zum Hauptinhalt

Paul van Dyk im Interview: "Ich will, dass Berlin immer toller wird"

Paul van Dyk findet seine Heimatstadt cool und liebenswürdig. Den Aufstand gegen das Guggenheim Lab aber hält er für ideologisierten Unsinn - und hinter dem Erfolg der Piratenpartei vermutet er nichts als Pseudo-Protest.

Der erste Titel auf Ihrer neuen CD, „Symmetries“, klingt dermaßen markant nach Paul van Dyk, wie man es sonst beispielsweise von Mike Oldfield und seiner Gitarre kennt. Ist es so wichtig, über die Jahre unverwechselbar zu werden?

Ich gehe nicht unbedingt mit einer fertigen Melodie ins Studio, sondern eher mit einem Gefühl. Daraus entwickelt sich dann beim Spielen was. Für „Symmetries“ hatte ich so ein Grund-Layout, aber bei einem Auftritt fehlte mir da noch irgendwie Druck. So kam dieses Piano dazu, live vor Publikum.

Auch am neuen Album sind viele Gaststars beteiligt, darunter Größen wie Caligola von Mando Diao. Reißen die sich um Sie – oder eher umgekehrt?

Ich glaube keinem Manager, der mir sagt, ich soll mit dem und dem zusammenarbeiten, weil das gut fürs Image oder für den Geldbeutel ist. Mando Diao habe ich vor ein paar Jahren in Berlin getroffen. Sie erzählten von einem Konzert in Phoenix, nach dem sie abends noch mal rausgingen und zufällig bei einem Auftritt von mir landeten. So war ich für die eine Art Türöffner zur elektronischen Musik. Was uns vereint, ist die Passion für Musik.

Ein Titel heißt „Lost in Berlin“. Gehört Berlin zu Ihrer Musik?

Ja, es war Zeit für so ein Stück. Ich bin totaler „Homie“. Berlin ist zwar im Winter grauenvoll, aber zugleich die coolste und liebenswürdigste Stadt, die ich kenne. Klar ärgere ich mich über die rotzigen Taxifahrer, aber die in New York sind auch nicht freundlicher. In dem Stück geht es um zwei Leute, die allein ankommen, zueinander finden und Berlin dann gemeinsam erleben. Das passt doch zu vielen der Leute, wie sie hier an den Flughäfen landen.

Bekommen die Menschen rund um die Welt noch leuchtende Augen beim Stichwort „Berlin“?

Berlin ist zwar inzwischen etablierter, aber steht bei den „coolen“ Städten nicht mehr hinter New York oder London, sondern gleichauf.

Sie fliegen ständig um die Welt. Fühlt sich Berlin bei jeder Rückkehr ein bisschen kleiner an?

Ich finde die Größe genau richtig. Man kann hier seine Individualität ausleben. Aber man geht auch sofort als Berliner durch, wenn man zu seinem Gegenüber so respektvoll ist, wie man es auch von ihm erwartet. Das ist schon was Besonderes.

Sie haben immer wieder über das Berliner Mittelmaß geklagt. Bessert sich da was?

Ja, weil offenbar viele verstanden haben, dass es nicht reicht, vor sich hinzudümpeln nach dem Motto „Et looft doch“. Mir scheint, dass mehr hinterfragt wird, was man besser machen kann, ob im Einzelhandel oder im Kulturbetrieb. Was Klubs und elektronische Musik betrifft, ist durch die weltweite Vernetzung die Konkurrenz gewachsen. Aber wir haben die Club Commission, es gibt Marketingkonzepte, die Politik nimmt das Thema ernst. Manche haben mir damals Nestbeschmutzung vorgeworfen. Aber wenn man etwas liebt, muss man doch sagen, was nicht so läuft. Ich will als Berliner ja, dass diese Stadt immer toller wird.

In letzter Zeit ist öfter vom Klubsterben die Rede.

Locations schließen, dafür machen andere auf. Wenn im Interesse von dreieinhalb Millionen Berlinern ein bestimmtes Gelände entwickelt werden soll, dann muss halt mal ein Klub für 500 Leute zumachen.

Gerade ist das Guggenheim Lab aus Kreuzberg vertrieben worden, weil es manchen Leuten nicht in ihr Friede-Freude-Hundekacke-Idyll passte.

Ich habe nicht viel übrig für solchen ideologisierten Unsinn. Bei dem Protest geht es ja nicht um Freiräume oder um Selbstverwirklichung. Wenn ich was verändern will, brauche ich eine Idee und Pragmatismus. Das gilt auch für die Occupy-Bewegung, von der die Leute in New York nur die Randale in Erinnerung behalten haben und dass sie Leute gehindert hat, zur Arbeit zu kommen. Sich auf die Straße zu stellen und die Polizei mit Steinen zu bewerfen schadet nur den eigenen Interessen.

Bei Occupy ging es doch vor allem um die Katastrophe, die das Bankensystem über die Welt gebracht hat.

Natürlich gibt es in den Banken Idioten, die völlig überzogen haben. Ich bin auch dringend für eine Regulierung und dafür, dass die, die uns in den Dreck geritten haben, zur Verantwortung gezogen werden. Aber ohne Banken gäbe es auch keine Mikrokredite. Wo wären denn die ganzen Start-ups, die Berlin so cool machen, ohne Anschubfinanzierung? Wo wären die Familien, die ihre Häuser abzahlen? Die Banken tragen doch dazu bei, unseren Wohlstand zu verteilen!

Paul van Dyk glaubt, dass hinter dem Erfolg der Piraten Pseudo-Protest steckt

Als treuer SPD-Wähler haben Sie Ihrer Partei vor Jahren eine krachende Wahlniederlage gewünscht, damit sie sich besinnt und nicht länger den Linken hinterherrennt. Die Niederlage kam 2009. Aber was ist mit der Besinnung?

Doch, da hat sich was getan. Ich erinnere mich an Diskussionen, in denen die damals definieren wollten, was links ist. Ich dachte, die spinnen: Es gibt doch eine Partei, die so heißt! Ihr müsst definieren, was sozialdemokratisch ist. Für mich bedeutet das: Istzustand betrachten, schauen, was sich besser machen lässt und wie man das gewünschte Gemeinwohl finanziert. Zu Gerechtigkeit gehört allerdings auch, dass jemand, der mehr arbeitet, auch mehr haben muss.

Das sagt die FDP auch.

Wenn ich mir unseren Wirtschaftsminister Herrn Rösler angucke, finde ich es stark, dass unsere Wirtschaft trotzdem funktioniert. Da wird aus ideologischen Gründen die Auffanggesellschaft für die Schlecker-Frauen verhindert, und drei Tage später soll wegen der steigenden Benzinpreise die Pendlerpauschale erhöht werden. Bei solchem Blödsinn verstehe ich, dass die Leute sich von der Politik abwenden.

Sind Sie froh, dass die Linken in Berlin nicht mehr mitregieren?

Berlin ist ein Sonderfall. Die Linken hier waren nicht nur pragmatisch, sondern auch der Platzhalter für die Ost-Berliner im Senat. Und Klaus Wowereit hat diesen ideologischen Quatsch nicht mitgemacht, sondern versucht, Probleme zu lösen. Inzwischen haben auch viele gemerkt, dass der nicht nur feiert, sondern hart arbeitet.

Für viele seiner Kritiker verkörpert Wowereit das Berliner Mittelmaß.

Er ist aber der Beste, den wir haben. Wir hatten seit Ewigkeiten nicht mehr so viele Industrieansiedlungen wie jetzt. Und bei den insolventen Solarfirmen haben sich die Inder und Araber nicht zufällig für Solon in Berlin entschieden. Die sind eben nicht bei Q-Cells in Bitterfeld eingestiegen, weil Berlin der bessere Standort ist – dank Wowereits Wirtschaftspolitik. Danke übrigens an uns alle, dass wir Frau Künast verhindert haben.

Treibt es Sie als Musikproduzenten um, dass mit den Piraten jetzt die Freunde des freien Downloads im Abgeordnetenhaus sitzen?

Persönlich trifft mich das nicht, aber ich habe ein anderes Demokratieverständnis. Wenn ich in ein Taxi steige, möchte ich, dass der Fahrer das Ziel kennt. Der soll nicht erst losfahren und unterwegs dauernd sagen, dass er sich nicht auskennt. Ich sehe hinter dem Erfolg der Piraten eher einen Pseudo-Protest. Nehmen wir das Acta-Abkommen, mit dem einfach deutsche Gesetze in EU-Recht umgesetzt werden sollen. Es geht dabei nur ganz am Rande darum, ob einer einen Hollywood-Film oder ein Musikstück runterlädt. Worum es geht, ist Kriminalität, um Datenklau. Wenn einer alle Verschlüsselungen knackt, würde unsere Zivilisation zusammenbrechen. Ich weiß nicht, ob das im Interesse von Herrn Lauer ist. Der sieht mir jedenfalls aus wie ein Besitzstandswahrer.

Bleiben uns die Piraten auf Dauer erhalten?

Die Grünen haben zwar auch als wilder Haufen angefangen, aber die wollten wirklich was, nämlich Umweltschutz. Aber zum Internet gibt es in den etablierten Parteien längst große Arbeitsgruppen. Deshalb glaube ich, wir brauchen die Piraten nicht.

Sind wir besonders kleinlich gegenüber unseren Politikern?

Ich glaube, die Briten und die interessierten Amerikaner sind ähnlich. Wir hier sind sicher extrem kritisch geworden wegen Dingen wie dem Wulff-Desaster. Ich halte auch Frau Merkel in ihrer Position für unfähig. Die ist kein Teamspieler, sondern hat sich mit Leuten umgeben, die Ja sagen – und das meistens auch noch am Tag danach. Wir haben in unserer Regierung eigentlich keine Fachleute mehr. Wie soll denn das funktionieren, wenn ein Augenarzt Wirtschaftsminister ist? In diesem negativen Gesamtbild gehen gute Einzelleistungen wie die von Hannelore Kraft in Nordrhein-Westfalen sicher manchmal unter.

Wie wichtig sind Gewerkschaften fürs Gemeinwohl heutzutage?

Ich finde Herrn Bsirske von Verdi fürs Gemeinwohl untragbar. Der hat es schon geschafft, Unternehmen in Grund und Boden zu streiken; auch die letzte Aktion im öffentlichen Dienst hat die Volkswirtschaft viele Millionen gekostet. Klar gibt es Unternehmer, die ihre Leute ausbeuten. Aber das sind seltene Ausnahmen. Zu 99 Prozent würden deutsche Mittelständler eher selbst den Gürtel enger schnallen, als jemanden zu entlassen.

Sie sind selbst auch Mittelständler; wir sitzen hier in der Paul van Dyk GmbH. Wenn Ihre Mitarbeiter bei Verdi wären, hätten sie letzte Woche vielleicht gestreikt.

Ich glaube, die hätten sich eher hingesetzt und geredet. Die wissen doch selber, dass das Geld irgendwo anders herkommen muss, wenn sie nicht arbeiten. Dann müsste ich Schulden machen, wir müssten für die Zinsen arbeiten – und das Geld fehlte für Investitionen in die Sicherheit der Arbeitsplätze. Herr Bsirske scheint diese Zusammenhänge nicht zu überblicken, oder er ignoriert sie. Er steht bei mir ganz oben auf der Liste der Fehlbesetzungen in Deutschland.

Sie sind kürzlich 40 geworden, und die Gewerkschaften kämpfen gegen die Rente mit 67. Wie lange kann man in Ihrem Beruf durchhalten?

Ich mache das hier so gern, dass ich auch mal einen 24-Stunden-Marathon durchhalte. Dass auch meine Frau in der Firma arbeitet, vereinfacht die Sache zusätzlich. Außerdem erfordert meine Verantwortung gegenüber meinen Mitarbeitern ein gewisses Arbeitspensum. Dass ich in meiner Firma auch das Produkt bin, macht die Verantwortung umso größer. Musikalisch müsste ich mich wohl neu orientieren, wenn der Abstand zu den Leuten zu groß würde, denn meine Musik entsteht ja aus der Interaktion mit Leuten. Ich würde gern bis zur Rente davon leben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false