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Patientenfürsprecher: Die Anwälte der Patienten

Seit 1974 gibt es in allen Berliner Kliniken einen Patientenfürsprecher. Wer Probleme mit dem Krankenhaus hat, kann sich an ihn wenden. Vielen ist das unbekannt.

Seit mehreren Jahren schon werden alle Essen warm ausgeliefert. Dass das so ist, verdanken die Patienten des St.-Marien-Krankenhauses in Lankwitz Anna-Maria Schaal. Irgendwann häuften sich bei der Patientenfürsprecherin die Beschwerden, das Klinikessen würde regelmäßig kalt serviert. Sie ging der Sache nach. Der Koch hatte keine Erklärung. Die Mahlzeiten hatten seine Küche stets heiß verlassen. Schaal forschte weiter. Der Fehler im System wurde schließlich gefunden. Bevor das Essen auf die Stationen kam, wurden die Tablettwagen in einem zentralen Raum geparkt. Nur für kurze Zeit, doch leider direkt unterhalb einer Belüftungsanlage, die die Temperatur des unter ihr abgestellten Essens binnen Minuten abkühlen ließ. Einmal erkannt, war das Problem schnell gelöst.

Anna-Maria Schaal sagt von sich, sie sei ein kämpferischer Mensch. „Das ist eine Grundvoraussetzung für meinen Job“, findet die 55-jährige Frau mit den kurzen dunklen Haaren. „Angst anzuecken darf man nicht haben.“ Seit 17 Jahren ist sie drei Stunden pro Woche im Einsatz. Ehrenamtlich. Einmal die Woche hat sie Sprechstunde. Dann sitzt sie in dem kleinen Zimmer im Erdgeschoss der katholischen Klinik, in dem auch die Seelsorger des Hauses untergebracht sind. Diesmal bleibt sie jedoch allein.

Das sei keine Seltenheit, sagt Anna-Maria Schaal. Oft müsse man den Patienten erst Mut machen, von ihren Problemen zu berichten. Viele Menschen hätten Hemmungen, sich zu beschweren. Dafür gebe es verschiedene Gründe. Die einen würden sich wegen ihrer Krankheit oder ihrer Gebrechen hilflos fühlen und Sorge haben, sich mit einer Beschwerde eine schlechtere Behandlung einzuhandeln. Derlei Bedenken wären jedoch unbegründet, sagt sie, schließlich seien die Patientenfürsprecher an die Schweigepflicht gebunden. Bei älteren Menschen hingegen sei oft eine „Obrigkeitshörigkeit“ schuld, Probleme mit dem Krankenhausbetrieb nicht zu äußern.

Das Phänomen, dass die Menschen mit ihren Klagen nicht zu ihnen kommen, kennen auch andere Patientenfürsprecher. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass wir auf die Leute zugehen müssen, wenn wir wissen wollen, was los ist“, sagt Jürgen Netzel, 67 Jahre alt, Diplom-Physiker, Rentner und seit sechs Jahren Patientenfürsprecher im Sana-Klinikum Lichtenberg. Er sieht den Grund für die wenigen Beschwerden vor allem in den inzwischen sehr kurzen Liegezeiten. Im Durchschnitt blieben Patienten nur noch sieben Tage im Haus. Da werde man automatisch toleranter, sagt Netzel.

Die Probleme, die an ihn herangetragen werden, seien in den meisten Fällen Kleinigkeiten und doch für das Wohlbefinden der Patienten entscheidend. Mal gebe es eine Klage über das Essen, mal eine über das Personal. Netzel kümmert sich darum, wenn es durch ein Fenster zieht, oder dass Aschenbecher aufgestellt werden, dass frisch Operierte nicht dort Zimmer bekommen, wo gerade umgebaut wird, und um Kranke, die sich nicht aufgeklärt fühlen. „Ich bin der Anwalt der Patienten“, sagt er. In den meisten Fällen ließen sich die Probleme schnell lösen. Netzel vertraut dabei auf den „kurzen Dienstweg“ – sprich, er geht persönlich auf die Verantwortlichen zu.

Dabei arbeitet er eng mit den Qualitätsmanagern des Hauses zusammen. Das Krankenhaus sei kooperativ, sagt er. Informationsmaterial über seine Tätigkeit bekäme jeder Patient bereits bei der Aufnahme, sein Sprechzimmer sei ausgeschildert, und auf jeder Station gebe es Briefkästen, in denen Patienten Lob und Kritik loswerden könnten - pro Woche kämen rund zwanzig Briefe.

Solches Engagement ist jedoch noch nicht überall der Normalfall. „Wie die Krankenhäuser auf die Patientenfürsprecher hinweisen, wird in Berlin sehr unterschiedlich gehandhabt“, sagt die Patientenbeauftragte des Landes, Karin Stötzner. Ein Grund dafür sei das Landeskrankenhausgesetz, das die Handhabung nur vage formuliere. Wie deutlich auf dieses Amt hingewiesen wird, hinge deshalb vom Engagement des Krankenhauses und der ehrenamtlichen Mitarbeiter ab.

„Es wäre schön, wenn alle Patienten bereits bei ihrer Einweisung Infomaterial bekämen“, sagt Hildegard Rossi, Patientensprecherin am Vivantes-Klinikum Wenckebach. Denn die Erklärung dafür, dass auch ihr Sprechzimmer oft leer bleibt, lautet: „Viele Menschen wissen gar nicht, dass es uns gibt. Da liegt noch einiges im Argen.“

Die Zusammenarbeit mit den Krankenhäusern sei, wenn Probleme vorgetragen würden, insgesamt allerdings gut, sagt Rossi. Aus einem einfachen Grund. Im „Zeitalter der Kundenorientierung“ hätten die Verantwortlichen in den Krankenhäusern ein Interesse daran, dass der Ruf ihres Hauses nicht beschädigt werde. In den meisten Fällen seien die Krankenhäuser deshalb kooperativ, auch wenn den Patientenfürsprechern keine rechtlichen Druckmittel zur Durchsetzung der Beschwerden zur Verfügung stehen. „Wenn ein direktes Gespräch keine Einigung ergibt, gehen wir halt zur nächst höheren Instanz im Krankenhaus.“ Das sorge in der Regel für genug Druck.

Etwas betrachtet Hildegard Rossi jedoch mit Sorge. Patienten mit Migrationshintergrund nutzten die Angebote der Patientenfürsprecher so gut wie gar nicht, sagt sie. Wolfgang Mellwig, seit 13 Jahren ihr Amtskollege im Charité-Virchow-Klinikum in Wedding, teilt diesen Eindruck zwar nicht; in seinem Sprechzimmer kämen regelmäßig die verschiedensten Nationalitäten zusammen. Doch mehrere Kollegen aus anderen Bezirken bestätigen Rossis Beobachtung.

Vielleicht liegt es einfach an sprachlichen Barrieren, mutmaßt Rossi. Projekte, wie den Gemeindedolmetschdienst des Vereins Gesundheit Berlin, der bei Sprachproblemen im Umgang mit medizinischen und sozialen Einrichtungen hilft, hält sie deshalb für einen guten Ansatz. Solche Angebote seien jedoch oft schwer zu finanzieren.

Eine konkrete Idee, wie man das Dilemma lösen kann, hat keiner. Ein erster Schritt wäre das Auslegen von Infomaterial in Türkisch, Polnisch oder Russisch, sagt die Patientenbeauftragte Stötzner. Wichtig scheint zunächst jedoch zu sein, dass das Problem überhaupt erkannt worden ist. Dann, das zeigt die Arbeit der Patientenfürsprecher, kann es auch aus der Welt geschafft werden.Moritz Honert

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