zum Hauptinhalt
Tagesspiegel-Kolumnist Peter Wittkamp.

© Peter von Felbert

Peter Wittkamp macht Schluss: „Sorry. Es lag nicht an euch, es lag an mir“

Leben in der Stadt der Abschiede? Vorteilhaft, findet unser Kolumnist – und verabschiedet sich an dieser Stelle von seinen Leserinnen und Lesern.

Bevor ich vor circa 15 Jahren nach Berlin kam – nur noch 85 Jahre und ich bin endlich kein Zugezogener mehr – studierte ich in der schönen Universitätsstadt Bamberg. Es gibt einiges in Bamberg. Sehr viel Bier zum Beispiel, darunter eines, das kräftig nach Schinken schmeckt. Muss man mögen. Nach dem zweiten geht es aber erstaunlicherweise.

Es gibt zudem eine wunderschöne Altstadt und süße kleine Gässchen und Brückchen, die die zahlreichen Kneipen und Restaurants in dieser Altstadt verbinden. Es gibt ziemlich viele Studierende und es gibt sogar einen Basketballverein, der in den vergangenen Jahren gar nicht so schlecht dribbelt. Es ist eine lebenswerte Stadt – aber eines gibt es dort nicht: Abschiede.

Aktuell beliebt bei Tagesspiegel Plus:

Bamberg ist zu klein für Abschiede. Das hat zum Teil auch Vorteile. Wer sich in einen der zahlreichen Studierenden verguckt, muss nicht wie in anderen Städten überlegen, ob und wie er die Person seines Herzens denn nun ansprechen sollte. In Bamberg kann man sich Zeit lassen. Denn man sieht sich wieder. Vielleicht nicht diese Woche, aber dafür sicher nächsten Monat. Und wenn dann nicht, dann eben bei dieser einen großen Party, zu der alle kommen.

Nicht von jemandem Abschied nehmen zu können, hat natürlich auch Nachteile. Denn ab und zu trifft man ja auch Personen, in die man sich nicht verliebt, sondern eher das Gegenteil: die man richtig doof findet. Aber auch die hat man in Bamberg immer wieder gesehen. Vielleicht sogar noch einen Tick zuverlässiger als die, die man richtig gut fand.

Berlin hingegen ist eine Stadt der Abschiede. Das fängt schon bei den verschiedenen Kiezen an. Ich habe bereits in Friedrichshain, Prenzlauer Berg, Kreuzberg und Neukölln gewohnt. Bei jedem Umzug habe ich von einem kleinen, sehr lieb gewonnen Kiez Abschied genommen. Von „meinem“ Späti, von einem Stamm-Supermarkt, von einem großartigen Restaurant und natürlich von einer Bar, die ich viel zu oft besuchte.

Manche Menschen hätte ich gerne zufällig wiedergesehen

„Auch wenn ich ab sofort woanders wohne, in diesen liebgewonnen Kiez kehre ich auf jeden Fall noch öfter hin zurück“, sagt man sich dann, um den Abschiedsschmerz etwas zu lindern – doch zwei Monate später ist diese Lüge meist vergessen. Ich bin nie wieder zurückgekommen. Wenn überhaupt nur zufällig. Ich habe mit diesen Kiezen einfach Schluss gemacht. Sorry. Es lag nicht an euch, es lag an mir.

Unser Kolumnist geht auf Abstand. Aber nicht zu anderen Menschen, wie der Mann auf diesem Symbolfoto, sondern zum Tagesspiegel.
Unser Kolumnist geht auf Abstand. Aber nicht zu anderen Menschen, wie der Mann auf diesem Symbolfoto, sondern zum Tagesspiegel.

© Imago/agefotostock

Abschied von Menschen zu nehmen ist in Berlin ebenfalls leicht möglich. Berlin ist so groß, dass man diese Menschen einfach nicht wiedersieht. Das ist natürlich vorteilhaft, wenn man sich mit dem Ansinnen trennt, nie wieder etwas von dieser Person hören zu wollen. Doch ich fand es häufig nicht ganz so zufriedenstellend.

Die Menschen, zu denen eine tiefe Freundschaft aus eigentlich – wie das immer so ist – im Nachhinein völlig nichtigen Gründen zu Ende ging, hätte ich gerne mal wieder zufällig getroffen. Doch sehr oft geschieht das eben nicht.

In Bamberg war das eben anders. Man lief sich allerspätestens nach zwei Monaten in einem engen Gässchen über den Weg und mit einer Wahrscheinlichkeit von circa 95 Prozent war in unmittelbarer Nähe eine Biertrinkmöglichkeit zur direkten und unkomplizierten Besprechung des Vorgefallenen.

In meiner direkten Nachbarschaft hier in Neukölln gab es vor einigen Jahren die Pizzeria „La Musica“. Es war definitiv kein Nobelitaliener, aber man konnte mittags für vier Euro eine Pizza oder Spaghetti essen. Ein Angebot, dass ich häufig in Anspruch nahm. Oft blieb ich noch mit meinem Laptop ein Stündchen sitzen, arbeitete ein wenig und rauchte dabei. Denn – jüngere Menschen werden es kaum glauben – es gab einen Raucherraum.

Während ich also im „La Musica“ aß und saß, lernte ich natürlich auch ein wenig das Personal kennen. Es gehörte irgendwie zu meinem Alltag. Gute Bekannte, die mir günstig Essen vermittelten. Ab und zu Small Talk. Gruß auf der Straße. Das war schön. Die Pizzeria hat irgendwann dicht gemacht. Ich habe meine Spaghetti-Connection leider niemals wiedergesehen. Sie waren von einem Tag auf den anderen aus meinem Leben verschwunden.

Es hat eben nicht immer nur Vorteile, in einer so großen Stadt zu leben. In Berlin muss man ständig darauf vorbereitet sein, jemanden nicht mehr wiederzusehen. Manchmal kommt es ganz überraschend. Fast aus dem Nichts. Dies hier ist übrigens meine letzte Kolumne für den Tagesspiegel. Ich danke der Redaktion und natürlich Ihnen allen für das Lesen meiner Texte und die ein oder andere sehr freundliche Zuschrift. Wir sehen uns wieder. Notfalls in Bamberg.

Peter Wittkamp ist Werbetexter und Gagschreiber. Er ist derzeit Hauptautor der „Heute Show Online“ und hat die Kampagne #weilwirdichlieben der Berliner Verkehrsbetriebe mit aufgebaut. Ab und zu schreibt er ein Buch, publiziert bei Instagram als Peter_Wittkamp oder twittert unter dem leicht größenwahnsinnigen Namen @diktator. Im Tagesspiegel hat er seit 2020 alle 14 Tage ein Berliner Phänomen beleuchtet, dieses ist seine Abschlusskolumne.

Peter Wittkamp

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false