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Risikofaktor Atomkraftwerk.

© dpa

Polen plant neues Atomkraftwerk: Region um Berlin wäre Gefahrenzone

400 Kilometer von Brandenburg entfernt plant Polen ein Atomkraftwerk. Laut Studien im Auftrag von Greenpeace könnten bei einem Reaktorunfall auch weite Teile Deutschlands hochgradig verseucht und dauerhaft unbewohnbar werden - darunter die Hauptstadt und Brandenburg.

Genau drei Jahre ist es her, dass in Fukushima das passierte, was statistisch gesehen eigentlich nicht hätte passieren dürfen: Nach einem Erdbeben kam es am 11. März 2011 im dortigen Atomkraftwerk zu Kernschmelzen in gleich drei Reaktoren, große Mengen an radioaktivem Material kontaminierten Luft, Boden, Wasser und Nahrungsmittel. Bis zu 150.000 Menschen mussten die Region verlassen, viele von ihnen wohl für immer.

Ob ein solches Szenario auch in Brandenburg und Berlin eintreten könnte, hat nun die Umweltorganisation Greenpeace untersuchen lassen. Hintergrund: Polen erwägt den Bau eines Atomkraftwerkes in der Nähe von Danzig, rund 400 Kilometer von der Grenze zu Brandenburg entfernt. Die Ergebnisse der beiden Studien, die dieser Zeitung vorliegen, sind beängstigend: Weite Teile Deutschlands könnten bei einer Reaktorkatastrophe hochgradig verseucht und dauerhaft unbewohnbar werden.

Errechnet wurde dies von Wissenschaftlern des Instituts für Meteorologie und Geophysik der Universität Wien. Sie haben 86 verschiedene Wettersituationen simuliert, und zwar anhand von Daten aus dem Jahr 1995. Damals gab es keine besonderen Wetterextreme, weshalb das Jahr ideale Durchschnittswerte für die meteorologische Forschung liefert.

Radioaktive Verseuchung, unbewohnbares Deutschland

Manche dieser Simulationen zeigen dunkelrote „Wolken“ über Deutschland, die extreme radioaktive Verseuchung bedeuten. In einem Fall wären Teile Brandenburgs, ganz Berlin sowie das südliche Mecklenburg-Vorpommern und Teile Sachsen-Anhalts komplett kontaminiert und somit unbewohnbar. Auch im restlichen Deutschland wäre die radioaktive Belastung noch sehr hoch, etwas schwächer betroffen wären Österreich und der Westen Frankreichs. Eine weitere Simulation beschreibt eine Art Wirbel über ganz Deutschland: Bei diesem Szenario würde quasi die ganze Bundesrepublik von Nord bis Süd unbewohnbar gemacht.

Horrorszenario. Bei bestimmten Windverhältnissen würde die radioaktive Wolke nach einem Unfall direkt nach Brandenburg ziehen.
Horrorszenario. Bei bestimmten Windverhältnissen würde die radioaktive Wolke nach einem Unfall direkt nach Brandenburg ziehen.

© Institut für Meteorologie und Geophysik/Uni Wien

Wie wahrscheinlich ein solches Wetter ist, ist schwer zu sagen, erklärte Greenpeace-Sprecherin Susanne Neubronner. Üblicherweise herrsche in der Region um Danzig Südwind, dann wäre Skandinavien am schlimmsten betroffen. Doch oft bildeten sich Verwirbelungen, die die radioaktiven Substanzen dann wieder in Richtung europäisches Festland brächten. Und Neubronner erinnerte an Fukushima: Dort habe der Wind am Tag der Katastrophe in eine sehr untypische Richtung geblasen, was Japan vor einer noch viel größeren Katastrophe bewahrt habe. Denn das meiste radioaktive Material landete im Pazifik – und nicht dort, wo Menschen leben.

Wahrscheinlichkeit für Reaktorunfälle ist gering

Das zweite von Greenpeace in Auftrag gegebene Gutachten stammt vom Institut für Sicherheits- und Risikowissenschaften der Universität für Bodenkultur Wien. Das kommt zu dem Schluss, dass bei allen drei Reaktoren, die für Polen im Gespräch sind, Unfälle theoretisch möglich sind. So sei die Wahrscheinlichkeit für einen solchen Unfall zwar sehr gering, doch wenn es tatsächlich passieren sollte, würden bei allen Reaktoren erhebliche Mengen radioaktiver Substanzen freigesetzt – obwohl sie dem neuesten Stand der Technik entsprechen sollen.Ohnehin habe Fukushima die Grenzen dieser Wahrscheinlichkeitsrechnungen gezeigt, sagte Greenpeace-Sprecherin Neubronner: Laut Statistik soll es nur alle 100.000 Jahre einen Super-Gau geben.

Nach Tschernobyl sei Fukushima schon der zweite solche Unfall innerhalb von 25 Jahren gewesen. Auch dass in drei Reaktoren gleichzeitig eine Kernschmelze stattfinde, habe als sehr unwahrscheinlich gegolten – und doch trat es ein. „Spätestens seit Fukushima muss jedem klar sein: Es gibt keine sichere Atomenergie“, sagte Neubronner. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) müsse sich deshalb für einen Ausstieg aller europäischer Staaten einsetzen. Wobei der Neubau in Polen zwar relativ nahe an Deutschland, aber gewiss kein Tabu wäre: Europaweit existieren rund 100 Atomkraftwerke.

Katharina Wiechers, Potsdam

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