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Platz da! Folge 15: Der Nollendorfplatz ist nichts für Zartbesaitete

Der Nollendorfplatz ist ein Ort mit zwei Welten: Ein lärmiger, verunsichernder Raum, in dem sich unterschiedlichste soziale Schichten begegnen. Seine Südseite ist der Quell zahlreicher Probleme.

Der Mann mit der Mundharmonika und dem Transistorradio ist nicht mehr da. Das heißt, ob er nicht mehr da ist oder nur noch nicht wieder, muss offenbleiben. Jedenfalls ist die Geräuschkulisse derzeit nicht zu hören, die der Mann, ob Sommer, ob Winter, vor dem Eingang zum U-Bahnhof Nollendorfplatz zu fabrizieren pflegte, indem er das Gedudel aus dem ans Ohr gepressten Radio mit seinem Blasinstrument verstärkte.

Der Nollendorfplatz ist nichts für zartbesaitete Gemüter. Über leere Bierflaschen muss der Passant zwar nicht stolpern, die werden nämlich schnell eingesammelt und im platznahen Supermarkt gegen flüssigen Nachschub eingetauscht. Aber Kronenkorken und Pappbecher liegen stets im Weg, meist gleichgültig betrachtet von Menschen, die den Platz zu ihrem Lebensmittelpunkt erkoren haben.

Dabei ist der Nollendorfplatz ein höchst lebendiger Stadtraum, frequentiert von zahllosen Passanten, denen der U-Bahnhof mit seinen nicht weniger als vier Bahnlinien als Ausgangs- oder Umsteigestation dient, flankiert von zwei Bushaltestellen, die von drei Buslinien bedient werden. Zum Angebot gehören ferner der erwähnte Supermarkt, der werktags bis 24 Uhr geöffnet ist, und mehrere Imbissstände, sei’s im Bahnhof oder an den Seiten des Platzes, und ein großes Autozubehörgeschäft, das den Platz zum Ziel zahlreicher Kraftfahrer macht. Und und und.

Automobilisten überqueren den Platz täglich zu Tausenden, zumeist über den Straßenzug Kleist-Bülowstraße, eine der wichtigsten Ost-West-Verbindungen zumal des alten West-Berlin. Ach ja: Gewohnt wird auch am Platz.

Da fangen die Probleme an, vielmehr: Da werden sie artikuliert. Denn Anwohner haben naturgemäß eine meist andere Sicht auf den öffentlichen Raum als dessen unmittelbare Nutzer. Anwohner leiden unter Lärm, Verschmutzung, mangelnder Sicherheit. Sie können all dem nicht entgehen und es ebenso wenig ändern. Und rings um den Nollendorfplatz hat sich einiges an Unmut aufgestaut.

Das hat mit dem Wandel des Quartiers zu tun – dem auf der Südseite, der „Schöneberger Seite“ (im Unterschied zur „Tiergartner Seite“ im Norden, Richtung Lützowplatz). Denn der Nollendorfplatz ist nicht der Mittelpunkt eines Quartiers, sondern die Klammer zwischen zwei durchaus verschiedenen Gegenden. Nach Süden hin bildet der Platz das Eingangstor zum Motzstraßen- und Winterfeldtkiez, zumal am Sonnabend, wenn der nun schon seit Jahrzehnten legendäre Markt auf dem Winterfeldtplatz abgehalten wird. Dann strömen Besucher zu Aberhunderten die Maaßenstraße hinunter, vorbei an zahlreichen Cafés, Restaurants, Kneipen, die oft all dies zusammen sind. Die Motzstraße hingegen, seitlich vom Platz abzweigend, erwacht spätabends zu einem ganz anderen Leben als dem, das sie tagsüber zur Schau stellt. Beim Motzstraßenfest zeigt die Schwulenszene dann auch bei vollem Tageslicht, was sie auszeichnet.

Mit anderen Worten: Südlich vom Nollendorfplatz hat sich eine Ausgeh-Gegend etabliert, mit allen Begleiterscheinungen, von zugeparkten Gehwegen und Einfahrten über lautstarke Verabschiedungen nach abendlichem Gastronomiebesuch bis hin zu Motorengeheul bei nächtlichem Imponiergehabe. Über die Urheber solchen Lärms und ihre Treffpunkte sind verschiedene Gerüchte in Umlauf, denen eines gemeinsam ist, nämlich auf die Schwierigkeit von Integration im Alltag hinzudeuten.

Ein harmonisches Ganzes kann der Platz nicht werden

Anwohner, die derlei aussprechen, wollen ihre Namen nicht in der Zeitung lesen, aus Angst, der ein oder andere Fahrer entsprechend aufgemotzter Boliden stünde eines Abends in unfreundlicher Absicht vor der Tür. Berlin ist keine Stadt für Zimperliche. Andererseits wäre es falsch, solche Verhältnisse dem Nollendorfplatz anzulasten, wie es ebenso falsch wäre, die Heilung gesellschaftlicher Probleme und Missstände von einem Umbau des Platzes zu erwarten.

Der Nollendorfplatz selbst hat mit der Besonderheit zu leben, in seiner Mitte einen veritablen Hochbahnhof plus Bahnhofsgebäude aufzuweisen, einen baulichen Mittelpunkt also, aber zugleich einen scharfen Trennstrich zwischen Nord- und Südhälfte. Ein harmonisches Ganzes kann der Platz nicht werden; er ist als Ganzes schon nicht zu erfassen, es sei denn von einem der beiden südlich angrenzenden Wohnhochhäuser. Dann ist da das Problem der mehrspurigen Ost-West-Durchgangsstraße, die ihrer Bedeutung halber allenfalls ein wenig gebändigt, nicht jedoch gänzlich beruhigt werden könnte.

Aber was ist mit den Menschen, den Passanten, Flaneuren und auch den Gestrandeten? Darin liegt doch gerade die Urbanität des Nollendorfplatzes: dass er weder Schmuck- noch Abstellplatz ist, sondern geradezu ein Muster öffentlichen Raums, in dem sich die unterschiedlichsten sozialen Schichten begegnen, zwangsläufig, und sich dabei nicht einmal furchtbar in die Quere kommen. Sicher, verweilen wollen die wenigsten auf diesem Platz. Außer denen, die – siehe oben. Darüber zu lamentieren, dass es Menschen gibt, deren Leben überwiegend auf Plätzen weniger stattfindet als verrinnt, ist müßig. Nur müssen sie darum den öffentlichen Raum nicht dominieren. Dass die Schmuddelecken und Drogenhandelsnischen beseitigt oder zumindest schärfer ausgeleuchtet werden könnten, dass das – ohnehin subjektive – Gefühl persönlicher Unsicherheit oder gar Gefährdung durch wirksame Maßnahmen bekämpft werden muss, darüber besteht Einigkeit zumindest unter den Anwohnern. Bleibt das Bezirksamt von Tempelhof-Schöneberg, das für den Nollendorfplatz derzeit keine großen Pläne hegt. Es gibt, so die Auffassung, drängendere Problemplätze in Berlin als diesen. Er funktioniert irgendwie.

Liebe Leserinnen, liebe Leser: Jetzt haben Sie die Möglichkeit, sich einzumischen, mit den Planern, mit Bezirksstadträten und anderen Anwohnern über die Gestaltung Ihres Platzes zu diskutieren. Denn zu jeder Folge gibt es einen Ortstermin direkt am Platz. Sagen Sie uns Ihre Meinung. Wir laden Sie ein, am Freitag, 8. Juni, über diese Konzepte zu diskutieren. Mit dabei sein werden Sibyll Klotz, Stadträtin für Gesundheit, Soziales und Stadtentwicklung in Tempelhof-Schöneberg, Martina Schneider (Verein „Pink Schöneberg“), Hubert Pelz (Initiative „Lärmfreier Nolle“) und Florian Mausbach (ehem. Präsident des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung). Mausbach beschreibt hier die zentralen Probleme des Nollendorfplatzes.

Ort: Veranstaltungshaus Goya, Nollendorfplatz 5. Die Veranstaltung beginnt um 16.30 Uhr mit einem kurzen Beamervortrag der Planer, anschließend Diskussion über die Ideen. Ende: 18 Uhr. Der Eintritt ist frei.

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