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Berlin: Peter Müller-Schaefer (Geb. 1942)

„Ich bezahle pünktlich Miete und respektiere die Eigentumsverhältnisse“

Er beugt sich über seine Schreibmaschine und tippt einen Brief an den Innensenator von Berlin. Die Sache ist ernst, es geht um seinen Job. Er will wissenschaftlicher Assistent und Beamter auf Probe werden. Doch es ist 1977, Peter ist 35 Jahre alt und will außerdem die Welt verändern. Er leitet einen Karl- Marx-Lesekreis, debattiert streng dialektisch, trägt Professoren aus dem Hörsaal. Berlin ist der Wahnsinn: die Frauen, die Politik, die Aktionen. Raus aus Remscheid, rein ins Leben.

Er wird von einer linken Splitterpartei, deren Mitglied er nicht ist, gefragt, ob er sich als Ersatzmann aufstellen lassen würde. Peter sagt zu. Dickköpfig wie er ist, beharrt er auf seinen Prinzipien. Kein Staat soll ihm sagen, was er tun darf und was nicht. Eigenständig will er sein und unabhängig. Im Gegensatz zu den anderen, die wie Peter dichte Bärte und runde Brillen tragen, von Marx und der Arbeiterklasse sprechen, weiß Peter wie man Kabel verlegt und Klos repariert. Interessiert er sich für Akupunktur, bringt er es sich selber bei. Er repariert Autos und setzt abbruchreife Fachwerkhäuser instand. Wochenlang lernt er programmieren, bis er den Robotron-Drucker dazu bringt, Blocksatz zu drucken. Ein Wassersprudler muss her, denn Selter ist zu teuer. Also bastelt Peter eine Maschine, mit Knöpfen und Hähnen und einer CO2-Flasche, die aussieht wie ein Mini-U-Boot.

Peters Kandidatur bei den Umstürzlern bleibt nicht unbemerkt. Der Innensenator fordert eine Erklärung und droht mit Berufsverbot. Peter tippt in seine Schreibmaschine: „Ich möchte Ihnen einige Beispiele meines aktiven Eintretens für die FDGO schildern: Ich bezahle pünktlich meine Miete und respektiere damit die bestehenden Eigentumsverhältnisse. Beim letzten Fußball-Weltmeisterschaftsspiel gegen Holland habe ich laut ‚Franzl vor, noch ein Tor‘ gerufen. Zeugen sind benennbar. Die Straßenverkehrsordnung bejahe ich inhaltlich völlig und überhole zum Beispiel auf Autobahnen niemals rechts. Ich hoffe, damit die letzten Zweifel an meiner Eignung beseitigt zu haben.“

Schon in der achten Klasse wird Peter nahegelegt, sich mit einem Volksschulabschluss zu begnügen. Es gäbe da erhebliche disziplinarische Probleme. Peters Spezialität ist es, aus der letzten Reihe spöttische Kommentare in die Klasse zu werfen. Einmal muss die Mutter zum Direktor, weil Mitschüler von Peters Monstergeschichten Albträume bekommen. Peter ist froh über den Rauswurf. Schule mag er nicht, als Hilfsarbeiter verdient er und kann die Mutter unterstützen. Wenn sie von der Arbeit kommt, macht er ihr das Essen warm. Wenn das Geld alle ist, schickt sie ihn einkaufen. Er kann so mitleiderregend schauen, den lassen sie anschreiben. Am Wochenende gehen die beiden kilometerweit, um sich die Tiere im Zoo anzuschauen. Seinen Vater sieht er nur, wenn er den Briefumschläge mit dem Unterhalt von ihm abholt.

Peter macht eine Ausbildung zum Schlosser, wird Teilkonstrukteur. Er zeichnet den Türgriff einer VW-Käfer-Serie. Aber auf den Fotos sieht der 20-Jährige müde und alt aus. Die Mundwinkel sind nach unten gezogen und die Schultern gebeugt. Er muss raus aus Remscheid und neu anfangen. Auf einem Internat für Erwachsene macht er sein Abitur nach. Vier Jahre nur lernen, das macht Spaß. Auf den Fotos mit den Schulkameraden lacht er wieder. An der Freien Universität erlangt er ein Diplom in Erwachsenenpädagogik – und wird wissenschaftlicher Mitarbeiter, natürlich verfassungstreu.

Peter ist 40, als er die hübsche Absolventin auf einer Party kennenlernt. Er tanzt mit ihr und umgarnt sie. Er wirkt jung und abenteuerlich, kein bisschen blutleer wie die anderen Akademiker. In derselben Nacht will er mit ihr an den Nacktbadestrand vom Schlachtensee fahren. Lieber nicht, sagt sie. Trotzdem werden sie ein Paar. Und Partner. Als Kommunikationstrainer machen sie sich selbstständig und geben Seminare für Firmen.

Weil Peter aus seiner ersten, kurzen Ehe einen Sohn mitbringt, schon Ende 40 ist und sowieso ständig daran zweifelt, ob er je ein guter Vater war oder je sein würde, schiebt er ihr Drängen beiseite. Bis es keinen Ausweg mehr gibt: Jetzt oder nie. Mit 50 bekommt er noch einmal zwei Mädchen, alle zusammen wohnen sie am Südstern, 4. Stock, Blick auf die Hasenheide. Am Esstisch singt er Lieder und stellt Denksportaufgaben. Wie alt die Kinder genau sind oder in welche Klasse sie gehen, vergisst er regelmäßig. Wichtiger ist ihm, dass sie ihr Talent entdecken und dass sie etwas daraus machen. Die Zeit muss genutzt werden.

Als der Krebs kommt, gibt ihm der Arzt noch ein Jahr. Peter ist traurig, aber er versucht mit dem Tod umzugehen, wie mit einem Projekt. Erst heiraten sie – nach 30 Jahren Beziehung –, dann saniert er noch ein Haus in Reinickendorf. Die Familie ist abgesichert, da fällt etwas von ihm ab. Der Drang immer weiterkommen zu müssen, ist weg. „Dies ist die glücklichste Zeit meines Lebens“, sagt er. Und hat noch drei Jahre. Ohne Druck nutzt er jeden Tag davon.

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