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Berlin: Pflege verkauft - AWO schrumpft: Firma übernimmt Sozialstationen

Die Amputation ist beendet, doch drohen weitere Notoperationen: So lässt sich die Situation der Berliner Arbeiterwohlfahrt (AWO) im Bereich der häuslichen Alten- und Krankenpflege beschreiben. Jeden Monat machen ihre Sozialstationen Verluste von zusammen mehr als 100 000 Mark, weshalb die AWO zum 1.

Die Amputation ist beendet, doch drohen weitere Notoperationen: So lässt sich die Situation der Berliner Arbeiterwohlfahrt (AWO) im Bereich der häuslichen Alten- und Krankenpflege beschreiben. Jeden Monat machen ihre Sozialstationen Verluste von zusammen mehr als 100 000 Mark, weshalb die AWO zum 1. November den ersten Einschnitt vollzog. Sie verkaufte ihre Pflegegesellschaft im Südwesten Berlins, unter deren Dach fünf Sozialstationen zusammengefasst sind. Erworben wurde sie von der privaten Pflegefirma "Senioren in Berlin eGmbH". Doch auch die beiden anderen AWO-Pflegegesellschaften im Norden und Südosten sind in Gefahr, falls nicht schnellstens eine erfolgreiche Finanztheapie beginnt. Zum heiß diskutierten Sanierungsplan gehört ein Not-Tarifvertrag. Er würde den 600 Mitarbeitern herbe Nachteile bringen.

Die verbleibenden AWO-Sozialstationen betreuen rund 1000 ältere oder kranke Menschen, um ihnen die Selbstständigkeit zu Hause zu bewahren. Die abgegebene Pflegegesellschaft Südwest kümmert sich um etwa 700 Menschen, denen wegen des Verkaufs laut AWO-Geschäftsführer Hans-Wilhelm Pollmann "keine Nachteile entstehen". Pollmann geht davon aus, "dass der neue Betreiber "qualitätsvoll arbeitet".

Gute Leistungen sind auf dem heftig umkämpften Pflegemarkt allerdings keine Garantie für wirtschaftlichen Erfolg. Das bekam die AWO seit Mitte der 90er Jahre zu spüren, als das damals in Kraft getretene Pflegeversicherungsgesetz private Konkurrenz förderte. Zuvor waren die Pflegedienste eher eine Domäne der Wohlfahrtsverbände. Doch nun gerieten diese von zwei Seiten unter Kostendruck: Zum einen hatten sie einen Wettbewerbsnachteil, weil sie ihre Mitarbeiter meist angelehnt an öffentliche Tarifverträge entlohnen, die "Privaten" aber 20 Prozent weniger zahlen. Zum anderen nutzten die Pflege- und Krankenkassen seit 1999 die Konkurrenz unter den Anbietern und senkten ihre Pflegesätze um zehn Prozent.

Das zwang auch die AWO dazu, ihre Arbeit effizienter zu organisieren. Sie setzte Personal flexibler ein: War auf einer Sozialstation wenig zu tun, mussten deren Mitarbeiter in stärker frequentierten Gebieten aushelfen. Darüber hinaus versuchte man, Einsätze rationeller zu planen. Leerlauf sollte vermieden werden.

Doch all diese Bemühungen konnten den finanziellen Kollaps nicht aufhalten. Schließlich trennte sich die AWO von ihrer verlustreichsten Pflegegesellschaft. Die "Senioren in Berlin eGmbH" musste dafür keine hohe Summe aufbringen - die AWO war froh, einen Schuldenbringer loszuwerden. Was nun aber auf dessen Personal und die Patienten im Südwesten zukommt, ist völlig offen und ängstigt Betroffene. Der Optimismus des AWO-Chefs vermag sie kaum zu beruhigen. Denn irgendwie muss der neue Träger aus der Verlustzone kommen: Das wird ohne Abstriche beim Personal und der Betreuung kaum möglich sein. Die Senioren in Berlin eGmbH wollte sich dazu gestern nicht äußern.

Schmerzliche Einkommensverluste müssen vermutlich auch die Mitarbeiter der verbleibenden AWO-Pflegesellschaften hinnehmen. Nach dem bisherigen Sanierungskonzept sollen sie im kommenden Jahr auf zehn Prozent ihres Lohnes sowie das Urlaubs- und Weihnachtsgehalt verzichten. Doch die Dienstleistungsgewerkschaft "Ver.di" will dem nur zustimmen, falls die AWO zu weiteren "strukturellen Rationalisierungen" bereit ist. Andernfalls würde man umsonst Verzicht leisten, heißt es. "Dann stehen wir in einem Jahr wieder vor der gleichen Pleite."

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