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Plädoyer für mehr Landschaftsgestaltung in Tempelhof: Ich will Bäume!

Warum finden eigentlich alle die Tempelhofer Ödnis so schön? Anstatt einer Wiese findet sich dort nur Wüste. Es ist zwar eine grüne Wüste, aber es bleibt eine Wüste. Unsere Autorin will Bäume und Büsche - und das Argument mit der Kaltluftzufuhr lässt sie auch nicht gelten.

Von Anna Sauerbrey

Ich weiß nicht genau, was Sie unter einer Wiese verstehen, vielleicht gehören Sie zu denen, die die Stadtgrenze nur selten überqueren, ist ja auch nicht nötig, gibt ja fast alles hier. Außer richtigen Wiesen, die gibt es nur manchmal, annäherungsweise, im Botanischen Garten oder im Tiergarten, wenn es viel regnet und die Stadt hier und da mit dem Mähen nicht nachkommt.

Wenn ich an eine richtige Wiese denke, denke ich an kniehohe Gräser, an wogendes Grün, das in zarte Spitzen ausfranst, hier und da ein Tupfer Buntes, ein paar Kornblumen, ein Stipser Mohn, und abends sucht man sich nach Zecken ab. Ganz einfach, eigentlich. Es scheint aber Begriffsverwirrungen zu geben.

Auf dem Tempelhofer Feld haben sie einmal protestiert und ein Transparent hochgehalten, auf dem stand: „Lasst die Wiese Wiese bleiben!“ Nur – das, worauf die Demonstranten standen, das, was einen Großteil des Tempelhofer Feldes bedeckt, steht meiner Meinung nach zu einer Wiese-Wiese in demselben Verhältnis wie das Blockflötenensemble der evangelischen Grundschule Hutzenbach zu den Berliner Philharmonikern. Will sagen: Sie nennen es Wiese. Ich nenne es Wüste.

Immerhin, im Moment ist die Wüste ein bisschen grün, dank des Sommerregens. Geben wir ihr also den Arbeitstitel Grasfläche. Anfang des Monats berichtete diese Zeitung, dass die Internationale Gartenausstellung, die IGA, nun doch nicht auf diese Grasfläche, also nach Tempelhof, kommt, weil ein paar Verantwortliche nicht wissen, wie man Outlook benutzt und dummerweise in unterschiedlichen Tischkalendern kollidierende Termine eingetragen hatten. Große Häme. Und große Freude – bei denjenigen, die wollen, dass das Tempelhofer Feld bleibt, wie es ist. Denn damit ist der Zeitpunkt, an dem auf dem Tempelhofer Feld der erste Baum gepflanzt wird, in weite Ferne gerückt.

Bildergalerie: Ideen für das Tempelhofer Feld

Ich scheine der einzige Mensch zu sein, den das stört. Die Wüsten-, pardon, Grasflächenverteidiger bilden eine Phalanx. Den Ex-Flughafen nicht „schön“ zu finden, ist so verpönt wie am Wahlkampfstand der FDP zu stehen oder Rührei mit den Fingern zu essen. Die Bürgerinitiative „100 Prozent Tempelhof“ trägt die Mumifizierung geradezu im Namen. Der frühere Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer von der CDU sagte: „Keiner fordert die IGA, keiner braucht die IGA – die Offenheit von Tempelhof ist ein Genuss für sich.“ Das ist mal ziemlich absolut.

Ich habe es versucht, das Tempelhofer Feld zu genießen, man will ja nicht so rausfallen. Und anfangs fand ich es auch ganz nett. Dieser unverstellte Blick, wie an der Ostsee undsoweiterundsofortblabla.

Nur: Letztlich ist die Gruppe, für die das Tempelhofer Feld ideal ist, relativ begrenzt. Es ist toll für alle, die etwas mit Segeln oder Drachen machen. Für alle anderen ist es meiner bescheidenen Meinung nach suboptimal. Ich bin noch nie richtig entspannt dort spazieren gegangen. Immer habe ich Angst, gleich von einem Kitesurfer mit 50 Sachen überrollt oder von einem herabzischenden Fluggerät erschlagen zu werden.

Kinder haben auf dem Feld nichts zu tun. Es gibt keinen Spielplatz, nichts zum Verstecken. Überhaupt ist da viel Nichts. Es gibt an Regentagen nichts, wo man sich unterstellen könnte, im Winter nichts, was vor dem eisigen Wind schützt und beim Joggen nichts, was die Strecke optisch verkürzt. Sie nennen das „weit“. Ich nenne es leer.

Fragt sich, warum sich trotzdem so viele Berliner gegen jede Veränderung des Feldes stellen. In Teilen haben die Stadtentwicklungsplaner sich das selbst zuzuschreiben. Zu Recht haben die Parkgegner Angst, die Pleitegeier vom Senat könnten mit den Einnahmen aus Grundstücksverkäufen ein paar Haushaltslöcher stopfen wollen.

Auch die Angst vor Hässlichkeiten ist berechtigt. Ein Kletterfelsen mitten im Nichts? Ich sage nur: In Disneyland gibt es Splash-Mountain. Eine Psychoschicht darunter aber speist sich der Widerstand aus der puren Lust am Dagegen, aus einer erzkonservativen Haltung, der Verteidigung von Kiezistan mit allen Mitteln, der Überhöhung von ein paar selbst gezimmerten Gartenkisten als sozialutopisches Projekt. Sie nennen es Widerstand. Ich nenne es Spießertum.

Damit wir uns nicht missverstehen: Ich bin gegen eine Bebauung. Aber etwas mehr gestaltete Landschaft und etwas weniger flache Ödnis wäre nicht schlecht. Wann empfindet der Mensch Natur als schön? Ich glaube, unser Ästhetikempfinden hat viel mit atavistischen Instinkten zu tun. Eine Landschaft finden wir dann schön, wenn wir auf einen Blick alles sehen, was das Überleben sichert: Wasser, einen Ort zum Verstecken, Nahrung oder wenigstens Zeichen von Fruchtbarkeit. Alle großartigen Parks dieser Welt greifen das auf: Der Central Park natürlich, der Bois de Boulogne, der Bottroper Stadtgarten. Es gibt Seen oder zumindest Teiche, verschlungene Wege, kleine oder größere Waldstücke, dann wieder öffnet sich der Blick auf eine Wiesenfläche.

Nichts davon findet sich auf dem Tempelhofer Feld. Sie nennen es Freiheit. Ich nenne es Hofgang. Das Ding ist tot wie Beton, es ist ja auch viel Beton. Ich will Vogelgesang. Ich will etwas riechen, ich will im Frühling die ersten Knospen entdecken und im Herbst den Geruch von faulendem Laub. Und kommen Sie mir jetzt nicht mit der Kaltluftzufuhr. Ich. Will. Bäume.

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