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Fortschritt von gestern. Die Überbauung Schlangenbader Straße.

© Heinrich

Platz-Initiativen: Weg mit all dem Beton

Platz-Initiativen wollen die Architektur der autogerechten Stadt aus den 70ern überwinden. Dazu wollen sie Brücken abreißen und Tunnel zuschütten. Die SPD soll helfen. Die habe schließlich „etwas gutzumachen“.

Ulrich Rosenbaum ist zugewanderter Berliner mit festem Zweitwohnsitz in Montepulciano, Italien. Der Ex-Stern-, Ex-Bild- und Ex-Panorama-Journalist mit buschigen Augenbrauen und kräftiger Statur betreibt die Webseite „Toskana-Freunde“, engagiert sich für „Slow food“, fördert die Domäne Dahlem und noch -zig andere sinnvolle Einrichtungen. Rosenbaum mag es, wenn festgefügte Dinge in Bewegung geraten. Jetzt hat er sich eine Brücke vorgenommen, eine robuste Autobahnbrücke, erbaut Mitte der 70er Jahre: Das Ding soll weg.

Klingt erst mal absurd. Autobahnbrücken sind nicht schön, dafür nützlich. Die Brücke, die Rosenbaum abreißen möchte, hatte aber nie einen wirklichen Mehrwert. Sie führt Autos in Höhenlage über den Breitenbachplatz, dahinter hört sie einfach auf, entlässt ihre Last per Rampe in die Schildhornstraße. Der geplante Weiterbau bis zur Westtangente in Steglitz kam wegen Anwohnerprotesten nicht mehr zustande. Eigentlich ist allen klar, dass die Brücke wenig Sinn ergibt, die Sicht verstellt und den Platz verschattet, aber man hatte schließlich Jahrzehnte Zeit, sich daran zu gewöhnen.

Leben im Schatten. Die Autobahnbrücke zur Stadtautobahn am Breitenbachplatz ist ein Zeugnis längst aufgegebener Verkehrsplanung. Wenn es nach Ulrich Rosenbaum ginge, würde sie schnellstmöglich abgerissen.
Leben im Schatten. Die Autobahnbrücke zur Stadtautobahn am Breitenbachplatz ist ein Zeugnis längst aufgegebener Verkehrsplanung. Wenn es nach Ulrich Rosenbaum ginge, würde sie schnellstmöglich abgerissen.

© Heinrich

Ulrich Rosenbaum wohnt seit 1999 in der Nähe und will sich nicht gewöhnen. Er ging zum SPD-Landesparteitag, sprach den Verkehrsstaatssekretär Christian Gaebler an. Der habe sich positiv geäußert. Über einen Abriss werde in der Partei schon länger diskutiert, sagt auch die SPD-Abgeordnete Ina Czyborra, die am Breitenbachplatz aufgewachsen ist. Hans Stimmann, ehemaliger Senatsbaudirektor, ebenfalls in der SPD, würde sogar den gesamten Schmargendorfer Autobahnabzweig der ehemaligen A 104 abreißen und so der „hypertrophen Wohnmaschine“ an der Schlangenbader Straße, die auf einer Länge von 600 Metern über die Autobahn gebaut wurde, den „Anschein von Fortschrittlichkeit“ nehmen.

Damit hat er sich mitten in die Debatte um die Architektur der Nachkriegsmoderne begeben. Die „autogerechte Stadt“ mit ihren Monumenten wie ICC, Bierpinsel und eben der Schlangenbader Straße hält Stimmann für einen Irrweg. Jüngere Architekten, Designer und Kunsthistoriker begeistern sich dagegen an dem ungebrochenen Fortschrittsglauben dieser Zeit. Kerstin Wittmann-Englert, Kunsthistorikerin an der TU, verfasste kürzlich eine Art Ehrenerklärung für das Stadtkonzept der sechziger und siebziger Jahre. „Diese Bauten sind mit und für den Verkehr geplant, ihre ästhetische Gestaltung auch auf die Perspektive aus Fahrersicht ausgerichtet.“ Darin liegt vielleicht der Kern des Problems. Autofahrer nehmen die Bauten in kurzer Zeit aus vielen unterschiedlichen Perspektiven wahr, die Anwohner schauen jedoch immer auf dieselben ausdruckslosen Betonflächen und vergleichen sie mit den Schwarzweißfotos kleinteiliger, für den Spaziergänger gemachter Architektur von früher.

Was die SPD der Stadt schuldet

Nicht weit entfernt vom Breitenbachplatz liegt der Bundesplatz. Auch hier gibt es eine ruhmreiche Vergangenheit großbürgerlicher Platzgeometrie mit Rosenbeeten und Statuen. Und eine karge Gegenwart als Kreuzungspunkt breiter Verkehrsadern. Ein Straßentunnel mit seinen Zufahrtsrampen zerlegt den Platz in zwei Hälften, die Brücken für S-Bahnring und Stadtautobahn riegeln die Platzoptik nach Süden ab. Die Unterführung hat den Charme eines Luftschutzbunkers.

2010 regte sich erstmals aktiver Widerstand. Eine Initiative bildete sich, nahm Kontakt zu Verwaltung und Politik auf, um den Rückbau „menschenfeindlicher Transiträume“ zu erreichen, und ließ Studenten Entwürfe für einen neuen, humaneren Platz machen. Hier stört vor allem der Tunnel, der den Platz teilt und seine Aufenthaltsqualität stark einschränkt. Harald Sterzenbach, Mitglied der Initiative, schrieb einen Leserbrief an den Tagesspiegel: „Besonders die SPD hat der Stadt etwas gutzumachen. Schließlich war es der langjährige SPD-Bausenator Rolf Schwedler, der die Pläne einer autogerechten Stadt rigide verfolgte.“

An Schwedler erinnern sich in der SPD nicht mehr viele. Der Wiederaufbau West-Berlins geht auf sein Konto. Damals galt Los Angeles mit seinem ausgeklügelten Highwaygeflecht als Vorbild. Laut Wikipedia sollen unter Schwedler mehr Gebäude abgerissen worden sein als im Krieg zerstört wurden. Das erscheint übertrieben, stimmt aber in der Tendenz. Bei der SPD fällt das Urteil milder aus. Viele Bauten aus der Schwedler-Zeit würden heute kritisch gesehen, aber „es dürfen nicht die Bedingungen der damaligen Zeit vergessen werden“. Autobahnbau sei in den sechziger Jahren per se als fortschrittlich angesehen worden, ähnlich wie die Atomkraft, sagt Stimmann.

Er selbst war Anfang der Siebziger Juso-Vorsitzender der SPD Wilmersdorf und bekämpfte die weitreichenden Autobahnpläne. Später beschäftigte er sich in seiner Dissertation mit der Überbauung an der Schlangenbader Straße. Der riesige Bau galt schon zur Eröffnung als Millionengrab. Dem Bauunternehmer Heinz Mosch ging bereits in der Planungsphase das Geld aus, die städtische Degewo sprang ein, der Senat musste die hohen Kostenmieten stark heruntersubventionieren.

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Ort des Autos. Der Bundesplatz wird heute von einem Tunnel zerschnitten.
Ort des Autos. Der Bundesplatz wird heute von einem Tunnel zerschnitten.

© Heinrich

Die Akteure an Bundesplatz und Breitenbachplatz rennen bei der Politik offene Türen ein. Schließlich ist die Rückgewinnung von „Urbanität“, wie sie erfolgreich in Prenzlauer Berg und Mitte praktiziert wurde, Teil des Koalitionsvertrags. Bezirksstadtrat Marc Schulte hält es für eine „tolle Vision“, den Tunnel am Bundesplatz zuzuschütten. Verkehrsstaatssekretär Christian Gaebler findet das Ansinnen der Bundesplatz-Initiatoren „unter Berücksichtigung städtebaulicher Kriterien vorstellbar“, macht aber auch deutlich, dass es wegen fehlender Aussichten auf Finanzierung derzeit keinen Sinn mache, entsprechende Untersuchungen einzuleiten.

Der Senat muss sich erst mal um Bauprojekte kümmern, die schon beschlossen sind: Rückbau des Straßenzugs Mühlendamm/Grunerstraße, um dem Molkenmarkt wieder eine Kontur zu geben. Und auf lange Sicht eine Verengung des Adlergestells in Treptow nach der Verlängerung der Autobahn A 100.

Fahr- statt Wohnvergnügen. Die Brücke am Breitenbachplatz gilt als überflüssig.
Fahr- statt Wohnvergnügen. Die Brücke am Breitenbachplatz gilt als überflüssig.

© Heinrich

Geld stünde nur dann zur Verfügung, wenn ohnehin notwendige Sanierungsarbeiten anstehen. Oder wenn man auf die Verlängerung der A 100 einfach verzichten würde, was die Grünen und Teile der SPD befürworten. 420 Millionen Euro könnten dann freiwerden, aber das Geld kommt vom Bund, und CSU-Verkehrsminister Peter Ramsauer hat mehrfach klar gesagt, das Geld gebe es für die A 100 oder gar nicht.

Am 26. August will die SPD auf dem Breitenbachplatz Flagge zeigen und das Thema Rückbau bei einem Sommerfest mit den Bewohnern diskutieren. Die SPD-Abgeordnete Ina Czyborra ist einst mit Rollschuhen auf der Autobahn herumgelaufen, bevor sie eröffnet wurde. „Wenn die abgerissen wird, helfe ich gerne mit.“ Dennoch will sie nicht emotional argumentieren, man müsse erst mal „seriös untersuchen, was dann mit dem Verkehr passiert. Der löst sich ja nicht in Luft auf.“ Das sagt auch die CDU. Die Brücke abzureißen, mache deshalb auch keinen Sinn, findet Verkehrsexperte Oliver Friederici.

Ulrich Rosenbaum stellt sich einen Architekturwettbwerb vor, um zu klären, wie es ohne Autobahn aussehen könnte am Breitenbachplatz. Die Händler seien fast alle für den Abbruch der Brücke. Sie blickten voller Neid auf den Rüdesheimer Platz ein paar Straßen weiter. Der habe keine Autobahn, dafür aber eine pulsierende Urbanität.

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