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Der Kampf um Räumlichkeiten hat in Berlin auch die Kitas erreicht. (Symbolfoto)

© Christian Charisius/dpa

Platzmangel in Berlin: Berliner Kitas leiden immer öfter unter Verdrängung

Knapp 80 Fälle von Verdrängung wurden in jüngster Zeit gezählt: Meist erhalten Kitas die Kündigung, um für Gewerberaum oder Büros Platz zu machen.

Hunderte kleiner Hände haben hier 19 Jahre lang im Schatten des Kirschbaumes Matschburgen gebaut, im Sand gebuddelt, Gemüse angepflanzt, mit Holzspielzeug gebaut und Fußball gespielt. Doch die Bilderbuch-Idylle in der Kita „Im Känguru“ steht vor dem Aus: Die Elterninitiative in der Marienburger Straße im Winsviertel, Prenzlauer Berg, hat vom Vermieter die Kündigung der Gewerberäume erhalten.

Im Mai 2019 erfuhren die Eltern, dass der Mietvertrag zum Dezember 2019 auslaufen soll. Der Vermieter ließ sich noch mal auf eine Vertragsverlängerung bis August 2021 ein, doch dann soll endgültig Schluss sein. Warum, wissen die rund 30 betroffenen Familien und fünf Erzieherinnen und Erzieher nicht: „Wir können nur spekulieren, der Vermieter ist zu keinen Gesprächen bereit“, sagt Teresa Hauptmann, die mehrere Jahre im Vorstand des Kinderladens tätig war und inzwischen ihr zweites Kind hier betreuen lässt.

Rettung nur durch höhere Mieten

Vor rund fünf Jahren hat Babette Sperle vom Dachverband Berliner Kinder- und Schülerläden (DaKS) angefangen, Fälle zu dokumentieren, bei denen Kinderläden entweder die Kündigung ausgesprochen wurde oder deren Mietverträge nicht verlängert wurden. Sperle, in deren Verband rund 600 Einrichtungen Mitglied sind, kommt inzwischen auf fast 80 solcher Fälle. „In der Zeit vor fünf Jahren kam so etwas nur marginal vor, inzwischen vergeht fast keine Woche mehr, in der sich nicht betroffene Kitas mit der Bitte um Hilfe an mich wenden“, so Sperle.

Gerade erst hat sie den Fall der Kreuzberger Kita „Trau Dich“ auf den Tisch bekommen: Der seit 25 Jahren bestehende Kinderladen hat am 24. Oktober erfahren, dass der Ende des Jahres auslaufende Mietvertrag wegen Umwidmung zu Büroräumen nicht verlängert wird. 22 Kinder, teils mit besonderem Förderbedarf oder Fluchthintergrund, würden ihren Kitaplatz verlieren, falls die Proteste der Eltern keinen Erfolg haben.

45 der fast 80 dokumentierten Fälle sind inzwischen abgeschlossen: Zwei Kinderläden mussten geschlossen werden, 13 ausziehen, zwei haben die Gewerberäume kaufen können und 25 haben eine Verlängerung oder eine Einigung mit dem Vermieter erzielt. „Dies bedeutet dann aber im Einzelfall eine Erhöhung der Miete von beispielsweise sieben Euro auf 20 Euro pro Quadratmeter“, sagt Sperle. Nur in drei Fällen konnte die Situation so geklärt werden, dass sich für die Kinderläden nichts ändert.

Politik kennt das Verdrängungsproblem

Längst betrifft die drohende Verdrängung auch nicht mehr nur selbstverwaltete Kitas in kinderreichen Stadtteilen wie Prenzlauer Berg oder Friedrichshain. Auch in Alt-Pankow, Wilmersdorf, Lichtenberg oder Zehlendorf seien Einrichtungen betroffen. Die negativen Auswirkungen dieser Entwicklung auf die soziale Infrastruktur der Stadt und den gewachsenen Wert einzelner Kieze sei noch gar nicht abzuschätzen.

Und was tut die Politik? Im Abgeordnetenhaus gebe es ein sehr hohes Engagement und eine hohe Sensibilität für die Problematik, sagt Sperle. Der Senat helfe, indem er Kitas in das „Landesprogramm Kita-Ausbau“ aufnehme, sodass diese zum Beispiel bei einem notwendigen Umzug finanzielle Unterstützung erhielten. Und die Kita-Aufsicht zeige großes Entgegenkommen, in dem sie sich unbürokratisch bei der Abnahme neuer Räumlichkeiten verhalte. Recht unterschiedlich verhalten sich nach Sperles Erfahrung die Bezirke: Manche lassen eine Unterstützung vermissen, andere versuchten, mit Vermietern ins Gespräch zu kommen.

Unklare Zukunft. Teresa Hauptmann vor der Kita „Im Känguru“.
Unklare Zukunft. Teresa Hauptmann vor der Kita „Im Känguru“.

© K. Kleist-Heinrich

Im Fall der Kita „Im Känguru“ ist dies Sozialstadträtin Rona Tietje (SPD), von der die Eltern des Kinderladens erzählen, dass sie sich bei einem persönlichen Gespräch im Sommer nicht sehr unterstützt gefühlt haben. Im Telefonat mit Tietje wirkt es so, also messe sie der Problematik der drohenden Verdrängung inzwischen mehr Bedeutung bei: „Die drohende Verdrängung ist ein riesiges Problem, und es betrifft alle sozialen Träger, darunter natürlich viele Kitas aber auch Beratungs- und Betreuungsangebote, Trägerwohnungen für Jugendliche, Wohnungen für psychisch Kranke, Begegnungsstätten oder Seniorenheime.“

Abhilfe für Kitas nicht in Sicht

Tietje fordert auf Bundesebene einen stärkeren Schutz für das soziale Gewerbe, für das es bisher keinen Mietendeckel, keine Mietpreisbremse, keinen Kündigungsschutz und kein Vorkaufsrecht gibt. Tatsächlich hat der Berliner Senat beim Bundesrat einen Antrag für eine gesetzliche Preisbremse für Gewerbemieten eingereicht, mit ungewisser Erfolgsaussicht. Im Fall der Kita „Im Känguru“ habe sie ihre Kollegen von der Wirtschaftsförderung gebeten, sich nach geeigneten neuen Räumen im Bezirk umzusehen, so Tietje.

Der Bezirk Pankow konnte in der jüngsten Vergangenheit durch Eingreifen zumindest zwei von Verdrängung bedrohte Kitas retten. Im Fall der Gleimstraße 56 machte der Bezirk von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch, für das Haus Görschstraße 40 wurde eine Abwendungsvereinbarung unterzeichnet, die Luxussanierungen und die Umwandlung in Eigentum verhindert.

Wie es für die Kita „Im Känguru“ weitergeht, ist offen. Die Eltern haben für die Suche nach alternativen Räumen eine Taskforce gebildet und eine Internetseite (www.vivalakita.de) eingerichtet. Ganz heraus aus dem Winskiez oder aus Prenzlauer Berg möchten sie nicht, aus Angst, dass dies die bestehende Struktur zerreiße. Aber Organisatorin und Mutter Teresa Hauptmann sagt auch: „Bevor wir gar nichts finden, würden wir auch weite Wege in Kauf nehmen.“

Eva Steiner

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