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Parlamentsdebatte: Hartz, aber herzlich

Sarrazins Armen-Menü, Rauchverbot, BVG-Tarifstreit – im Parlament stand gestern fast jedes Thema, das die Stadt zurzeit bewegt, auf der Tagesordnung. Entsprechend munter wurde debattiert

Sarrazins "Hartz IV"-Speisplan

Von den Grünen erhielt Thilo Sarrazin am Donnerstag einen Korb. Genauer: einen Hartz-IV-Präsentkorb. Grünen-Fraktionschef Franziska Eichstädt-Bohlig überreichte dem Finanzsenator eine Lebensmittel-Auswahl in Anspielung auf den umstrittenen Speiseplan, den Sarrazin für Arbeitslose erstellt hatte.

In der Fragestunde wollte die FDP wissen, warum der SPD-Politiker den Speiseplan erstellt hat. Sarrazin legte zunächst einige Zahlen vor. 660 000 Menschen lebten in Berlin von Hartz IV und Sozialleistungen. 1,7 Milliarden Euro gibt der Senat dafür jährlich aus. 37 Prozent davon brauchen Hartz-IV-Empfänger für ihre Ernährung. Der Hartz-IV-Regelsatz sieht pro Tag 4,25 Euro für die Verpflegung vor. Sarrazin kommt nach seinen Berechnungen auf einen Tagessatz zwischen 3,76 und 3,98 Euro.

„Es ist wichtig als Senator zu wissen, ob das Geld für den Zweck auch reicht, für den es vorgesehen ist“, sagte Sarrazin. Deshalb sei er im Einzelhandel einkaufen gewesen. Sein Fazit: Das Geld sei auskömmlich – „wenn man selbst kocht“, fügte er hinzu. Er habe auch den Nährstoffgehalt überprüfen lassen. „Dass man sich davon gut ernähren kann, steht zweifelsfrei fest. Das ist eine gute Nachricht“, sagte Sarrazin. Sein Anliegen sei es nicht gewesen, einem Hartz-IV-Empfänger vorzuschreiben, wofür er sein Geld ausgebe.

Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit zeigte sich damit nur bedingt zufrieden. Zwar gebe es eine Debatte darüber, ob die geltenden Regelsätze ausreichten. Zugleich betonte Wowereit aber, es sei „falsch“ von Menschen, die mehr verdienen, so zu tun, als ob man davon leben könne. „Das ist überflüssig“, sagte Wowereit. Kritik hörte Sarrazin auch von der SPD-Abgeordneten Burgunde Grosse. Mit seiner „Tomaten- und Bratwurst-Berechnung“ habe er „nicht die Meinung der SPD-Fraktion“ vertreten. Der CDU-Abgeordnete Gregor Hoffmann kritisierte die „überflüssigen Rechenbeispiele“ des Finanzsenators. Sarrazin habe sich mal wieder als „Provokateur“ in Szene gesetzt.

Schulessen

Auch in der aktuellen Viertelstunde ging es ums leibliche Wohl – das der Schulkinder. „Rot-Rot sorgt für bezahlbares Mittagessen an gebundenen Ganztagsgrundschulen ab 1. Januar 2008!“ So lautete das Versprechen der rot-roten Koalition im Juli 2007. Doch bisher ist kein Cent bei den Eltern angekommen. Vorgesehen war, dass Familien an den 64 gebundenen Ganztagsschulen ab Januar nur noch 23 Euro pro Monat für das Schulessen bezahlen müssen. Dafür sind im aktuellen Haushalt 4,2 Millionen Euro vorgesehen. Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) sprach gestern selbstkritisch von einer „Fehleinschätzung“, da das Beteiligungsverfahren doch länger dauere als er es eingeschätzt habe. „Ich gehe davon aus, dass es bis Ende April abgeschlossen sein wird“, sagte Zöllner. Zurzeit gehe die Senatsvorlage über die Schreibtische der beteiligten Senatoren, am 26. Februar will sich der Senat damit befassen. Danach wird der Rat der Bürgermeister um eine Stellungnahme gebeten. Noch nicht geklärt ist die offenbar die Frage, ob die Schulkonferenzen das Recht behalten, einen Caterer auszusuchen. Zöllner sprach sich für eine „größtmögliche Autonomie der Schulen“ aus.

Tarifstreit bei der BVG

Der zugespitzten Lage angemessen, diskutierte das Abgeordnetenhaus gestern ziemlich munter über die Zukunft der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) und den Tarifstreit. Dabei fanden sich ausnahmsweise FDP und Grüne zusammen und warfen dem Senat vor, durch den Verkehrsvertrag mit der BVG vom Dezember 2007 den unternehmerischen Wettbewerb ausgeschaltet zu haben. Spätestens jetzt, mit den hohen Lohnforderungen der Gewerkschaften, „fliegt dem Senat die Absicherung der Monopolstellung der BVG um die Ohren“, sagte der FDP-Abgeordnete Klaus-Peter von Luedeke. Grünen-Fraktionschefin Franziska Eichstädt-Bohlig warf der Landesregierung vor, „der BVG vertragliche Sicherheiten gegeben zu haben, ohne zu sagen, wie gleichzeitig die Sanierung des Unternehmens vorangetrieben werden kann“.

Auch die CDU kritisierte die fehlenden Sanierungserfolge bei der BVG, stellte aber die Monopolstellung der BVG als Nahverkehrsdienstleister ausdrücklich nicht in Frage. Die Redner der SPD und Linken verteidigten die BVG als leistungsfähigen Betrieb, hielten sich erkennbar aus dem Tarifkonflikt heraus. Der SPD- Verkehrsexperte forderte einen „Tarifabschluss mit Augenmaß“. Jutta Matuschek von der Linksfraktion kritisierte den BVG-Aufsichtsratchef, Finanzsenator Thilo Sarrazin, dessen Äußerungen zum Tarifstreit wenig hilfreich seien. Vom BVG-Vorstand erwartet Matuschek, „das Betriebsklima zu verbessern, bei den Mitarbeitern um Vertrauen zu werben und neue Fahrgäste zu akquirieren“. Am Ende schlug die Verkehrssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (BVG) gegenüber beiden Tarifpartnern versöhnliche Töne an. Der Senat achte das Streikrecht und die Tarifautonomie. Allerdings empfehle sie Arbeitgebern und -nehmern, sich im Tarifkonflikt angesichts der „hohen Abstände bei den Gehältern“ aufeinander zuzubewegen. Dabei müssten sich die Beschäftigten aber auch dem Einkommensvergleich mit den Arbeitnehmern in anderen, vergleichbaren Verkehrsunternehmen stellen.

Rauchverbot in Gaststätten

Nach einer Eilentscheidung des rheinland-pfälzischen Verfassungsgerichtshofes von Dienstag darf in dem Bundesland in kleinen Gaststätten mit nur einem Schankraum vorerst weiter geraucht werden. Von den etwa 1000 Berliner Eckkneipen betreffe das Urteil „etwa 450“, hieß es danach beim Hotel- und Gaststättenverband. Doch die Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher (Linke) sieht zunächst keine Konsequenzen für Berlin. Die Entscheidung werde „aufmerksam verfolgt“, aber das Hauptsacheverfahren in der Rechtsangelegenheit sei in Rheinland-Pfalz noch anhängig. Das werde man abwarten. In Berlin gebe es kein Klageverfahren. Das Berliner Nichtraucherschutzgesetz gilt seit Jahresbeginn, aber bis Ende Juni werden keine Bußgelder verhängt. Danach werden bei Verstößen bis zu 1000 Euro für die Gastwirte und 100 Euro für rauchende Gäste fällig.

Strahlentherapie an der Charité

Warum das modernste Krebsbestrahlungsgerät der Stadt neun Monate lang unbenutzt in der Charité stand, wollten Grüne und FDP in der Fragestunde des Parlamentes wissen. Wissenschaftssenator Jürgen Zöllner (SPD) begründete diese Verzögerung mit einer „Neuplanung des baulichen Strahlenschutzes“. Ursprünglich sollten 70 Tonnen Eisen und Blei für 350 000 Euro verbaut werden, um die Strahlenbelastung zu reduzieren. Das sei von der Strahlenschutzbehörde für unzureichend befunden worden. Daher seien nun 170 Tonnen Eisen und Blei bei Gesamtkosten von 900 000 Euro verbaut worden. Auswirkungen auf weitere Forschungsanträge durch die Verzögerung sieht Zöllner nicht. Das 3,5 Millionen Euro teure Tomotherapiegerät der Charité wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert und soll Krebsgeschwulste direkter und genauer bestrahlen können als herkömmliche Geräte und weniger Nebenwirkungen verursachen.

Industriepolitik

Auch über die Berliner Industriepolitik sollte am Donnerstagabend diskutiert werden. Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke) sieht die Berliner Industrie in seiner schriftlichen Antwort auf eine CDU-Anfrage in einer „guten Entwicklung“. Die Industrieexporte seien zwischen 2000 und 2006 um 34 Prozent gestiegen. Auch wenn Berlin mit seiner Exportquote im unteren Drittel der Bundesländer rangiere, wertet die Wirtschaftsverwaltung die Entwicklung als erfreulich. Im Jahr 2007, so die vorläufigen Zahlen für Unternehmen mit 50 und mehr Beschäftigten, lagen die Bestellungen um 12,9 Prozent über dem Wert für 2006. Im Bundesdurchschnitt waren es nur 9,2 Prozent. Auch die Umsätze entwickeln sich laut Verwaltung positiv. sib/za

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