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Foto: Kai-Uwe Heinrich

© Kai-Uwe Heinrich tsp

Meine Meinung: Notwendiges Übel?

Der Kiez wird ja besser. Aber sein Zentrum ist noch immer: pure Gosse.

Neulich am Hermannplatz: Polizeiwanne steht auf dem Platz, angetrunkener Obdachloser nähert sich und sagt: „Ick fraaaje misch, warum Sie hier so rumstehn!“ Polizist steigt aus und antwortet: „Und ick fraaaje misch, warum sie hier so lang gehn!“

Die ansatzweise humorvollen Momente sind eher selten, wenn man wieder einmal „Hermannplatz live“ erlebt. Denn Hermannplatz live bedeutet normalerweise: Zugedröhnte Frau uriniert mitten auf dem Platz, besoffene Männer und Frauen sitzen mit Bierflaschen auf den Bänken im U-Bahnhof und riechen streng, Fahrstühle stinken bestialisch nach Urin und sind eine Zumutung. Und mitten auf dem Platz steht Joachim Schmettaus Skulptur „Tanzendes Paar“ fast unbemerkt von den eilig vorbeiziehenden Passanten.

Der Hermannplatz ist vor allem: laut. Und: schmutzig. Sechs große Hauptverkehrsstraßen führen zu dem Neuköllner Karree, das von den meisten Anwohnern nicht als Platz wahrgenommen wird, sondern als „Transitstation“, wie eine Kollegin es formulierte. Oder als abgeschiedene „Insel“, die allerdings nicht zum Verweilen einlädt, sondern allenfalls Tristesse verbreitet. Ein Ort, den man als notwendiges Übel betrachtet, das man in Kauf nehmen muss, wenn man eine der beiden U-Bahnen besteigen will, die sich unterm Platz kreuzen.

Dabei könnte der Hermannplatz die Perle Neuköllns sein, inmitten eines Kiezes, der sich in den vergangenen Jahren deutlich verändert hat: In den angrenzenden Straßen des neuen „Szenebezirks“ Kreuzkölln haben sich Kreative, Künstler, Akademiker niedergelassen. Weniger Sternbug-Pils, mehr Kinderwagen prägen das Stadtbild. Das ist gut, denn das verheißt Hoffnung. Diese durchaus kaufkräftige Klientel ist es, die dafür sorgt, dass es nicht ganz bergab geht mit dem Kiez. Sie kann es sich leisten, bei Karstadt (einem der Hauptgründe, den Hermannplatz überhaupt aufzusuchen) einkaufen zu gehen. Drumherum haben die Bewohner fast alles, was sie brauchen: Die grüne Hasenheide, Fitness-Center, Baumarkt, Discounter, Drogerien, Galerien, Trendfrisöre, Bars und Kneipen, Spielplätze und natürlich Hebammenpraxen. Nur einen schönen Platz, den haben sie nicht.

Die sozialen Verhältnisse würde eine Umgestaltung des Platzes nicht von heute auf morgen verbessern können. Doch das Gesicht des Platzes könnte sich verändern – indem nicht nur die eine Seite der viel zitierten Parallelgesellschaft Lust hätte, sich dort aufzuhalten, sondern auch die andere. Mehr Stern- als Sternburg-Stunden!

In einer verkehrsberuhigten Komfortzone, die begrünt, statt betoniert ist, die zum Verweilen einlädt und nicht zum Weglaufen. Wahrscheinlich wäre es das Beste, die Anwohner mit einzubeziehen und zum Mitmachen einzuladen. Dann fühlten sie sich auch verantwortlich für „ihren“ Hermannplatz.

Und vielleicht heißt es dann am Ende: „Ick fraaje misch, warum Sie jerade Ihre Bierflasche uffn Platz jeworfen ham.“ Eine kleine Chance besteht immerhin, dass darauf mal keine dumme Antwort folgt – sondern tatsächlich der Gang zum Mülleimer.

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