zum Hauptinhalt

Berlin: Plattenbau: Sich die Platte schön gucken

Für mich war Plattenbau pfui", sagt Klaus Renner. Der 55-jährige gebürtige Wilmersdorfer, Kaufmann in Spandau, hätte sich als West-Berliner nie träumen lassen, je in einem östlichen Plattenbau zu wohnen, gar im Pankower Nordzipfel Buch, am Ende der Berliner Welt.

Für mich war Plattenbau pfui", sagt Klaus Renner. Der 55-jährige gebürtige Wilmersdorfer, Kaufmann in Spandau, hätte sich als West-Berliner nie träumen lassen, je in einem östlichen Plattenbau zu wohnen, gar im Pankower Nordzipfel Buch, am Ende der Berliner Welt. Nun aber wohnt er hier mit Partnerin Christina Wendt, im unsanierten Plattenbau, einem "Elfgeschosser" an der Bruno-Apitz-Straße. Und das Paar hat sogar aus Flensburg seine pflegebedürftige Mutter Irma und ihren Lebensgefährten Paul aufgenommen. Die Wohnung ist mit rund 130 Quadratmetern für fünf Zimmer, zwei Bäder, eine fast zweizimmrige Wohnküche und eine Wäschekammer groß genug, zwei Zwei-Personen-Haushalte zu verkraften.

Aber erst seit April. Zuvor standen hier zwei Wohnungen leer, zwei und drei Zimmer groß, für die sich keine Interessenten fanden. Die westliche Gesobau, die mit der Wohnbau-Pankow 3500 Plattenbauwohnungen übernommen hatte, entwickelte eine dritte Lösung, wo nur Abriss oder teure Komplett-Modernisierung möglich schienen: die Zusammenlegung von Wohnungen in der "unsanierten Platte" zu günstigen Mietpreisen.

Rund 40 000 Mark werden jeweils in die Grundriss-Veränderung investiert, doch im Großen und Ganzen bleibt das Haus unverändert, das Äußere also im grauen Platten-Look. "So schlecht sieht das nun auch wieder nicht aus", stellt die Familie Renner/Wendt fest, und die Treppenhäuser sind passabel. Sie zahlt 1200 Mark Warmmiete, zuvor lebte sie in einem Nachbar-Plattenbau in drei Räumen für über 900 Mark im Monat. Irma Renner, die in Flensburg von ihrem Fenster aus immer nur auf eine dichtbefahrene Straßenkreuzung schaute, ist von der neuen Wohnung in Waldesnähe angetan. "Das bedeutet für mich mehr Lebensqualität".

In der großen Wohnung mit dem neun Meter langen Flur, den modernen Bädern, der hellen Küche, den vier Wohn- und Schlafzimmern, dem Arbeitsraum und der Kammer erinnert nichts an die Platte. Christina Wendt, kaufmännische Angestellte in Buchholz, kann die ganze Abrissdiskussion sowieso nicht verstehen: "Die Häuser sind viel besser als ihr Ruf". Und sie seien trocken, nicht so feucht wie offenbar viele der Neubauten in Karow. Es gebe sogar Leute, die wollten wieder in die Platte zurück. Allein im Elfgeschosser Bruno-Apitz-Straße 3 wurden sechs Wohnungen zu dreien. Bisher sind 36 der Pankower Wohnungen in den unsanierten Häusern zusammenlegt worden, weitere 14 sollen folgen, wenn der Leerstand es zulässt. Rund 400 Wohnungen stehen im Bucher Bestand derzeit leer.

Für Gesobau-Vorstandsmitglied Rolf Brüning sind die Mietpreise für die größer gewordenen Wohnungen ein "konkurrenzloses Angebot", das auf großes Interesse bei den Bewohnern ringsum stoße. Er erinnerte daran, dass bereits vor acht Jahren erste Abriss-Diskussionen geführt wurden. Ein Abriss aber sei nur die "Manifestation des Schlechten", und man werde schwer erläutern können, weshalb mit öffentlichem Geld errichtetete Häuser nach nur wenigen Jahren mit öffentlichem Geld wieder abgerissen werden sollten. Es handele sich um wertvolle Substanz, die nicht zerstört werden, totgeschwiegen oder vage nur für Zuwanderer vorbehalten bleiben solle.

Da man aber "auf Dauer zu viel Fläche" habe und auch innen wie außen modernisierte Plattenbauten keine Garantie gegen Leerstand seien, müsse man vor allem den Wünschen der Mieter nach größeren Wohnungen Rechnung tragen. "Der Trend geht von Klein nach Groß". Eine Umfrage habe ergeben, dass die Mieter durchnittlich eine knapp 20 Quadratmeter größere Wohnung haben wollten. Die mittlere Wohnungsgröße betrage im Ostteil unter 60 Quadratmeter, im Märkischen Viertel der Gesobau schon über 10 Quadratmeter mehr.

Bei einem Schnäppchenpreis für eine sehr große Wohnung in Buch könne man sich die unsanierte Platte sogar "schön gucken", vermutet Brüning. Mieter Klaus Renner jedenfalls findet "die Idee goldrichtig". Freunde aus dem Westteil hätten sich anfangs zwar ein wenig über den Umzug gewundert, könnten ihn aber jetzt eher verstehen. "Plattenbau pfui" wage keiner mehr offen auszusprechen.

Christian van Lessen

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false