zum Hauptinhalt
Ein Funkwagen der Polizei im Einsatz.

© Kai-Uwe Heinrich

Personalmangel wegen schlechter Bezahlung: Neukölln muss mobile psychiatrische Notversorgung einstellen

Psychologen vor Ort deeskalieren Streitfälle und helfen Polizei und Feuerwehr bei ihren Einsätzen. Diese Unterstützung fällt in Neukölln erst einmal weg.

Sechs Psychologen sollten eigentlich beim Sozialpsychiatrischen Dienst (SpD) des Bezirksamts Neukölln arbeiten. So steht es im Stellenplan. In Wirklichkeit arbeiten dort aber derzeit nur drei, und das hat Folgen: Die frühzeitige sozialpsychiatrische Versorgung im Bezirk ist akut gefährdet. Denn die Psychologen können nicht hinzukommen, wenn zum Beispiel Polizei oder Feuerwehr eine oder mehrere psychisch auffällige Personen antreffen.

Im Optimalfall erscheint ein Experte des SpD am Einsatzort und beschäftigt sich mit dem Problemfall. Entweder besänftigt er die Person, weil er sie von früheren Einsätzen kennt. Oder er entscheidet, dass sie erst einmal in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen werden muss, weil sie sich oder andere gefährdet. Auf jeden Fall kann der SpD-Experte frühzeitig eingreifen und im besten Fall deeskalieren.

Aber jetzt sind Polizei und Feuerwehr in den allermeisten Fällen auf sich gestellt. Da sie keine Psychologen sind, weisen sie auffällige Menschen automatisch ein. Ein Anruf beim SpD ist zwecklos. Dort antwortet in den allermeisten Fällen nur der Anrufbeantworter.

Die Amtsärzte, die Polizei und Feuerwehr die Arbeit abnehmen könnten, sind anderweitig im Einsatz. Sie müssen in stationären psychiatrischen Einrichtungen Patienten begutachten, die eingewiesen worden sind. Es steht ja die Entscheidung an, ob sie zunächst in der Einrichtung bleiben müssen oder wieder entlassen werden. Länger als 48 Stunden dürfen sie nicht festgehalten werden, dann muss eine Entscheidung fallen. Sonst wäre das Freiheitsberaubung.

Gesundheitsstadtrat fordert bessere Bezahlung

Deshalb schlägt jetzt Neuköllns Gesundheitsstadtrat Falko Liecke (CDU) Alarm: „Die sozialpsychiatrische Versorgung psychisch kranker Menschen ist nicht mehr gewährleistet. Das gefährdet die erkrankten, aber auch alle anderen Menschen in dieser Stadt.“ Als Grund für die Misere sieht er die schlechte Bezahlung dieser medizinischen Experten.

Zwar stimmt es nicht ganz, was Liecke behauptet. Die Versorgung als solche ist selbstverständlich gewährleistet. Gefährdet beziehungsweise nicht möglich ist derzeit die Versorgung bei einem Polizei- oder Feuerwehreinsatz.

[In unseren Leute-Newslettern aus den zwölf Berliner Bezirken befassen wir uns regelmäßig unter anderem mit Gesundheitspolitik. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Das aber kann Folgen haben. Am 18. Juni griff ein psychisch auffälliger 34-jähriger Mann bei einem Polizeieinsatz in Neukölln Beamte an und verletzte nicht weniger als zwölf von ihnen. Der Mann war dem SpD bekannt. Hannes Rehfeldt, der Sprecher von Liecke, hält es für wahrscheinlich, dass mit einem SpD-Psychologen vor Ort die Situation nicht so stark eskaliert wäre. Sicher ist er sich allerdings nicht.

Am 1. Juli, so Rehfeldt, sei zwar eine weitere Ärztin eingestellt worden, aber die ist Allgemeinmedizinerin und muss erst für den SpD-Dienst geschult werden. Ebenso wie ein Neurologin, die am 1. Oktober ihren Dienst antritt.

Das Problem ist nicht neu, Liecke beklagt immer wieder den Mangel an Amtsärzten. So seien alle drei Arztstellen in der Hygiene- und Umweltmedizin nicht besetzt. Und ab September werde es in Neukölln weder einen leitenden Amtsarzt noch einen Stellvertreter für ihn geben. Liecke erklärte zudem, dass es ab 2022 nur noch in vier Bezirken einen leitenden Amtsarzt geben werde.

Ein Amtsarzt verdient derzeit im Monat rund 1000 bis 1500 Euro weniger als ein Klinikarzt. Ein Bewerber, der sich bei ihm vorstellte, erzählt Lieke, ein Arzt aus Schleswig-Holstein, lehnte den Job in Neukölln ab, als er erfuhr, dass er 20 Prozent weniger als bisher verdienen würde.

Im nächsten Jahr immerhin sollen Amtsarztstellen in Berlin höher als bisher besoldet werden. Das bedeutet eine Gehaltserhöhung zwischen 320 und 1900 Euro im Monat.

Zur Startseite