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Die Partys im Festsaal Kreuzberg sind erstmal vorbei. Wie und wo es weitergeht, steht noch nicht fest.

© Doris Spiekermann-Klaas

Partypause nach dem Feuer: Erinnerungen an den Festsaal Kreuzberg

Der Festsaal Kreuzberg hatte viel zu bieten: Konzerte, Hochzeiten, Boxkämpfe. Unsere fünf Autoren schwelgen in Erinnerungen an den vor wenigen Tagen ausgebrannten Veranstaltungsort.

Sommergefühle

Es hat schon so giftig-verkohlt gerochen in Kreuzbergs Straßen, Sonnabendnacht beim Nachhausefahren. Ein mulmiges Gefühl: Da, wo unsereins vor wenigen Tagen noch mitten in der Menge stand, ist jetzt alles niedergebrannt. Am 9. Juli, ein Dienstagabend vor zwei Wochen, prallte ich beim Konzert der neuseeländischen Funk-Jazz-Reggaeband „The Black Seeds“ beim Eintreten erst gegen diese Wand von schwüler Hitze, Schweiß und verbrauchter Luft. Die Balustraden oben waren trotzdem voll besetzt. Geraucht oder gekifft wurde aber nicht. Was ist, wenn hier mitten im Hitzestau jemand kollabiert, dachte ich noch. Wagte mich dann doch vor, an die Bar, bewunderte das in tausend Lichtern blinkende Mischpult. Sog die lebensfrohe Stimmung beim Gig auf, bei dem wir im Publikum die da oben auf der Bühne fotografiert haben und diese uns, das Publikum, zur Erinnerung an den seligen Abend. Das Reggaekonzert habe ich im Bild noch nachts bei Facebook gepostet: Einen „Happy summer in Berlin!“, hat die Band doch allen gewünscht. Auf meinem Handyspeicher ist der Festsaal in Fotos und Videos noch am Leben.
Annette Kögel

Tanzen - immer direkt vor den Boxen

War der Saal so richtig voll, fing es schnell an zu tropfen. Eine Mischung aus Schweiß und Kondenswasser war es, was dort von der Decke auf die Treppen fiel und große Pfützen bildete. Auch auf der Tanzfläche vor den Boxen wurde es gerne unerträglich heiß. Der Stammgast weiß: Im Festsaal tanzte man auf Grund seiner Größe eigentlich überall direkt vor den Boxen. Trotzdem kamen fast alle Besucher gerne wieder – bei gutem Programm wuchs die Warteschlange auf der Skalitzer Straße schnell auf einige hundert Meter an. Gastierte der "Electro-Swing-Club" im Festsaal, saß ich meistens im Kassenhäuschen und arbeitete mich an genau dieser Schlange ab: Eintritt kassieren, Stempeln. Viel Spaß wünschen. Eintritt kassieren... und so weiter. Arbeiten wo andere feiern kann schnell zur Belastung werden - im Festsaal war das in der Regel anders. Und so kann ich sagen: Schöne Erinnerungen aus dem Festsaal gibt es eine ganze Menge, die schönsten stammen aber aus dem kleinen Bretterverschlag am Eingang . Dazu gehört der bullige Türsteher, der gegen alle Klischees verstieß und die wartenden Touristen in bestem Französisch über die Hausordnung aufklärte. Und all die Gäste, die sich bei mir dafür bedankt haben, wie schön die Veranstaltung war. Es war ein Arbeitsplatz den man auch gern privat aufsuchte. Ob zum kurzen Bier auf dem Nachhauseweg, oder bei den vielseitigen Veranstaltungen - von Laienboxkämpfen bis antisexistischen Studentenpartys.

Nikolas Kappe

Lektion in Pazifismus

Im Festsaal habe ich vor ein paar Jahren eine starke Lektion in Pazifismus bekommen. Am 25. April, Italiens Tag der Befreiung, sprach dort der 84-jährige Rosario Bentivegna, der eine Schlüsselrolle in einer der folgenreichsten Partisanenaktionen Italiens gespielt hatte. Beim Attentat in Roms Via Rasella 1944 wurden 33 Männer einer deutschen Polizeipatrouille und zwei Passanten getötet, einer ein 13-jähriger Junge. Der Vergeltung der Nazis fielen danach 335 Menschen zum Opfer. Ich musste an meinen Vater denken, der damals, auch in Italien, Soldat war. In einem Angriffskrieg, wie er wohl wusste. Ich fragte Bentivegna nach seinem Leben nach der Tat. Und er, der sie sein Leben lang verteidigt hatte, sagte: "Ich habe einen Tag lang nur gezittert. Es war der schlimmste meines Lebens."
Andrea Dernbach

Das letzte Mal

Der Innenhof ist vom Burgergrill vernebelt, Vorbands langweilen mit schlechten Reimen, Halbstarke springen einem in die Achillessehne und der Saal ist vom Tag so aufgeheizt, dass Schweißbäche an Körpern herabrinnen. An Tanzen nicht zu denken. Dann taucht auch noch der Grund, warum man hier ist, am Freitag, beim wohl vorerst letzten Konzert, ewig nicht auf, Hip-Hop-Legende KRS One. Freestyle darüber, ob er wohl in der BVG feststeckt, überbrückt die Wartezeit nur kurz. Doch um halb eins entlohnt KRS für alle Pein: Spielt seine alten Hits ("Sound of da police"), lehrt Politik ("No human being is illegal"), lädt die erste Reihe zum Tanzen auf die Bühne und badet seinen massiven Körper in der Menge ("I want to be with the people"). Dass es am nächsten Abend viel heißer werden würde, konnte ja niemand wissen.
Julia Prosinger

Einmalige Stimmung

Es hat nur fünf Jahre in Berlin und diverse Kreuzberger Nächte gedauert, bis ich Anfang Juli zum ersten Mal einen Abend im Festsaal verbrachte - beziehungsweise vor dem Festsaal. Bei den sommerlichen Temperaturen war es nämlich nur auf dem Innenhof einigermaßen auszuhalten. Obwohl sich die DJs größte Mühe gaben, standen wir draußen dicht aneinander gedrängt auf den unwegsamen Pflastersteinen und atmeten den Duft vom Efeu an der Balustrade ein. "So sollten laue Sommerabende in Berlin immer beginnen", war der Konsens des Abends. Die Luft stand, das Bier war warm, die Stimmung einmalig. - Liebe auf den ersten Blick. "Hier muss ich häufiger her", dachte ich noch bei mir, nippte ein letztes Mal an meinem Bier und verließ den Festsaal ohne zurückzublicken. Hätte ich ahnen können, dass die nicht nur mein erster, sondern auch mein letzer Abend im Festsaal sein sollte, wäre ich länger geblieben.
Katharina Langbehn

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