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Berlin: Paris in weiter Ferne

Malik Sanca kennt Berlin und die Banlieues – für ihn ein großer Unterschied

Mit einem Mal soll Paris jetzt nah, bedrohlich nah an Berlin sein. Dort brennen Autos, seit dem Wochenende tun sie es auch hier. Krawalle gab es noch keine, aber mancher sieht sie auf Berlin zukommen. Heinz Buschkowsky zum Beispiel, der Neuköllner SPD-Bürgermeister. Und haben seine Argumente nicht einiges für sich, gibt es nicht Parallelen? Jugendliche mit tief sitzendem Frust, der sich leicht in Wut verwandelt. Und hat sich diese Wut nicht rasch in Gewalt entladen? Eine logische Kette. Oder etwa nicht?

„Nein“, sagt Malik Husseyn Sanca. Die Antwort kommt schnell, er muss da nicht lange nachdenken. „Man kann die Lebensverhältnisse der Jugendlichen in den Pariser Vorstädten und hier nicht vergleichen. In Berlin geht es jungen Menschen deutlich besser.“ Er sollte wissen, wovon er spricht. Er ist selbst erst 24, in Kreuzberg und in Wedding aufgewachsen; in Vierteln, die in der Stadt durchaus als Problembezirke gelten. Als er 17 war und keine Lehrstelle fand, zog er nach Frankreich, nach Paris. In einen Vorstadtbezirk, der nicht weit weg liegt von jenem, auf den nun ganz Europa besorgt blickt. Drei Jahre hat Malik Husseyn Sanca dort gelebt. Und, so sagt er, seit er zurück ist in Berlin, da wisse er „Dinge zu schätzen, die ich bis dahin gar nicht richtig bemerkt hatte“. Bestimmte Sicherheiten. Die Freiheit, jede Religion auszuüben zu können. Den Umstand, dass Menschenrechte etwas zählten. Und die Art, wie sich die Polizei gegenüber Jugendlichen benimmt. In manchen Momenten klingt Sanca so positiv, dass man misstrauisch werden könnte.

Sanca erklärt das so: „Jugendliche, die keine Arbeit haben, sind hier besser abgesichert, das Sozialsystem meint es vergleichsweise gut mit uns. In Frankreich ist es härter, ohne Job oder mit einem schlecht bezahlten Aushilfsjob über die Runden zu kommen.“ Das Leben ist teurer, der Staat gibt weniger Geld. Und der Ausweg aus der Hoffnungslosigkeit in den Problemvierteln sei schwieriger, sagt Sanca. Wer sich mit der Adresse einer verrufenen Banlieue bewirbt, für den kann selbst ein Job in einer kleinen Reinigungsfirma unerreichbar bleiben. „Und was die französische Polizei angeht“, sagt Sanca, „solche Verhältnisse wären in Berlin schwer vorstellbar. Jedenfalls bin ich hier wegen meiner dunklen Haut niemals so offenkundig bedroht worden wie ich es in Paris erfahren habe.“

Das also ist Malik Husseyn Sancas Sicht der Dinge. Es ist die Sicht eines jungen Mannes, der eine Chance bekommen hat, an die er kaum noch glaubte: Er arbeitet jetzt als Krankenpfleger. Es ist auch eine Sicht, die zuletzt vielen stundenlangen Diskussionen standgehalten hat – Diskussionen mit französischen Sozialarbeitern: sieben Franzosen, alle Einwandererkinder, Anfang bis Ende zwanzig. Als Gäste eines Austauschprogramms sind sie in Wedding, Malik ist als Übersetzer dabei. Sie haben viel darüber gesprochen, wie die Wut in den Pariser Banlieues jahrelang schwelte, wie die Situation immer auswegloser wurde. Und wie die französische Regierung, der neue Innenminister vor allem, mit härterer Gangart gegen die Jugendlichen vorgehen, statt sich um die Ursachen zu kümmern. Sanca hat erklärt, dass es derart verhärtete Fronten in Berlin nicht gebe. Dass sich das aber ändern könne: Wenn die Arbeitslosigkeit steige und Gelder für gute Jugendarbeit gestrichen würden.

Marc Neller

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