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Sorgte für mächtig Verwirrung bei Pharmaexperten und in der Landesregierung: Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD).

© Wolfgang Kumm/dpa

Pharmakonzern widerspricht Kalayci: „Berlin ist für die Produktion von Impfstoffen nicht geeignet“

Berlins Gesundheitssenatorin Kalayci preschte mit guten Absichten vor – Pharmakenner, Opposition, selbst Landeschef Müller waren irritiert.

Dilek Kalayci hat Berlin als möglichen Standort für die Produktion von Corona-Impfstoff bezeichnet – und damit irritierte die Gesundheitssenatorin nicht nur die Pharmaexperten und Abgeordnete, sondern auch ihren Chef.

„Ich habe heute früh unseren Regierenden Bürgermeister unterrichtet, dass ich und meine Behörde in guten Gesprächen mit Berlin-Chemie sind“, sagte SPD-Politikerin Kalayci am Donnerstag im Abgeordnetenhaus. Das Pharmaunternehmen Berlin-Chemie sei bereit, eine Impfstoff-Produktion aufzubauen.

„Wir prüfen gemeinsam einen schnellen Ausbau von Impfstoff-Kapazitäten“, sagte Kalayci. Der Firma aus Berlin-Adlershof sei möglich, die eigenen Anlagen „schnell auszubauen“: Eine geeignete Halle und Personal stünden zur Verfügung. „Mit unserer Unterstützung gehen wir davon aus, dass ein schneller Ausbau der Impfproduktion möglich ist.“

Doch was Kalayci am Morgen sagte, galt einige Stunden danach nicht mehr: „Die Technologie, über die das Unternehmen verfügt, ist für die Produktion von Impfstoffen nicht geeignet“, teilte der „Berlin-Chemie“-Vorstand mit. Schon zuvor hatten Kenner der Pharmabranche dem Tagesspiegel gesagt, sie rechneten nicht damit, dass in der Hauptstadt bald Impfstoff produziert werde – womöglich könnten in den nächsten Wochen aber Experten von Berlin-Chemie mit anderen Herstellern anderweitig kooperieren.

Noch ist nicht bekannt, dass Berlin-Chemie überhaupt mit einem der aktiven Impfstoff-Erfinder – Curevac, Biontech, Astrazeneca, Moderna – über Lizenzen und Aufträge verhandelt. Erhebliche Zweifel an Kalaycis Ansage waren auch aus der Opposition zu hören. „In Anbetracht der Impfstoff-Knappheit und der ständigen Lieferprobleme“ begrüße er die Ankündigung, sagte der FDP-Gesundheitsexperte Florian Kluckert: „Es bleibt zu hoffen, dass es hier nicht bei einem Lippenbekenntnis bleibt, sondern dass zügig mit der Produktion begonnen werden kann.“

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Kalayci habe konkrete Nachfragen unbeantwortet gelassen, sagte CDU-Wissenschaftsexperte Adrian Grasse, ihre Ankündigung stehe zudem im Widerspruch zu Äußerungen Michael Müllers vor zwei Wochen, als dieser eine Impfstoff-Produktion in Berlin ausgeschlossen habe: „Im rot-rot-grünen Senat weiß die linke Hand nicht, was die rechte tut.“

Senatschef Müller sprach von avisierter „Abfüllung von Impfstoff“, die „Mut“ mache

Aus der SPD war zu hören, Kalayci habe sich bis Mittwoch mit niemandem über ihr Vorhaben abgesprochen – auch wenn SPD-Fraktionschef Raed Saleh am Donnerstag mitteilte, sich über „die Ankündigung“ gefreut zu haben.

Entsprechend verhalten sprach Senatschef Müller nur Stunden nach der Aussage Kalaycis von avisierter „Abfüllung von Impfstoff“, die „Mut“ mache. Und bald konkretisierte der Landeschef seine Senatorin: Man prüfe, ob das Ostberliner Unternehmen beim komplexen Abfüllen der Präparate helfen könne.

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Während ein Sprecher der Gesundheitsverwaltung eine Tagesspiegel-Anfrage zur Konkretisierung der Kalayci-Aussage unbeantwortet ließ, erklärte Müller: „Das Thema Impfungen wird uns noch lange begleiten und daher sind solche mittel- und langfristigen Perspektiven in dieser noch immer sehr angespannten Situation unbedingt notwendig.“

Bayer will bei der Entwicklung des Impfstoffs von Curevac helfen

Konkreter, wenngleich bescheidener hatte sich Bayer zu Jahresanfang geäußert. Berliner Pharmazeuten des Konzerns wollen bei der Entwicklung des Corona-Impfstoffs der deutschen Firma Curevac helfen. So werden Experten der Bayer-Pharmasparte aus Berlin-Wedding in den letzten Schritten zur Zulassung eingesetzt. Es gehe dabei um Fragen der Arzneimittelsicherheit, Bayer habe mit der Zulassung neuer Medikamente viel Erfahrung, sagte Unternehmenssprecher Oliver Renner zu Jahresanfang: „Wir prüfen, an welchen Standorten das Sinn macht.“ Zuvor hatten der Chemiekonzern und die Tübinger Pharma-Entwickler Curevac verkündet, einen Kooperationsvertrag abgeschlossen zu haben.

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Einzelne Berlin-Chemie-Pharmazeuten helfen in Berlin allerdings seit Dezember beim Impfen selbst. So bereiten sie als Honorarkräfte in der „Arena“ die Spritzen mit dem Biontech-Impfstoff auf. Dem Robert-Koch-Institut zufolge sind in Berlin zuletzt fast 109.000 Impfdosen gespritzt worden, darunter circa 25.000 der nötigen Zweitimpfungen. Die Impfquote in Berlin liegt bei 2,3 Prozent, ein wenig über dem Bundesschnitt.

CDU-Gesundheitsexperte: „Ihre Teststrategie ist krachend gescheitert“

Senatorin Kalayci verkündete nicht ohne Stolz, dass ihre Landesregierung seit Oktober 2020 mehr als acht Millionen Antigen-Schnelltests beschafft habe, von denen 5,4 Millionen verteilt und die meisten davon an Kliniken, Seniorenheime und Pflegedienste gegangen seien. Die Opposition, munitioniert mit Berichten aus Heimen und Krankenhäusern, blieb streng: „Man muss heute sagen, dass Ihre Teststrategie krachend gescheitert ist“, sagte der CDU-Gesundheitsexperte, Tim-Christopher Zeelen, im Plenum des Abgeordnetenhauses.

Er wies darauf hin, dass 60 Prozent der Berliner Todesfälle infolge einer Sars-Cov-2-Infektion auf Pflegeheime entfielen. Die Schnelltests seien dort wochenlang eben nicht angekommen, Coronavirus-Ausbrüche nicht verhindert worden.

Kalayci eilte unbeirrt zur nächsten Ankündigung: An Schulen und Kitas kämen absehbar die neuen, für den Selbstgebrauch konzipierten Corona-Schnelltests zum Einsatz. Die Bundesregierung hatte angedeutet, dass Selbsttests ab März verfügbar seien. „Wir werden mehrmals in der Woche, bisher geplant zweimal die Woche, flächendeckend im Bereich der Bildung, aber auch in Berufsschulen und Kitas diese massen- und flächenmäßigen Testungen dann auch durchführen“, sagte Kalayci. Für die Teststrategie des Landes sei das „ein weiterer Meilenstein“.

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