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Podiumsdiskussion: Weddinger Migranten beim Vorstellungsgespräch

Schüler aus Einwandererfamilien trafen gestandene Chefs – und zeigten gesundes Selbstbewusstsein. Sie wollen einen sauberen Kiez, viele Kinder, ehrliche Arbeit und am liebsten alle kriminellen Ausländer ausweisen.

Überraschend unverblümt berichteten Schüler der Weddinger Willy-Brandt-Schule von ihren Lebensvorstellungen und Träumen. In der Kalkscheune in Mitte trafen sie bei einer Podiumsdiskussion mit der Vorstandsvorsitzenden der Berliner Stadtreinigung (BSR) Vera Gäde-Butzlaff und dem Unternehmer Werner Gegenbauer auf erfolgreiche Berliner Manager. Trotz der biederen Zukunftsvision der Schüler hätten verschiedene Welten nicht härter aufeinanderprallen können.

Drei Wochen lang sollten sich 16 Schüler der neunten Klasse Gedanken über Werte und Chancen machen. Alle von ihnen haben einen sogenannten Migrationshintergrund. Damit repräsentierten sie jene 97 Prozent der Schülerschaft, deren Eltern nicht in Deutschland geboren wurden. In einer Präsentation konfrontierten sie das Publikum mit ihrer Welt: „Männer und Frauen sind nicht gleich.“ Männer hätten mehr Rechte, mehr Autorität, lesen die Zuschauer da ungläubig auf der Leinwand. Und weiter: „Frauen kriege ich immer wieder, aber ich habe nur einen Vater.“ Es ist die Rechtfertigung dafür, dass die Eltern den Partner mitbestimmen. Und obwohl alle in Deutschland geboren sind, empfinden sie sich höchstens als Weddinger oder Berliner.

Wie viele an diesem Abend traut auch BSR-Chefin Gäde-Butzlaff ihren Ohren nicht. „Ich hoffe, dass nicht alles so ist, wie es dargestellt wurde“, sagt sie milde. Die Schüler Ilir, Sadika und Alexandra, die als Diskussionspartner neben ihr sitzen, wissen aber nichts von politischer Korrektheit. Ihre Wirklichkeit sieht so aus, sie verstellen sich nicht. Auch wenn Gegenbauer, Ehrenpräsident der IHK Berlin, das nicht gefällt. Er mahnt: „Wenn ihr mit einer Vorgesetzten nicht klarkommt, ist das Thema Arbeit für euch beendet.“

Ingke Brodersen hat die Jugendlichen als Projektleiterin drei Wochen begleitet und glaubt den Grund für die konservativen Ansichten der Schüler zu kennen: „Sie leben das Leben ihrer Eltern.“ Viele kämen aus ihrem Kiez kaum raus und steckten nach dem Vorbild der Eltern ihre Ziele niedrig. Als Opfer der Gesellschaft sehen sie sich aber nicht. „Ich kann alles schaffen, was ich will.“, sagt Ilir selbstbewusst. Und auch den Vorschlag nach mehr Förderunterricht lehnt Alexandra selbstkritisch ab. „Die Lehrer wollen uns ja helfen, wir müssten es nur annehmen.“ Wenn sie etwas aus dem Projekt gelernt haben, sagen sie, dann dass sie selbst für ihr Leben verantwortlich sind. In der Wohnungsgesellschaft Degewo lernten sie das Arbeitsleben kennen, alle wollen Verantwortung übernehmen. Hartz IV, wie ihre Eltern, möchten sie nie beziehen. Denn was den Zuschauern noch nicht klar ist, haben die Weddinger Schüler längst begriffen: „Wir werden immer mehr. Eines Tages werden wir Ihre Zukunft sein“, ruft Sadika. Was klingt wie eine Drohung, ist – wie so häufig an diesem Abend – nur die ungeschönte Wahrheit.

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