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Kirsten Heisigs Vermächtnis: "Das Ende der Geduld"

© Doris Spiekermann-Klaas

Podiumsdiskussion zum Werk von Kirsten Heisig: Buschkowsky kritisiert Rückschritte in der Integrationspolitik

Bei einer Podiumsdiskussion im Neuköllner "Heimathafen" wird über Strategien zur Integration und das Werk der verstorbenen Richterin Kirsten Heisig diskutiert. Über das grundsätzliche Problem herrscht Einigkeit, einfache Lösungen gibt es dennoch keine.

Es schimmerte wenig Hoffnung durch die Statements der Integrationsexperten. Vor vier Jahren hatten die Jugendrichter Kirsten Heisig und Günter Räcke dem Tagesspiegel ein Interview über die Auswüchse der migrantischen Parallelgesellschaft von Nord-Neukölln gegeben. „Wir hatten die Sorge, dass eine Lawine im Anrollen ist“, sagt Räcke heute zum Motiv ihres damaligen Tabubruchs, Jugendrichter sprechen normalerweise nicht in der Öffentlichkeit. Am Montagabend wiederholte er seine Lawinenthese. „Das Problem besteht im Grundsatz fort.“

Rund 200 Vertreter der bürgerlichen Mehrheitsgesellschaft waren auf Einladung des Bezirksamtes in den „Heimathafen“ Neukölln gekommen, einen Theatersaal mitten im Problemkiez, um über das Buch von Kirsten Heisig zu sprechen, ihrem Vermächtnis an die Deutschen: „Das Ende der Geduld.“ Die Schriftstellerin Monika Maron, die Heisig persönlich kannte, las ein Kapitel über Intensivstraftäter, Tissy Bruns, leitende politische Korrespondentin im Tagesspiegel, moderierte die Gesprächsrunde auf dem Podium.

Kirsten Heisig.
Kirsten Heisig.

© ddp

Wortführer war einmal mehr Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD). Er ging noch weiter als Räcke und erklärte, die Politik sei nach vier Jahren intensiver Diskussion „hinter einige Dinge zurückgefallen“. Konkret: das Abschaffen des Vorschuljahres. Stattdessen wurde das jahrgangsübergreifende Lernen eingeführt, kurz: JüL. Buschkowsky: „Unsere Kinder können kein JüL.“ Das Grundschuljahr sei dagegen nützlich gewesen, um Schule zu trainieren. Auch in seiner Partei sei man sich weiterhin uneins über die richtigen Methoden, mit abdriftenden Milieus fertig zu werden. „Wir haben keine einheitliche Sicht auf die Dinge.“ Buschkowsky erneuerte seine Forderung nach klaren Sanktionen, etwa über das Kindergeld. „Kommt das Kind nicht in die Schule, kommt das Geld nicht auf das Konto.“ Dafür erntete er im Publikum starken Applaus.

Einziger Vertreter der angesprochenen Problemgruppe war der Schauspieler und Neuköllner Hüseyin Ekici, der im Heimathafen den „Arabboy“ nach dem gleichnamigen Buch spielt und damit sein eigenes Leben reflektiert. Ekici, noch keine 20 Jahre alt, war als Jugendlicher kriminell geworden und anschließend auf Richterin Heisig im Gerichtssaal getroffen. Das war beeindruckend für ihn. Noch stärker wogen die Worte seiner Mutter, die sagte, er solle sich jetzt „wie ein Mann“ seiner Verantwortung stellen. Und sie sagte auch: „Wenn du von Hartz IV lebst, schmeiße ich dich aus der Wohnung.“ Dieser Satz wiederum beeindruckte Buschkowsky: „Das war doch eine pädagogische Maßnahme. Grüß Deine Mutter. Sie hat es gut gemacht.“ Gelächter im Publikum, kein Widerspruch von anwesenden Pädagogen.

Ekici hatte offenbar Glück mit seinem Elternhaus. „Ich wurde mit Gleichberechtigung erzogen.“ Nun ist er ein Held unter seinen ehemaligen Kumpanen von der Straße, die ihn laufend anbaggern. „Mensch, mach mir eine Rolle klar.“

Hüseyin Ekici steht für die wenigen, die ihr „Korsett“ aus traditionellen Prägungen und falschen Rollenbildern sprengen können, die meisten bleiben darin eingezwängt. Weil nicht erst seit Sarrazin bekannt ist, dass in diesen Milieus die meisten Kinder geboren werden, ist das Problem ein stetig wachsendes, worauf Monika Maron hinwies, die einmal zu einem privaten Gesprächskreis mit Freunden auch Kirsten Heisig eingeladen hatte. Die brauchte nur 20 Minuten, um einen schweren Wirklichkeits-Schock in dieser Runde auszulösen.

Buschkowsky malte sich aus, was auch passieren könnte. „Wenn die Politik so weitermacht, dann haben wir in Deutschland bald Leute wie Geert Wilders“, den Rechtspopulisten aus den Niederlanden.

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