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Pfaueninsel: Der Havel-Cowboy

Die Pfaueninsel ist, was sie zu Königs Zeiten war: ein Park mit Landwirtschaft. Matthias Sinnok ist dort Tierpfleger. Und Bauer, Gärtner, Schafscherer ...

Von Susanne Leimstoll

In letzter Zeit geht aber auch alles schief. Erst musste er Baba, den 18-jährigen Haflinger, einschläfern lassen. Blinddarmverstopfung. War nichts mehr zu machen. Begraben der Plan, mit Baba und Olaf, dem zweiten Haflinger, auf der Pfaueninsel doppelspännig zu pflügen wie mit den ersten beiden Pferden. Olaf hat jetzt zugekaufte Gesellschaft: die Shetlandponys Heidi und Hanni. Müssten auf der Koppel hinter der Meierei stehen, tun sie aber nicht. Sind abgehauen. Matthias Sinnok presst das Handy ans siebenfach gepiercte Ohr, er hat endlich den Elektriker dran. „Et is keen Saft mehr uffm Hauptzaun!“

Keine Spannung auf der Absperrung, die Pferde büxen ständig aus, die sind ja nicht blöd, die merken das. Und er hat noch so viel zu tun bis halb vier: einen Zaun für die Schafe aufstellen, und der Hufschmied kommt, aber Olaf fehlt. Matthias Sinnok ist der Tierpfleger der Pfaueninsel. Und ihr Kutscher, Bauer, Gärtner, Wiesenmäher. Einer der Angestellten, die in diesem Freiluftmuseum die Illusion von Landwirtschaft wie zu Königs Zeiten bewahren sollen. Vieh halten, pflügen, eggen, Korn mähen, Kartoffeln aus dem Acker bringen mit alten Geräten und Gespann. Von der Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten angestellter Landwirt. Am Gehöft, der Meierei, die aussieht wie vom Kinderbuchzeichner entworfen – neogotische Wirtschaftsbauten, die seit Schinkels Zeiten so tun, als seien sie verfallende römische Landhäuser –, blöken sechs schwarze, rauwollige Pommern- und zwei gehörnte Gotlandschafe samt Zicklein. Matthias Sinnok hat sie mitgebracht, denn er ist auch Schafzüchter. Wenn er über Land fährt, ist er leicht auszumachen: „www.der-schafscherer.de“ steht auf seinem Transporter.

Im Moment ist er Cowboy. Er ruckelt den Lederhut zurecht, macht Müsli in einen Eimer und brüllt, während er das Futter schüttelt, über die matschige Koppel: „Olaf, alte Dampframme, komm her!“ Nach dem vierten Mal preschen die Pferde um die Kurve. Sinnok grinst und dreht sich ’ne Zigarette, die er dann nicht raucht, weil das hier verboten ist. Und bevor er geht, macht er lieber noch ein, zwei Baumstämme vor den Koppelzaun.

Der Potsdamer lebt mit Frau und drei Kindern, wo er aufwuchs: im Havelort Schmergow. Er hat neben dem großelterlichen Haus gebaut. Dass er Gärtner wurde, dann Treckerfahrer und Schafscherer, hat sein Opa zu verantworten. „Ich bin immer ein kleiner Bauer gewesen“, sagt Sinnok. Die Eltern waren Gärtner, der Großvater hielt Karnickel. „Mit zehn hatte ich vier Schweine.“ Zimperlich sein galt nicht, der Opa war Vorbild. „Bis zuletzt mit 78 Jahren ist der morgens um fünf aufgestanden.“

Matthias Sinnok machte eine Lehre als Zierpflanzen-Gärtner. Aber der Junge entwickelte sich, wurde renitent, wollte plötzlich Schlosser sein. Als die LPG Werder, wo er seine Lehre gemacht hatte, nach der Wende den Bach runter ging, weil Ost-Gemüse unter neuen holländischen Betreibern nicht mehr gefragt war, als Sinnok seinen Wehrdienst in Bundeswehruniform beendete und den Lkw-Führerschein hatte, wechselte er zur Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten. Im Parkrevier eins von Sanssouci brauchten sie einen Treckerfahrer. Sinnok bekam den Job: Wiesenschnitt, schreddern im Winter, mulchen, mähen, Heu pressen, Bäume fällen in den großen Parks. Schwere Arbeit, einmal die Woche Spritzen vom Orthopäden. Gegen seine Macke mit der Landwirtschaft gab’s keine Medizin. Privat hatte er Pferde und einen Schein fürs Kutschfahren. Auf der Pfaueninsel gab’s eine Stelle für so jemanden, aber keine Pferde. Das passte. Seit 2003 baut er den Betrieb auf dem kleinen Gehöft mit aus. „Allet bio“, sagt er. Fünf Mann hoch halfen die Stiftungsgärtner auf dem Acker Unkraut zupfen. „Anderswo könnte man sich so was gar nicht leisten.“

Nach Dienstschluss am Nachmittag arbeitet er auf dem eigenen Hof weiter. „Ick hab angefangen zu spinnen.“ Für das halbe Hektar Grundstück am Haus legt er sich zwei Schafe zu. „Dann hol ich mir’n Bock, da waren’s vier. Cool!“ Mit einer Herde von 30 hat er Wiesen dazugepachtet, Naturschutzfläche, zehn Hektar Grünland. Sinnok ist einer vom alten Schlag, er mag Landschaft naturbelassen, alles, bloß kein Raubbau. Andere hocken abends vor dem Fernseher, er geht raus zu den Schafen, nimmt Netze mit, steckt ’nen Zaun. Im März, zur Ablammzeit, nimmt er einen Monat Urlaub, dann schläft er bei den Tieren im Bauwagen. Das Schafscheren fing er nach einem Kursus an. Heute kriegt er Aufträge ohne Ende, geht auf Schur-Tour: gestern Rangsdorf, Schönefeld, Großziethen, Teltow, Werder. Fünf Minuten braucht er für ein schickes, pralles, zehn für ein dürres Schaf. Nach der Schur gibt’s von netten Kunden ein Käffchen, dann raucht er ’ne Selbstgedrehte. Reich wird er so nicht, aber sein Job ist kein Job, für ihn ist es das pure Glück. „Da kriegt man Muskeln“, sagt er. „Und schau mal, wie braun ich bin.“ Er ist jetzt 38, spürt’s im Kreuz. „Ich geh’ zur Rückenschule“, sagt er. Eine Sekunde lang werden die verschmitzten Augen ernst. „Ich muss schon aufpassen“, sagt er. „Was mach ich bloß, wenn ich das alles nicht mehr kann? Nee, geht nich.“

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