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Kopf im Nacken. Die ersten Ballonfahrten wurden unten mit Spannung verfolgt. Das Bild zeigt Blanchards Flug. Foto: akg-images

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Berlin: Pionierin in der Gondel

Vor 200 Jahren wagte Wilhelmine Reichard eine Ballonfahrt über Berlin Sie war die erste deutsche Luftschiff-Pilotin. Ihre Zuschauer bezahlten Eintritt

Nur Fliegen ist schöner? Nicht an diesem 16. April 1811, als sich auch die Frauen anschickten, den Himmel über Berlin zu erobern. Ein trüber Tag, was dem zahlreich versammelten Publikum viel vom erhofften Vergnügen nahm: Keine zwei Minuten dauerte es, dann war das Fluggerät den Blicken entschwunden. Aber auch der kühnen Ballonfahrerin Wilhelmine Reichard bereitete das Wetter einige Probleme: „Merkwürdig war es, dass ich hier, obwohl in einer geringeren Höhe, mehr Kälte empfand als in einer oberen Region, und zwar so, dass ich Ohrenschmerzen bekam und den Kopf wie zusammengedrückt fühlte.“ Anfangs kreiselte der Ballon in Luftwirbeln, und zu sehen war im dichten Nebel sowieso nichts: „Das Glas der Instrumente war dermaßen mit Feuchtigkeit bedeckt, dass ich es reinigen musste, um die Angaben zu unterscheiden; von der Erde war um diese Zeit noch nichts zu erkennen.“ Rund 85 Minuten dauerte ihr Flug, nach etwa 26 Kilometern ging der Ballon bei Genshagen nieder.

Wilhelmine Reichard war die erste Deutsche, die es den männlichen Himmelsstürmern gleichtat, dies sogar im Alleinflug, eingewiesen durch ihren Mann Johann Carl Gottfried Reichard, Flugpionier auch er. Das Paar sollte es durch seine Flüge noch zu einigem Reichtum bringen, Reichard konnte sich damit 1821 im sächsischen Freital eine chemische Fabrik aufbauen – für die sächsische Landesvertretung in Berlin am Donnerstag Grund genug, das 200. Jubiläum des Fluges schon mal vorzufeiern.

Ganz Europa befand sich damals im Ballon-Fieber, das auch Berlin erfasst hatte. Als Erster war dort am 27. September 1788 der Franzose François Blanchard vom Exerzierplatz im Tiergarten aufgestiegen und zum Gebiet des heutigen Ortsteils Karow-Nord geflogen, woran dort der Ballonplatz erinnert. Auch Johann Carl Gottfried Reichard war von der Fliegerei infiziert. Er stammte aus Braunschweig, hatte in Berlin Chemie studiert und 1807 die aus seiner Heimatstadt stammende Wilhelmine geheiratet. Im selben Jahr war das Paar nach Berlin gezogen, erst in die nicht mehr existente Heiligegeiststraße, dann in die Rosenthaler Straße, konnte sich anfangs aber nur mühsam über Wasser halten. Daher dauerte es bis zum 27. Mai 1810, dass Reichard mit einem selbstkonstruierten Gasballon endlich aufsteigen konnte.

Seine Frau wollte unbedingt mit, das ließ er wegen der nicht abschätzbaren Gefahren nicht zu. Knapp ein Jahr später aber war es so weit, und das Ehepaar konnte in Zeitungen den Start für den 16. April, drei Uhr nachmittags, annoncieren: „Da Madame Reichard die erste deutsche Frau ist, welche es wagt, zum ersten Male und allein das Luftschiff zu besteigen, so wird diese Unternehmung gewiss interessant sein.“ Startplatz war der Garten der Königlichen Tierarzneischule, deren von Carl Gotthard Langhans erbautes Anatomisches Theater liegt im Winkel von Luisen- und Schumannstraße.

Der Ballon und die Gondel aus Weidengeflecht wurden zuvor gegen Entgelt in der Königlichen Bibliothek, der „Kommode“ am Opernplatz, gezeigt, auch für den Aufstieg verkaufte Reichard Karten. Es gab drei Tribünen, die Polizei sperrte großräumig ab. Aus dem Start um 3 Uhr wurde nichts, es gab Probleme beim Befüllen des Luftgefährts. Um zu sparen, hatte Reichard eine billigere Methode der Wasserstoffherstellung gewählt, die nicht funktionierte, musste dann wie gewohnt auf Eisenspäne und Schwefelsäure zurückgreifen, aber um halb sechs war es endlich so weit: Wilhelmine Reichard, „ein junges 23-jähriges Frauenzimmer, von zartem Körperbau und feiner Gestalt“, wie es in einem Blatt hieß, bestieg die Gondel, verneigte sich und stieg auf, erst langsam, doch rasch schneller. Bald war sie in den Wolken verschwunden.

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