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Berlin: Poesie unterm Zackendach

Der Roncalli-Weihnachtscircus feierte Premiere und hauchte dem Tempodrom Wärme ein

Atemraubend ist die Himmelskutsche der Hochseilartisten. Die Künstler konstruieren das Gefährt aus weißen Zweirädern und einem hoch auf Balancestangen schwebenden Thronstuhl. Dann fahren sie ohne Netz damit in zwölf Metern Höhe auf dem Seil hin und her. Vielleicht ist das bei aller Poesie der Clowns die festlichste Nummer im neuen Roncalli-Weihnachtscircus. Weil sie auch den ganz Hartgesottenen, die alles schon gesehen haben und nur ihren Kindern zuliebe hergekommen sind, ein Staunen entreißt. Die Quiros sind ein prickelnder Beweis dafür, dass es auch in einem traditionellen Genre wie dem Zirkus immer neue Herausforderungen gibt – Steigerungen, für die sich das Publikum mit viel Applaus bedankt.

Premierengäste haben es manchmal eilig und gehen schon zur Pause. Das taten am Donnerstagabend nur wenige. Sie verpassten einen weiteren akrobatischen Höhepunkt der Show, das Seilchenspringen hoch auf dem Seil. Auch ein zweiter Auftritt des Clowns David Larible, der als berühmtester der Gegenwart gefeiert wird und sich mit entwaffnend schlichten Gesten in die Herzen der Zuschauer spielte, entging ihnen. Dabei ist der gerade ein Beweis dafür, dass die vor Weihnachten allgegenwärtige Reizübersättigung mit künstlerischen Hochleistungen in Bann zu schlagen ist. Bei dem Versuch, aus tapsigen, aus dem Publikum rekrutierten Laien ein Orchester zusammenzustellen, wird er zunächst zum rasenden Dirigenten kurz vor dem Nervenzusammenbruch. Das ist vor allem deshalb so komisch, weil er beim Crescendo so ganz zart genau die richtigen Saiten menschlicher Beschränktheit touchiert.

Ganz sicher sind dies die Höhepunkte in dem Programm, in dem es noch andere schöne Momente gibt. Die athletischen Reifenspringer in ihrer überragenden Geschmeidigkeit hatten Charme, ebenso die chinesischen Akrobaten mit dem „Pas de Trois“. Da hält sich eine elfengleiche Tänzerin mit der Fußspitze auf dem augenquellenden Kopf des männlichen Partners, bevor sie auch noch eine Kollegin auf dessen Schultern holt, um kunstvolle Figuren zu formen.

Direkte Weihnachtsbezüge gibt es selten, sieht man einmal ab von den roten Sternen, die auf zwei hohen Tannen thronen, dem leise auf melancholisch musizierende Clowns herabrieselnden Schnee und einer eher konventionell kitschigen Kutsche, mit der am Anfang Weihnachtsmann und Christkind durch die Manege fahren. Um die sonstigen Bezüge zu entdecken, muss man durchaus eigene poetische Talente einbringen.

Bei Roncalli schwebt der Zuschauer nach wie vor immer in Gefahr, mitmachen zu müssen. So ähnlich wie im richtigen Leben zu Weihnachten, wo man ständig damit rechnen muss, irgendwo zum Singen aufgefordert zu werden. Vielleicht auch, um solche Gebräuche zu ironisieren, übt gleich am Anfang einer der Clowns mit dem Publikum einen Tralala- Kanon ein. Nach dem Konfettiregen und den über die Ränge hüpfenden Luftballons gab es eine Premierenfeier unter anderem mit Walter Momper und Frau Anne, bei der Roncalli-Gründer Bernhard Paul einen Wunsch fürs Tempodrom formulierte: „Wir wollen diesem Bau neue Zirkuswärme einhauchen.“

Bis zum 3. Januar. Karten zum Preis zwischen 12 und 39,50 Euro kann man über das Telefon 01805-170517 bestellen

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