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Piraten-Camp in Nauen: "Wir sind eben eine Partei von Individualisten"

Drei Tage zelten, drei Tage diskutieren. In Nauen bei Berlin haben sich an diesem Wochenende rund 150 Piraten getroffen, um über die Zukunft der Partei zu beraten. Viele hoffen nun auf bessere Schlagzeilen.

Samstag, kurz vor 14 Uhr – Groß Behnitz bei Nauen, rund 50 Kilometer von Berlin entfernt. Schon von weitem sind orangefarbene Schilder zu sehen. Zwischen zwei Bäumen ist eine Flagge der Piraten aufgespannt. „Klarmachen zum Ändern“ steht darauf – der Slogan der Partei.

Am Vortag hatten die Organisatoren mitgeteilt, dass Journalisten zwischen 14.45 und 17 Uhr in „Das Camp“ dürfen. Für den Sonntag gelten ähnliche Regeln. Berichten ja, allerdings nur von 13 bis 15 Uhr. „Wir wollen die familiäre Atmosphäre hier schützen“, erklärt Christiane Schinkel, eine der Organisatorinnen. „Eigentlich wollten wir gar keine Presse. Aber das geht ja auch nicht.“ Vor Ort geht es dann unerwartet pragmatisch zu. Journalisten, die etwas früher anreisen, werden hinein gelassen.

Auf dem Camp-Gelände herrscht beinahe Festivalstimmung. Mindestens 150 Piraten sind angereist, zum Teil aus ganz Deutschland, viele auch aus Berlin. Im Hintergrund ist eine Zeltlandschaft zu sehen. Manche übernachten gleich zwei Mal in Groß Behnitz. Im Innenhof des über 100 Jahre alten Gutshauses wird gegrillt und an der Bar die Flüssigkeitsversorgung sichergestellt. Eine Bühne gibt es zwar auch – anders bei einem Musikfestival ist diese aber im Haus und gesungen wird auch nicht – zumindest nicht während die Presse vor Ort ist. Über Groß Behnitz ziehen sich derweil erste Wolken zusammen. „Da wird heute noch ganz schön was runterkommen“, sagt eine junge Piratin.

Bilder vom Piratencamp in Groß-Behnitz

Regen oder nicht, zweieinhalb Tage wird hier diskutiert: von dem Einfluss des Internets auf die Gesellschaft bis hin zur Verteidigungspolitik im 21. Jahrhundert und dem Klassiker „liquid democracy“. Hinter diesem Begriff verbirgt sich der Gedanke, dass sich aktive Bürger jederzeit in den politischen Willensbildungsprozess einschalten können. Die – aus Sicht der Piraten – verkrustete repräsentative Demokratie soll aufgebrochen und durch unterschiedliche direktdemokratische Elemente ergänzt– je nach dem, wen man fragt, vielleicht sogar ersetzt werden.

Eigentlich sollte der Themenkomplex „liquid democracy“ bereits seit 30 Minuten vorbei sein, doch einige diskutieren noch. „Was passiert, wenn wir das zu Ende denken?“, fragt Referent Jörg Blumtritt in die Runde. „Das würde die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie bedeuten“, löst er auf. Manche wollen noch weiterdiskutieren. Man merkt, das Thema brennt ihnen unter den Nägeln. Doch die Runde löst sich auf – vorerst zumindest.

Auch Cornelia Otto ist zum Camp gekommen, um genau über solche Themen zu debattieren. „Macht und Herrschaftsstrukturen“ – so heißt der Titel ihres Vortrages, den sie am Abend halten wird. „Unser Diskurs muss lösungsorientierter stattfinden“, gesteht sie mit Blick auf die vergangenen Monate ein. Wie gehen die Piraten mit Rechtsradikalen in den eigenen Reihen um? Was sind angemessene Umgangsformen zwischen Parteimitgliedern? Und welche Vergleiche sollte man sich in der Öffentlichkeit besser sparen? Siehe Martin Delius und der vielfach gescholtene Vergleich zwischen Piraten und NSDAP. Zumindest in Berlin waren das in den vergangenen Monaten die bestimmenden Themen – und nicht liquid democracy.

Die jüngsten Streitereien seien oft aufgebauscht worden, meint die 37-jährige Cornelia Otto. Erschöpft sei sie aber von Leuten, die „ihre Befindlichkeiten in die Öffentlichkeit tragen.“ Namen nennt sie lieber keine. Wie sie sich die vielen Konflikte erklärt? „Wir sind eben eine Partei von Individualisten, die selbstbestimmt leben wollen.“ Von Medien und Öffentlichkeit erhofft sich Cornelia Otto einen faireren Umgang. „Manchmal hab ich das Gefühl, dass viele nur auf unsere Fehler warten.“

„Ist das Land bereit für die Piraten?“

Nach der Mittagspause füllt sich das Gutshaus schnell wieder mit Leuten. Draußen sind mittlerweile auch die letzten Sonnenstrahlen verschwunden. Stattdessen regnet es nonstop. Bevor es im Programm weiter geht, wird noch eine Durchsage gemacht. „Die Presse ist jetzt auf dem Gelände“, sagt ein Pirat in das Mikrofron. Es klingt wie eine Warnung.

15 Uhr – Pavel Mayer, der für die Piraten im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt, hat nun das Wort. Er spricht über die „Agenda 2100 - Wirtschaft, Arbeit und Soziales in ferner Zukunft“. Es ist ein „gewagter Titel“, wie er selbst meint. Er streift viele Themen: das Problem der Arbeitslosigkeit, das Rentensystem, die Schuldenbremse und Euro-Krise sind nur einige. Mit dem üblichen Rechts-links-Schema haben die Piraten so ihre Probleme, erklärt Mayer. „Ich finde wir stehen rechts vom linken Rand der SPD und links von der Mitte der CDU“, sagt Meyer. Da lachen manche, einer buht Mayer aus.

Daran zeigt sich noch ein weiterer parteiinterner Konflikt. Die Mandatsträger, also die Abgeordneten der Piraten, hätten sich zu weit von der Basis entfernt – so lautet ein oft vorgebrachter Vorwurf, insbesondere gegenüber den Parlamentariern aus Berlin. Pavel Mayer ist aber nicht nur Abgeordneter in Berlin, sondern auch wirtschaftspolitischer Sprecher seiner Fraktion. Er muss sich in landespolitische Themen einarbeiten, nicht nur Fragen aufwerfen, sondern auch mithelfen, diese zu beantworten.

Bilder vom Piratencamp in Groß-Behnitz

Die Parteibasis treibt hingegen ganz andere Themen um – zum Beispiel, dass Basis die falsche Bezeichnung für sie sei. „Es ist besser nur von Mitgliedern zu sprechen“, erklärt Gero Preuhs, stellvertretender Bundespressesprecher. Zwar habe er jetzt eine Funktion innerhalb der Partei inne. Das stelle ihn aber nicht über andere Parteimitglieder. Die Gegenüberstellung Funktionäre versus Basis gelte für die Piraten nicht, es gebe nur Mitglieder. Preuhs wünscht sich engagierte und aktive Mitglieder, hofft auf eine „Teilnahme-Demokratie“. Wie? Durch „liquid feedback“, also jenes Tool im Internet, durch das Piraten inhaltlich diskutieren können und sollen.

Die Software ist aber auch innerhalb der Piraten nicht unumstritten. „Die Frage ist, ob wir auch eine Art erzieherischen Auftrag haben, dass die Leute liquid feedback benutzen“, sagt Gero Preuhs. Und unabhängig davon. „Ist das Land bereit für die Piraten?“ Es sind die großen Fragen, die Preuhs umtreibt, keine landespolitischen Themen, wie den Abgeordneten Pavel Mayer. Das ist eben genau der Gegensatz, den die Piraten derzeit aushalten müssen.

Mittlerweile ist es kurz vor 18 Uhr. Die Regenwolken haben sich verzogen und die Sonne kommt wieder hervor. Eigentlich sollten jetzt gar keine Journalisten mehr im Camp sein. Christiane Schinkel vom Organisationsteam erinnert nochmal daran, dass sich der Zeit-Slot für die Presse „jetzt langsam schließt“. Signal verstanden, Zeit aufzubrechen.

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