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Im Duell. Jakob Renger trainiert mit seiner Tochter Greta.

© Doris Spiekermann-Klaas

Patchwork im Sport: Zusammen üben, zusammen lachen

Nach der Trennung von der Mutter entfremden sich manche Väter von ihren Kindern. Der Schauspieler Jakob Renger hat ein Mittel dagegen gefunden. Es heißt: Taekwondo.

Wenn Greta jetzt getroffen hätte, dann erst mal gute Nacht. Sie kann mit ihren Füßen ein Holzbrett zertrümmern, klar, welche Schmerzen ihre Gegnerin gehabt hätte. Aber alles okay. Gretas Bein schnellte zwar nach oben, nach einer schnellen Drehung des ganzen Körpers, aber ihr Fuß stoppte rechtzeitig.

So soll es auch sein. Die Form von Taekwondo, welche die Zehnjährige betreibt, ist körperlos. Sie steht barfuß auf der Matte, mit weißen Hosen und weißem Kittel, einen gelben Gurt um den Bauch geschnürt, ihre Gegnerin vor sich. Und hinter der Glasscheibe der Eingangstür zu dem Trainingsstudio in der Moabiter Turmstraße, der stolze Vater. Jakob Renger beobachtet seine Tochter in ihren letzten Trainingsminuten. Er sieht ihre fließenden Bewegungen, er sieht ihre Selbstbeherrschung, er sagt: „ein schöner Anblick“.

Diese Nähe wäre ohne Sport kaum möglich

Jakob Renger ist nicht bloß ein stolzer Vater, der seiner Tochter beim Training zuguckt. Das Taekwondo ist in diesem Fall ein essenzielles Erlebnis für Renger, da es ihn und seine Tochter zusammenbringt. Eine Nähe, die ohne Sport kaum möglich wäre, wie er sagt. Und es ist ein Beispiel dafür, wie gemeinsame Aktivitäten Brücken bauen können, wenn es Risse im Alltag der Familie gibt.

Gretas war ein Jahr alt, als die Beziehung ihrer Eltern zerbrach. Jakob Renger, 39 Jahre alt, warme Stimme und dunkle Locken, ist Schauspieler. Er spielte mal bei der Krimiserie „Soko Leipzig“ den Lebenspartner des Staatsanwalts. Ansonsten macht er viel Independent-Kino, Nischenfilme.

Er hat eine neue Partnerin und einen fünf Monate alten Sohn. Der liegt in einem Tragekorb vor der Tür, während Renger seine Tochter beobachtet.

Der 39-Jährige hat eine enge Bindung zu seiner Tochter, sie ist jedes zweite Wochenende bei ihm, mitunter wird daraus ein verlängertes Wochenende. Und auch wenn sie die meiste Zeit mit ihrer Mutter verbringt, soll es so viel Alltag wie möglich geben im Leben von Vater und Tochter. Es funktioniert, sagt Renger: „Zwischen uns passt kein Blatt.“

Und durch das Taekwondo wurde diese Beziehung noch enger.

Gemeinsame Aktivitäten sind wichtig

Der Kampfsport steht in diesem Fall stellvertretend für gemeinsame Erlebnisse. Dinge, die Vater und Kind nach der Trennung der Eltern zusammen fühlen, betreiben, durchleben. „Solche gemeinsamen Aktivitäten sind sehr wichtig“, sagt die Therapeutin Nese Meyer vom Verein „Ressourcen e.V“, der sich um Familien- und Paartherapie kümmert. Denn sie helfen dabei, dass Eltern und Kinder wieder zueinanderfinden. „Sport kann dann eine wichtige Rolle spielen, wenn die Eltern athletisch sind und das Kind einen Bewegungsdrang hat.“ Aber es muss nicht Sport sein, es kann auch das gemeinsame Angeln oder gemeinsame Basteln sein. Gemeinsam ist das Schlüsselwort.

Denn nicht selten verlieren Trennungsväter die enge Bindung zu ihren Kindern, wenn sie diese nur am Wochenende sehen, sagt Rüdiger Meyer-Spelbrink vom Verein „Väteraufbruch für Kinder“. Häufig stehen dann Spaßpunkte auf dem Programm: Schwimmbad, Kino oder Eis-Essen. „Doch enge Beziehungen entstehen nicht nur durch Vergnügen, sondern vor allem durch Reibung“, sagt Meyer-Spelbrink. Und bei einer regelmäßigen gemeinsamen Aktivität – was auch ein Technik- oder Bauprojekt sein könne – erlebe der Vater erheblich mehr Alltag mit seinem Kind, als bei einem Vergnügungswochenende möglich sei. „Beim Sport unterstützt der Vater das Kind etwa dabei, mit Frust oder Niederlagen umzugehen und erlebt mit, wenn es etwas Neues lernt“. Nicht zuletzt müssten sich beide gemeinsam auf einen Termin verbindlich festlegen, Kontinuität üben. Das komme dem Alltag, den die Mutter mit dem Kind durchlebt, wesentlich näher als ein Zoobesuch.

Der Papa brachte die Tochter zum Kampfsport

Und genau darum geht es auch Jakob Renger. Der gemeinsame Sport folgte keinem Reißbrettentwurf. Es war eher eine Mischung aus Glück und Zufall. Jakob Renger mag asiatische Kampfsportarten, nach Judo hat er 2009 Taekwondo entdeckt. Fasziniert hat ihn insbesondere ein koreanischer Meister, der den höchsten Gurt hat und in diesem Studio in Moabit die Schulleiter und Trainer ausgebildet hat. Renger war schnell begeistert von der freundlichen Atmosphäre. Und ihm gefiel, dass es in dem Taekwondo-Studio auch Kinderkurse gibt.

Er dachte: „Das könnte Greta auch gefallen.“ Beim Taekwondo geht es um Selbstbeherrschung, um das Gefühl, in jeder Sekunde handlungsfähig zu sein. Aber es geht auch um Werte. Rücksichtnahme, Respekt.

Greta hatte Interesse, sie trat der Kindergruppe bei und trainierte unmittelbar vor den Erwachsenen, bei denen dann der Papa auf der Matte wirbelte. Greta schaute ihm dann zu oder malte selbstvergessen. Das war die Zeit, in der für Greta der Papa noch diesen Heldenstatus besaß. „Sie glaubte, Papa ist der Stärkste, weil er Taekwondo kann.“

Aber nach und nach integrierte sie der Papa in seine Gruppe. Dort üben auch Jugendliche, und Greta – eigentlich noch zu jung für dieses Training – durfte mitmachen, weil der Vater dabei war. So wurde der Sport zum Gemeinschaftserlebnis. „Es gab auch so etwas wie ein Schlüsselerlebnis“, sagt Renger. Das war der Moment, als Renger Fehler machte. Er sollte eine Übung demonstrieren, aber er kämpfte unsauber. Deshalb nahm ihn die Trainerin richtig ran. Sie korrigierte ihn, zeigte ihm die richtigen Körperstellungen, eine Lektion zwischen Lehrer und Schüler. „Und Greta“, sagt Renger, „stand staunend da. Zum ersten Mal hatte sie gesehen, dass auch der Papa mal wie ein Schüler behandelt wird.“ Und dass auch der Papa aus seinen Fehlern lernen muss.

So eine Erfahrung, sagt die Familientherapeutin Meyer, könne aber auch ein gemeinsamer Zoobesuch vermitteln. „Wenn das Kind den Vater fragt, welches Tier gerade im Käfig zu sehen ist, und der Papa zugibt, dass er das leider nicht weiß.“ Auch hier lernt das Kind, dass ein Erwachsener seine Grenzen hat.

Beim Training verlor nicht die Tochter den Respekt vor dem Vater, hier erlebte ein Kind, dass auch Erwachsene immer wieder lernen müssen. „Claudia hat dich aber streng rangenommen“, raunte sie ihm zu. Und der Papa antwortete: „Ja, sie ist streng, weil sie will, dass ich gut bin.“ Vater und Tochter trainieren mitunter als Paar. „Sie will immer, dass ich mich ihr gegenüber im Schneidersitz hinsetze.“ Wenn der Papa seine Übung gut macht, dreht sie den Daumen nach oben. „Das sind total süße Momente“, sagt Renger. Er spüre dadurch auch eine Verbundenheit außerhalb des Trainings. „Wenn wir erzählen, dass wir das gemeinsam machen, bemerke ich den Stolz bei Greta.“

Und auch die Mutter wird miteinbezogen. Als Greta mal eine besondere Übung gelernt hatte, führte sie die ihrer Mutter im Wohnzimmer vor. Das hätte natürlich auch problematisch enden können. Schwärmereien von gemeinsamen Erlebnissen mit dem Vater können bei der Ex-Partnerin auch Neid oder Eifersucht hervorrufen. Aber der Mutter gefällt, dass Vater und Tochter gemeinsam trainieren.

Der gemeinsame Sport hat Einfluss auf den Alltag

Vor allem aber hat der Sport längst Situationen außerhalb der Matte beeinflusst. Zum Beispiel, wenn die Zehnjährige mal wieder stöhnt: „Warum muss ich diese Dinge lernen? Ist doch voll blöd.“

Tja, antwortet Jakob Renger dann, „das ist wie beim Training. Wenn du das Brett durchschlagen willst, damit du den nächsthöheren Gurt erreichst, musst du doch auch üben. Und wenn du es geschafft hast, bist du stolz auf dich.“ Die Argumentation hilft natürlich selten sofort, aber sie wirkt. „Ich habe gemerkt, dass ich sie auf spielerische Weise zum Lernen motivieren kann.“

Vor allem aber weiß die Zehnjährige, dass sie noch sehr viel üben muss, wenn sie mal mit ihren Fußtritten so gut sein will wie der Papa. Greta kann ein dünnes Kinderbrett durchschlagen. Aber Jakob Renger hat schon ein 22 Millimeter dickes Brett zertrümmert.

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