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Personalmangel, hohe Belastung, wenig Geld: "Die Jugendämter müssen neu aufgestellt werden"

Heute demonstrieren die Berliner Jugendämter gegen den Personalmangel und eine zu hohe Belastung. Hier erzählen drei Mitarbeiter aus dem Alltag – und warum sie viele Familien kaum noch betreuen können.

Der Ansteckbutton leuchtet in grellen Farben: grün, orange oder gelb. Die Forderung darauf klingt wie eine Selbstverständlichkeit: „Kinderschutz braucht Zeit und Geld“. Vor der Senatsverwaltung für Jugend demonstrieren die Mitarbeiter der Sozialen Dienste der Berliner Jugendämter heute mit den Buttons für bessere Arbeitsbedingungen. Wie berichtet haben die Jugendämter akuten Personalmangel; Kinder und Familien warten wochenlang auf Hilfe, Akutfälle ausgeschlossen. Anfang April erklärten sich Berlins Jugendämter selbst für kaum noch arbeitsfähig. Hier berichten drei Mitarbeiter von ihren Sorgen. Fotografieren lassen wollten sie sich nicht:

Yasemin Bandow, 44

„Wenn ich erzähle, dass ich im Kinderschutz arbeite, folgt oft betretenes Schweigen und Bedauern. Für viele Menschen ist es unvorstellbar, entscheiden zu müssen, ob ein Kind von seiner Familie getrennt werden muss. Ich habe Verantwortung für das Leben vieler Kinder. Die Arbeit im Jugendamt erfordert daher sehr viel Fachwissen, persönliche Stärke, professionelle Distanz und psychische Belastbarkeit. Trotzdem erhalte ich nur 2200 Euro netto im Monat. Ich denke, dass das Gehalt und die Arbeitsbelastung in keinem Verhältnis zueinander stehen.

Ich merke jeden Tag, dass wir zu wenig Personal in den Jugendämtern haben. Kinderschutzfälle gibt es immer mehr, aber nicht mehr Personal. Wegen der hohen Belastung werden zusätzlich viele Mitarbeiter krank. Die Vertretung übernehmen wir, manchmal für mehrere Monate. Dann betreue ich schon mal über 120 Familien gleichzeitig. Das ist unzumutbar. Wir brauchen neue Mitarbeiter mit Erfahrung. Aber durch das Einstiegsgehalt von 1600 Euro im Monat bewerben sich fast nur Berufsanfänger auf offene Stellen. Neben meinem täglichen Pensum arbeite ich daher auch neue Mitarbeiter ein. Das dauert lange. Viele neue Kollegen verlassen uns aber wieder schnell, da die Verantwortung von Beginn an sehr hoch ist.

Durch die Einführung des Kinderschutzparagrafen gibt es Kinderschutzbögen, die wir bei jeder Meldung verpflichtend ausfüllen müssen. Das ist wichtig, damit junge Erwachsene später Entscheidungen genau nachvollziehen können. Aber die Dokumentation erfordert unendlich viel Zeit. Oft sind es pro Fall mehr als 30 Seiten, sodass ich Stunden oder Tage brauche, um nur einen meiner 80 regulären Fälle vollständig zu dokumentieren. Das heißt, dass ich mehr am Computer tippe, als bei Familien vor Ort zu sein.

Wenn Menschen in einer Krise sind, haben sie ein Recht darauf, Hilfe zu bekommen. Oft müssen die Familien aber wegen der hohen Fallzahlen wochenlang warten. Immer öfter muss ich vom Schreibtisch aus entscheiden, was mit einem Kind passiert, anstatt mir vor Ort ein Bild zu machen. Jede Entscheidung kann gravierend sein. Zeitdruck birgt Risiken. Ich habe Angst, Kinder schneller aus einer schwierigen Situation herauszunehmen, um mich selbst abzusichern.

Ich bin der Meinung, dass die Jugendämter neu aufgestellt werden müssen. Für Berufsanfänger sind Einarbeitungskonzepte notwendig, um die neuen Mitarbeiter fachlich gut zu begleiten. Wir brauchen auch ein Modell für ältere Kollegen, damit die Fallbelastung abnimmt. Es fehlt nicht an innovativen Ideen, sondern an Mitteln, diese umzusetzen. Ich möchte eine faire Bezahlung und eine Fallbegrenzung von höchstens 50 Fällen pro Mitarbeiter. So geht es nicht mehr weiter.

Wir haben ein politisches Problem. Daher brauchen wir Verbündete in der Politik, die uns unterstützen – und zwar nicht erst, wenn das nächste Kind stirbt."

"Wir lindern nur die Symptome, die Ursache bleibt"

Henriette Zorn, 24

„Ich trage die Verantwortung für etwa 90 Familien. Dafür erhalte ich so wenig Geld, dass ich eine eigene Familie davon nicht ernähren könnte. Trotzdem liebe ich meinen Job. Wenn ich morgens zur Arbeit komme, blinkt schon der Anrufbeantworter. Familien brauchen meine Hilfe. Ich kann mich nicht sofort mit ihnen beschäftigen, da gleich der erste Termin beginnt: ein Gespräch, eine Hilfeplanung oder eine Beratung. Diese muss ich danach ausführlich dokumentieren. Termine folgen, Familien, Schulen oder die Polizei rufen an und stellen viele Fragen. Zwischendurch kommen Notfälle rein, um die ich mich sofort kümmern muss.

Als Berufsanfänger fühle ich mich manchmal noch unsicher, schwierige Entscheidungen zu treffen. Natürlich kann ich meine Kollegen fragen. Aber wenn ich sehe, wie belastet diese sind, traue ich mich nicht immer. Aber jeder Fall ist anders, jede Familienkonstellation ist verschieden. Es gibt keine Muster. Es braucht daher Jahre, um sicherer in seinen Entscheidungen zu werden. Trotzdem werde ich bald zum ersten Mal jemanden einarbeiten, obwohl ich selbst noch nicht mal fertig eingearbeitet bin.

Vergangenes Jahr bin ich schwer erkrankt. Trotzdem bin ich eine Woche früher als ärztlich empfohlen zum Dienst zurückgekehrt. Ich hatte ein schlechtes Gewissen. Wenn ich krank bin, müssen meine Kollegen zur täglichen Belastung auch meine Arbeit übernehmen. Das bedeutet für die Familien, dass sie noch länger auf Unterstützung warten müssen.

Wenn wieder eine Kindesvernachlässigung durch die Presse geht, heißt es, das Jugendamt wusste Bescheid. Aber niemand hat die Möglichkeiten, sich intensiv um so viele Familien auf einmal zu kümmern. Einige meiner zu betreuenden Familien habe ich noch nie zu Hause besucht. Manchmal stehen Familiennamen in meinem Kalender, bei denen ich überlege, ob ich die Familie überhaupt betreue.

Durch die vielen Fälle können wir Problemen kaum noch vorbeugen. Das heißt, dass wir erst aktiv werden können, wenn ein Problem akut wird. Wir lindern so nur die Symptome, die eigentliche Ursache bleibt. Das ist falsch. Manchmal wache ich nachts auf und habe Angst, dass ich etwas vergessen oder übersehen haben könnte."

"Ich fordere eine Höchstgrenze von 28 Familien pro Mitarbeiter"

Monika Birth, 55

„Ich arbeite seit Jahren über dem Limit. Ich mache meine Arbeit eigentlich gern. Unter den gegenwärtigen Bedingungen weiß ich jedoch nicht, ob ich noch zehn Jahre durchhalte. Ich arbeite nicht mit Fällen oder Akten, sondern mit Menschen. Zu einem Fall gehören neben den Kindern auch die Eltern, Verwandte, Freunde, Lehrer und Erzieher. Daher sind 80 oder 90 Fälle nicht einfach 80 oder 90 Kinder, um die es geht, es sind ganze Familiensysteme. Deshalb fordere ich eine Höchstgrenze von 28 Familiensystemen pro Mitarbeiter.

Mir gefällt nicht, dass die technische Ausstattung der Jugendämter zum Teil sehr veraltet ist. Es fehlen Computerprogramme, um das Ausfüllen von Formularen zu erleichtern. Viele dieser Formulare ändern sich zudem mehrmals im Jahr. Immer müssen wir uns neu orientieren. Es fehlen außerdem Datenbanken, die Wohneinrichtungen für Kinder anzeigen. All das muss ich manuell im Internet recherchieren. Dadurch geht mir wertvolle Zeit für die Familien verloren.“

Protokolle: Katharina Fiedler

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