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Ein Plakat der SPD wird am Alexanderplatz aufgestellt. Die Berlin-Wahl am 18. September könnte die spannendste seit Langem werden.

© dpa

Parteien im Berliner Wahlkampf: Schön in der Mitte bleiben und keinen verprellen

Auch ohne Wechselstimmung ist in Berlin ein Machtwechsel möglich. Deshalb könnte die Wahl im September die spannendste seit Langem werden. Ein Kommentar.

Die Plakate hängen, doch was die Wähler wollen, ist völlig offen. Sieben Wochen vor dem Wahltag liegen SPD, CDU, Grüne und Linke fast gleichauf. Keine politisierte Öffentlichkeit, kein Wechselfieber, kein packendes Duell wie 2011 zwischen Amtsinhaber Klaus Wowereit und Herausforderin Renate Künast. Und dennoch könnte es die spannendste Wahl seit Langem werden.

In fünf Jahren Koalition haben sich SPD und CDU nicht nur völlig zerstritten, die Berliner bewerten ihre Leistung am Senatstisch auch mit deutlich geringerer Zustimmung als bei der Wahl 2011. Dabei ging es der Stadt damals erheblich schlechter. Heute ist Berlin bundesweit der Musterknabe in Sachen Schuldentilgung, hat eine boomende Wirtschaft, einen steten Abbau der Arbeitslosigkeit und darf jährlich 50 000 Neu-Berliner begrüßen. Eine Erfolgsgeschichte. Nur dem Senat wird das nicht gutgeschrieben.

Das liegt – neben BER-Pleite und kaputten Schulen – vor allem daran, dass es dort spürbar klemmt, wo Berliner es direkt zu tun haben mit der Verwaltung. Der SPD-CDU-Senat scheiterte an der Organisation eines reibungslosen Dienstleistungsbetriebs, auf den Bürger einen Anspruch haben. Ungenutzt blieb die Zeit, die zweistufige Landes- und Bezirksverwaltung, ein bürokratisches Horrorkonstrukt, zu reformieren. Warum also SPD und CDU die großen Zukunftsaufgaben anvertrauen, wenn sie schon beim Bürgeramt scheitern? Der Unmut wächst, dass die Stadt unter ihren Möglichkeiten regiert wird. Alles ist hier im Wandel und die Ansprüche, was gutes Regieren angeht, haben sich auch durch die Zuzügler erhöht. Das wachsende Berlin, so fühlen viele, braucht einen mutigen Senat, der den Wandel offensiver gestaltet.

Tatsächlich aber werden die verunsicherten Parteifunktionäre, die sich ihrer Wähler nicht mehr sicher sind, immer mutloser: keine großen Egos präsentieren und Programme möglichst ohne Kanten. Ein Regierender Bürgermeister, der sich auf dem Plakat verschwommen ins Foto schiebt, ohne SPD-Logo, nur: Müller, Berlin. Einer, der im Hintergrund für Berlin arbeitet. Verstecken statt Amtsbonus. Sich zur Macht zu schleichen, zu verstecken hinter einer Viererbande, ist auch bei den Grünen angesagt.

Dazu Demut bei der Linken, die Wählern zuhören will, und kuscheliges Familiengefühl bei CDU-Chef Frank Henkel. Schön in der Mitte bleiben und keinen verprellen: Sicherheit, preiswerte Wohnungen, gute Bildung und einen leistungsfähigen öffentlichen Dienst versprechen alle. Um Wechselwähler wird nicht einmal gekämpft; jede Partei will vor allem ihr eigenes Wählerklientel mobilisieren. Und bloß keinen Fehler machen, der sich den Berlinern einbrennt bis zum Wahltag, weil die Zeit zur Korrektur zu kurz ist.

Genau das macht die Wahlstrategen nervös – auch ohne Wechselstimmung ist bei der engen Ausgangslage ein Machtwechsel möglich. Am Ende könnten die Grünen vorne liegen, und der machtverwöhnten SPD bliebe die schockierend neue Rolle des Juniorpartners in einem rot-rot-grünen Dreierbündnis. Die CDU, der die Oppositionsbank droht, weil sie keine echte Koalitionsoption hat, will mit dem Schreckgespenst Rot-Rot-Grün punkten – und hofft heimlich, dass es mit der SPD doch noch reicht (notfalls ohne Henkel). Und die große Unbekannte AfD könnte fast allen Parteien Wähler abziehen. Kann sein, dass es bis zum Wahltag doch noch richtig hitzig und ruppig wird.

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