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Platz da!: Verloren im Verkehr

Kraftfahrer haben am Innsbrucker Platz Vorfahrt – dank der Planung zur „autogerechten Stadt“. Unter die Räder kamen die Belange der Fußgänger. Besserung? Dazu fällt selbst dem Bezirk wenig ein.

Ist der Innsbrucker Platz noch zu retten? Sibyll Klotz (Grüne), Bezirksstadträtin für Stadtentwicklung, sonst selten um eine Antwort verlegen, zögert: „Vielleicht kann man die Situation für Fußgänger und Fahrradfahrer erträglicher machen.“ Am Innsbrucker Platz sei aber nun einmal „in alle Richtungen Verkehr“. Sogar am nordwestlichen Rand des Kreisverkehrs, wo es ein Eiscafé gibt, Bänke und den Eingang zur U-Bahn – sogar da wurden einige der Schatten spendenden Bäume einfach umgefahren.

Dass nicht einmal eine grüne Stadträtin für Stadtentwicklung noch in der Lage ist, den Verkehr am Innsbrucker Platz wenigstens wegzudenken, das macht das Dilemma dieses Ortes am südlichen Rand des Ortsteils Schöneberg deutlich. 

Der Hauptstraße eine Spur wegnehmen, um den Verkehr zu entschleunigen? Nicht dran zu denken – und schon gar nicht, die Autobahnzufahrt zu verlegen. Der Innsbrucker Platz ist zu wichtig: für die Verteilung des Autoverkehrs von Nord nach Süd und von Ost nach West.

Nicht nur Autobahn und Hauptstraßen, auch S- und U-Bahn kreuzen sich hier. Man steigt um, wechselt die Spur oder die Richtung. Wer will sich schon aufhalten an einer lärmenden Kreuzung, über die alle nur hinwegeilen? An diesem Morgen nur ein Pärchen Ende 40, dunkel gekleidet, in sich versunken, er mit einer Flasche Hochprozentigem in der Rechten. Ein paar Meter weiter, vor dem Kiosk, sitzt die Belegschaft auf Caféhausstühlen und wartet auf Kundschaft. Lebendige Kiezkultur geht anders – und die Anwohner beschweren sich immer wieder darüber, dass so viel Müll herumliegt.

In der angrenzenden Hauptstraße stehen zahlreiche Geschäfte leer in den Erdgeschossen der Häuserzeilen. Einige versuchen mit Witz und Dumpingpreisen Kundschaft anzulocken: „Hair-tie“ heißt ein Friseursalon nördlich des Platzes, der preiswerte Haarschnitte anbietet. Ein gut sortiertes Kaufhaus gibt es hier schon lange nicht mehr. Eine Filiale der Berliner Bank ist da und eine Apotheke. Außerdem ist die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Degewo stolz auf das geschichtsträchtige Gebäude, das sie hier besitzt. Es sei der erste Wohnturm Berlins, errichtet im Jahr 1926, von Paul Mebes und Paul Emmerich – und damals von der Architekturkritik gefeiert.

Die Degewo meldet für die 183 Wohnungen im Wohnturm und in den umgebenden Blöcken Vollvermietung, von renovierungsbedingtem Leerstand bei Mieterwechsel abgesehen. „Die Mieter schätzen die verkehrsgünstige Lage“, sagt Sprecher Lutz Ackermann. Und sie bezahlen auch ordentlich: 5,70 Euro pro Quadratmeter und Monat netto kalt, das liegt fast zehn Prozent über dem Durchschnittswert des Mietspiegels.

Nicht ganz so gut läuft das Geschäft beim Verwalter des Bürohauses südlich des S-Bahnhofes. In dem Haus, das durch viel Glas und seine schwarzen Fassade in auffälligem Kontrast zu der sandsteinernen Umgebung steht, gibt es noch einiges zu vermieten. Dabei dürfte sich beim Blick aus den oberen Etagen des Turmes der verborgene Reiz des Innsbrucker Platzes offenbaren: Aus der Vogelperspektive sollen die konzentrischen Kreise sichtbar sein, die von den Rändern zum Zentrum des Platzes verlaufen. Allerdings ist im Zentrum des Innsbrucker Platzes, aus der Nähe betrachtet, nichts – nichts als Verkehr. Aber war das nicht zu erwarten, nachdem die Hauptstraße schon vor 240 Jahren zur ersten befestigten Chaussee Preußens ausgebaut wurde? Friedrich Wilhelm II. diente die Verbindung nach Potsdam im Jahr 1792 als königlicher Highway. Nur, dass damals weniger Verkehr herrschte. Ruhig blieb es dort auch die nächsten 100 Jahre, so dass noch 1877, als hier der neue S-Bahn-Ring geschlossen und der Bahnverkehr vollständig in Betrieb genommen wurde, der Innsbrucker Platz, der damals noch nicht so hieß, nicht einmal eine Haltestelle bekam. Auf sie mussten die Bewohner bis zum Jahr 1933 warten.

Vorher lebten zu wenig Menschen in den Dörfern Schöneberg und Steglitz, an deren Grenze der Platz damals lag. Das änderte sich erst, als Reichsbeamte und Bürgersleute kamen und vor 140 Jahren, auf der Suche nach einer Scholle abseits von Lärm und Geschäftigkeit der Großstadt Friedenau gründeten. Der „Landerwerb- und Bauverein auf Actien“ ermöglichte ihnen den Bau des Quartiers. Zu seinen Mitgliedern zählten Pensionäre, Lehrer und Künstler.

An den Stadtvillen in Friedenau lässt sich die Qualität der gründerzeitlichen Bauten ablesen, die auch den Innsbrucker Platz bis zum zweiten Weltkrieg geprägt haben müssen. Zerstört wurden sie im Bomben- und Granatenhagel des „Kampfes um Berlin“, für den das Terrorregime der Nazis den S-Bahnring als letzte Verteidigungslinie bestimmt hatte.

Auf die Zerstörung des Stadtplatzes folgte die Vernichtung der Urbanität im Namen der „autogerechten Stadt“. Auf fünf Ebenen schichteten die Planer in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts den Verkehr. Über der Erde bekamen die Autos Vorfahrt. Fußgänger sollten deshalb ursprünglich ganz im Untergrund verschwinden, in einem „Fußgängerverteilergeschoss“.

Ein Teil dieser Anlage ist heute noch nahe dem S-Bahnhof zu besichtigen: Ein Discounter hat sich im neonbeleuchteten Untergrund niedergelassen, mit ausgesprochen langen Öffnungszeiten, oft sogar an Sonntagen. Unter dieser Etage verläuft der Tunnel für die Autobahn. Dieser zerschneidet wiederum die frühere U-Bahn-Trasse Richtung Süden. Eine neue Linienführung, die U 10, sollte sie ersetzen und den Potsdamer Platz mit dem Ortsteil Steglitz verbinden. Den Rohbau für einen Bahnhof ließen die Planer schon einmal bauen. Dabei blieb es dann aber auch.

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