit Jahren und kam im täglichen Dienst ganz gut miteinander aus.

Die Luftsicherheitszentrale gab es seit 1946, aufgelöst wurde sie 1992. In der überwiegenden Zeit funktionierte die Zusammenarbeit reibungslos. Man hatte die Zentrale im Gebäude des Alliierten Kontrollrats untergebracht, dem ehemaligen preußischen Kammergericht im Schöneberger Kleistpark. Und dort blieb sie auch, nachdem der Kontrollrat 1948 über der Berlinblockade zerbrach. Die Zentrale war verantwortlich für den ungestörten Flugverkehr in den drei Luftkorridoren von Westdeutschland nach West-Berlin. 1989, als der Kalte Krieg endete, war die Luftsicherheitszentrale die letzte funktionierende Einrichtung aller vier ehemaligen Verbündeten des Zweiten Weltkrieges.

Jeder Flug musste in der Luftsicherheitszentrale angemeldet werden, spätestens drei Minuten, bevor die Maschine die innerdeutsche Grenze überquerte. Die Angaben – zum Beispiel Uhrzeit, Flugnummer und Airline – kamen unspektakulär auf den Schreibtisch der vier Besatzungsmächte: als Zettelchen, auf denen die Daten per Computer oder handschriftlich vermerkt waren. Fünf Offiziere saßen hier an einem H-förmigen Tisch: ein Brite, ein Amerikaner, ein Franzose und zwei Russen, und vor jedem stand ein Fähnchen. Die Anmeldungen wurden den Russen übergeben – die informierten ihre eigene Radarüberwachung und die DDR-Behörden – und abgelegt.

„Man hatte ein normales kollegiales Verhältnis zueinander und machte seinen Job – außer wenn mal wieder politische Spiele gespielt werden mussten“, sagt der Amerikaner Tom Farr. Diese „Spiele“ wurden vor allem mit Stempeln ausgetragen. Jeder der fünf am Tisch hatte nicht nur ein Fähnchen, sondern in seiner Schublade mehrere Stempel. War die politische Großwetterlage mal wieder mies, dann knallten die Russen zum Beispiel ein „Sicherheit nicht garantiert“ aufs Formular. Das galt insbesondere bei Militärflugzeugen der Westalliierten, manchmal auch bei Zivilmaschinen. Die praktischen Auswirkungen dieser Stempel waren bis auf wenige Ausnahmen allerdings gleich null. Theoretisch hätten die Russen ein Flugzeug mit diesem Vermerk abschießen können. Praktisch traf es tatsächlich Anfang der 50er Jahre einige Militärmaschinen der Westalliierten, bevor diese ab 1953 keine Kampfflugzeuge mehr durch die Korridore schickten. Störungen allerdings waren vor allem in der heißen Phase des Kalten Krieges nicht ungewöhnlich. Dann flogen zum Beispiel MIG-Jäger Manöver ausgerechnet in den 32 Kilometer breiten Korridoren und behinderten so den Verkehr auf den viel beflogenen Routen.

Dann tauschte man wieder mal Proteste aus im Kleistpark – und feierte trotzdem gemeinsam. Alle halbe Jahre, im Frühjahr und im Herbst, trat man zum gemeinsamen Tanz an, mit Büfett und Militärorchester. „Selbst die Russen spielten amerikanische Tanzhits“, erinnert sich Farr. Im Saal, in dem einst Hitlers Volksgerichtshofpräsident Freisler die Verschwörer des 20. Juli niedergebrüllt hatte, tanzten jetzt die Alliierten. Natürlich baute jeder sein eigenes Büfett auf. „Um das russische machten meist alle einen Bogen“, erinnert sich Farr. Spanferkel und „trockene Kekse“. Nur der Kaviar war schnell weg.

Doch bei aller Professionalität in der Zusammenarbeit waren die Offiziere keine Freunde, durften es nicht sein: Der andere könnte ein Spion sein – also bloß nicht verquatschen, selbst, wenn man mal wieder gemeinsam eine Whisky- oder Wodkaflasche geleert hatte.

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