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Hoch die Gläser, hoch die Stimmung. Die sechs Frauen aus Wolfsburg feiern in Berlin, wie sie denken, dass man in Berlin wohl feiern muss. Und das ziemlich ausgiebig

© David Heerde

Partyhauptstadt: Vor dem Ja-Wort schnell noch mal nach Berlin

An Wochenenden ziehen sie über die Bordsteine, Gruppen von Männern oder von Frauen – sie kommen meist von weiter her, um hier Junggesellenabschied zu feiern. Warum? Und was passiert da?

Eigentlich geht es nur um das Foto, um den Beweis, dass man hier war. An einem Samstagnachmittag steht ein Mann vor der verschlossenen Tür des „Matrix“ in der Warschauer Straße, hält ein aufblasbares Mikrofon in die Luft, wird fotografiert. Dann kommt ein anderer mit Frau und schreiendem Kind. Die Frau reicht ihm das Kind, es schreit ein wenig lauter, er guckt, sie fotografiert. Schließlich fährt hier ein Wagen vor für das nächste Foto. Aus ihm steigen sechs Damen in Footballkostümen. Ihr Fotograf wartet schon. Sie sind verspätet, auf der Strecke Wolfsburg – Berlin war Stau, aber nun sind sie hier, eine Braut und fünf Begleiterinnen. Und die feste Absicht zu ein paar schön beschwingten Stunden, Junggesellinnenabschied, einen Tag lang Berlin.

Immer mehr machen das so, der gefühlt letzte Tag in gefühlter Freiheit, in Deutschlands gefühlt freiester Stadt. Gruppen von Männern oder Frauen ziehen Wochenende für Wochenende über die Bordsteine – und suchen nach letzten flüchtigen Bekanntschaften.

Im Auto der sechs Frauen aus Wolfsburg lagert der Alkohol, kleine Plastikpaletten Schnäpschen, Bier mit Orangengeschmack. „Hauptsache, es knallt“, sagt eine. Die Damen haben einen Zug am Leib, der nach Übung aussieht, aber anders als ihre männlichen Gegenstücke: ruhiger, friedlicher. 25 Jahre ist die Braut alt, 26 ihr Künftiger, und zehn Jahre sind sie ein Paar. Da wird es höchste Zeit, erst recht wohl in Wolfsburg, wo alle irgendwann heiraten, wie sie sagen. Aber immer noch früh genug, dass böse Wörter wie Ehegattensplitting oder Vorsorgeaufwendung gar nicht erst aufkommen.

Eine Eventagentur, spezialisiert auf Braut und Bräutigam, hat ihnen den Fotografen vermittelt. Der führt sie nun an die Spree, zur Oberbaumbrücke, an die Grenze von Szene-Kreuzberg. Ein Ort, an den sie nicht passen, aber ist das nicht egal, wenn man das weiß? Tut mal so, als wenn ihr Affen wärt, sagt der Fotograf. „Von wegen: nur so tun“, ruft da eine. Genau darum geht es doch: Sich zum Affen zu machen, einmal über sich hinauswachsen, und dann wieder zurück ins Leben, in ihrem Fall: ins Eheleben.

Also ran an die Gitterstäbe der Oberbaumbrücke, brüllen, schreien. Naserümpfend begutachtet vom Alternativo- Mittelstand. Menschen mit Sandalen und Tüchern im Haar laufen vorbei, niemals würden sie so etwas tun, sagen ihre Blicke. Guck mal, die Aussätzigen mit schlechtem Geschmack. Wenn die so sind, dann sind wir bitte schön ganz anders. Touriprolls gegen Öko-Mütter. Bier mit Orangengeschmack trifft auf Rhabarber in der Fahrradsatteltasche. Wer hat da recht?

Hauptsache Party, Hauptsache Berlin..
Hauptsache Party, Hauptsache Berlin..

© David Heerde

Ein Alki taumelt von der Spree kommend in die Szene, blickt sich um. Mmaa, Mmaa, ruft der Torkelnde, immer wieder: Mmaa, Mmaa, dazu ein mürrisches Abwinken. Taugen wohl alle nichts. Die einen, die am Zaun rütteln und die anderen, die am Zaun vorbeilaufen. Hinter Gittern sind sie ja alle. Wir sind einfach eine Super-Kombi, sagt eine der Wolfsburgerinnen, und dann ist der Fotograf fertig, die Bilder kommen ins Netz.

Abends im Märkischen Viertel, nach Fotomachen und Restaurantbesuch, fährt eine Stretch-Limousine vor. Ein rollendes Statussymbol mit Plastiksternen, Sektgläsern und lauter Musik. Ein Schlüsselreiz am Samstagabend, da sind die Bars voll, auch hier. Und junge Männer kommen angelaufen, mal gucken, wer hier einen auf dicke machen kann: Sechs Frauen – hurra und gute Fahrt. Und ob sie die Typen nicht mitnehmen wollen, fragen die Typen. Aber da kommt der Fahrer, im Stile eines Bodyguards, wenn Luxus, dann richtig. Also hinfort mit den jungen Hirschen aus dem Märkischen Viertel, und der Wagen fährt los und drinnen ist es wie draußen: Man macht Fotos, natürlich, Selfies für mich und dich.

Dabei läuft Musik, und wenn die für einen Moment leise ist, fällt auf, wie leise auch die Damen sind. Das viele Jubeln, es hat seinen Preis, die Hände zum Himmel, zur-Mitte-zur-Titte-zum-Sack-zackzack – auf Dauer hält das niemand durch. Der dicke Wagen schrumpft etwas – nur leider nicht äußerlich. In der Torstraße muss der Fahrer zurücksetzen, das Auto passt anders nicht um die Kurve. Genervte Radfahrerblicke, da sind sie wieder, wenn auch ohne Gemüse auf dem Gepäckträger.

Und dann, als fast schon nichts mehr geht, geht doch noch was: Emotion! Eros Ramazzotti! „Più bella cosa non c’è“ – „Es gibt nichts Schöneres als dich“, und nun – tatsächlich – werden ein paar Augen feucht, gehen die Blicke in die Ferne. Irgendwo in ihnen muss es eine zweite Saite geben, und Eros Ramazzotti trifft den Ton. Ach, Italien, du Schöne, und warum auch nicht?

Erst recht aus der Wolfsburger Perspektive, die Stadt, die um eine Fabrik herum gebaut wurde. Wo sie Autos zusammenschrauben, mit denen man auch mal ganz schnell ganz weit weg fahren kann. Momente des Glücks, und die Stretch-Limousine rollt aus vor dem Brandenburger Tor, Fotos machen. Das sind schon ein paar verrückte Bilder, sagt die Braut. Glück ist ein guter Schnappschuss und Fotos sind Beweisstücke. Erst war man hier, jetzt ist man da und morgen wieder zu Hause. Und da bleibt man dann.

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