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Berlin: PDS besiegelt „Paket der sozialen Grausamkeiten“ Widerstand der Basis auf dem Landesparteitag erlahmt.

Führung setzt Erhöhung der Kitagebühren durch

Von Sabine Beikler

Schlafstörungen kennt der Berliner PDS-Landeschef Stefan Liebich sonst nicht. Nur vor Parteitagen passiert es dem Spitzensozialisten, dass er nachts ab und an wach wird und anfängt zu sinnieren. Wirklich sicher ist er sich nie, ob seine Basis die Regierungspolitik mitträgt. Gerade vor dem Parteitag am Sonntag hatte die PDS-Spitze Unschönes angekündigt: Höhere Kitagebühren, Kürzung des Blindengeldes und geplante Studiengebühren versetzten Parteimitglieder an der Basis in helle Empörung.

Doch die Parteiführung hat es auch diesmal geschafft, die 111 Parteitagsdelegierten davon zu überzeugen, beim Spagat zwischen sozialistischem Anspruch und realer Politik nicht auszurutschen. Am Abend stimmte der Parteitag einer Erhöhung der Kita-Gebühren zu: Nachverhandelt werden soll nur die besonders drastische Anhebung der Krippenpreise: Der Senat will sie um 20 Prozent stärker anheben als die Kita-Gebühren.

Stefan Liebich zeigte sich schon kurz nach Beginn des Parteitags gestern im Corvus-Haus in Lichtenberg optimistisch: „Ach, das ganze Leben ist ein Kompromiss.“ Das wüssten die Delegierten. Und so kam es dann auch. Die PDS-Spitze kann sich nämlich auf ein Phänomen dann doch verlassen: Vorher Ärger und Kritik, nachher ist der Dampf raus.

Auch vor diesem Parteitag gab es viele kritische Stimmen in der PDS, die den Anfang vom Ende des demokratischen Sozialismus prophezeiten. Michail Nelken, 51 Jahre und seit 1995 Berliner Parlamentarier, ist strikt gegen höhere Kita-Gebühren. Der Diplom-Philosoph stellte den Antrag, die Erhöhung abzulehnen, weil besonders mittlere Einkommensgruppen und Familien mit mehreren Kindern die Leidtragenden seien. „Ich halte die Entscheidung für nicht sozial gerecht“, sagte Nelken. Die Chancen seines Antrages beurteilte Nelken schon kurz nach Beginn des Parteitags eher skeptisch. Das werde eine „Emotionsabstimmung“, sagte Nelken achselzuckend und schlenderte einen Apfel kauend durch den Saal.

Emotionsabstimmung: Ein schönes Wort für eine typische PDS-Parteitagsdelegiertenhaltung, wie sie ein sozialistischer Spitzengenosse skizziert: „Wenn man den Genossen was erklärt, dann sehen sie, dass es zwischen Schwarz und Weiß auch noch Grautöne gibt.“ Parteitagsdelegierte wüssten im Gegensatz zu den gemeinen Basismitgliedern, dass sie eine Verantwortung bei den Entscheidungen zu tragen hätten.

Genau daran appellierten die drei PDS-Senatoren Heidi Knake-Werner, Harald Wolf und Thomas Flierl, die die Regierungspolitik verteidigten. Wirtschaftssenator Wolf sagte, man solle die Koalition nicht immer „schlecht reden“, sondern selbstbewusster Erfolge wie zum Beispiel den Stopp der Anschlussförderung oder die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht formulieren.

Ähnlich argumentierte Sozialsenatorin Knake-Werner. Die Sparvorschläge in ihrem Ressort seien ein „Paket der sozialen Grausamkeiten“ gewesen. „Ganz zurückweisen“ habe sie das nicht können, doch erinnerte sie auch an die Erhaltung freiwilliger Leistungen wie Drogenpräventions- oder Obdachlosenzentren. Und Wissenschaftssenator Flierl nannte sein Studienkontenmodell eine „Alternative zu Studiengebühren“, weil das Erststudium kostenlos bleibt.

PDS-Chef Liebich warnte davor, das in den Haushaltsberatungen verabschiedete Beschlusspaket „wieder aufzuschnüren“. Das Ergebnis werde dadurch nicht besser. Er wisse freilich: „Wer kürzt, der nimmt, das ist nun mal so, und das tut weh.“ Und weil die Parteispitze auch weiß, welchen „Kompromiss“ sie den Delegierten bei den Kita-Gebühren abgerungen hat, wurde ohne Widerspruch der PDS-Senatoren ein anderer Antrag mit großer Mehrheit verabschiedet: Die Abgeordneten sollen „Möglichkeiten erschließen“, die Kürzung beim Blindengeld zu verhindern. Damit kann PDS-Landeschef Stefan Liebich gut leben – und wieder gut schlafen.

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