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Schaufenster zur Politik. Martin Delius, Mitglied der Piratenfraktion im Abgeordnetenhaus, hat ein Bürgerbüro zusammen mit seinem Kollegen Simon Weiß in der Uhlandstraße.

© Kai-Uwe Heinrich

Politiker öffnen neue Kiezbüros: Berlins Parlament übt die Bürgernähe

Seit Anfang des Jahren erhalten die Berliner Abgeordneten mehr Geld - unter anderem, um Bürgerbüros zu eröffnen. Manche Politiker sind mit Elan bei der Sache, andere hingegen bleiben skeptisch. Eine Bilanz.

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Vor dem Laden hängen rote Luftballons. Davor drei Stehtische und ein paar Klappstühle. Hier, in der Tauroggener Straße im nördlichen Charlottenburg, hat der SPD-Abgeordnete Fréderic Verrycken kürzlich sein Kiezbüro eröffnet, mit Sekt, Saft und Selters. Auf dem Gehsteig drängeln sich etwa 50 Gäste, hauptsächlich Genossen. Prominenz ist gekommen, der Stadtentwicklungssenator Michael Müller, seine Amtskollegin Dilek Kolat, der SPD-Fraktionschef Raed Saleh und Bezirksbürgermeister Reinhard Naumann. Ein lauer Frühlingsabend, und Verrycken ist zufrieden. Schon seit Anfang März ist sein Büro für die Bürger geöffnet, die kleine Feier hat er verschoben, bis das Wetter besser ist. „Das ist ein guter Ort, mitten im Mierendorff-Kiez, hier gibt es viel Laufkundschaft, eine Gegend quasi in Insellage, mit fast dörflichem Charakter“ sagt Verrycken, der im Parlament den Hauptausschuss leitet. Wie viele andere Landespolitiker hat er die Parlamentsreform genutzt, um seinen Arbeitsplatz aus dem Abgeordnetenhaus in seinen Wahlkreis zu legen.

Mitten im Kiez. Das Büro des SPD-Politikers Fréderic Verrycken liegt im nördlichen Charlottenburg.
Mitten im Kiez. Das Büro des SPD-Politikers Fréderic Verrycken liegt im nördlichen Charlottenburg.

© Kai-Uwe Heinrich

Anfangs war es schwierig, normale Bürger kamen nicht vorbei. „Ich habe schon gedacht, das bringt doch nichts, diese neuen Kiezbüros, aber dann ist der Damm gebrochen“, berichtet der junge SPD-Mann. Jetzt sei einmal pro Woche „die Hütte voll“. Es habe sich offenbar herumgesprochen, dass hier der örtliche Abgeordnete ein offenes Ohr für die Bürger habe. Jeden Montag am frühen Abend ist Verrycken eine Stunde präsent, das sei viel besser als früher die üblichen Bürgersprechstunden in der Kneipe. „Das hat nicht funktioniert.“

30 SPD-Abgeordnete haben sich bisher Bürgerbüros eingerichtet. Die anderen werden bis zum Jahresende folgen. Manche teilen sich einen Kiezladen. „Ich bin sehr froh, dass wir im Rahmen der Parlamentsreform diesen Weg gegangen sind“, sagt der SPD-Fraktionsgeschäftsführer Torsten Schneider. Er selbst hat den Mietvertrag für sein Büro gerade unterschrieben. Alle Mietverträge sind auf die Wahlperiode befristet, und die Arbeit in den Büros muss klar abgegrenzt sein zur Parteiarbeit. „In einem Jahr“, sagt Schneider, „werden wir die Erfahrungen mit den Bürgerbüros erstmals auswerten“. Es sei ein lohnenswerter Versuch des Landesparlaments, den Bürgern ein Stück näher zu kommen.

Parlamentsreform bringt mehr Bürgernähe - und mehr Geld

Und dies ist auch der Sinn: Die Ende 2013 in Kraft getretene Parlamentsreform soll unter anderem mehr Bürgernähe bringen und der Büroknappheit im Abgeordnetenhaus gegensteuern. Dort arbeiten 150 Verwaltungsangestellte plus Präsidium und 149 Abgeordnete. Hinzu kommen 170 Mitarbeiter der Abgeordneten. Insgesamt gibt es hier 366 Räume, 62 Büros hat die SPD, 53 die CDU, die Grünen haben 40, die Linke30, die Piraten 21 Räume. Mit der Reform erhöhte sich die die Kostenpauschale für die Abgeordneten von 1100 auf 2500 Euro monatlich für die Anmietung eines externen Büros. Wer kein Büro außerhalb hat, bekommt 1500 Euro.

Das neue CDU-Büro wurde von Extremisten attackiert

Kaum geöffnet, attackiert. Das neue Bürgerbüro des CDU-Abgeordneten Kurt Wansner wurde im März 2014 beschädigt.
Kaum geöffnet, attackiert. Das neue Bürgerbüro des CDU-Abgeordneten Kurt Wansner wurde im März 2014 beschädigt.

© Alice Epp

Eine Liste über die Bürgerbüros ihrer 38 Abgeordneten führt die CDU nicht. Die Union hat die Parlamentsreform aber ebenso wie die Piraten und die SPD unterstützt. Neun Abgeordnete haben bisher Bürgerbüros eröffnet. So hat der Umweltpolitiker Danny Freymark ein Büro in der Warnitzer Straße in Neu-Hohenschönhausen eröffnet. Der Integrations- und Netzpolitiker Burkard Dregger ist in seinem Bürgerbüro in der Emmentaler Straße in Reinickendorf zu erreichen.

Kurz nach Eröffnung im März wurde das Bürgerbüro von CDU-Politiker Kurt Wansner zum Ziel von Linksextremisten. Unbekannte rissen das Aluminiumschild von der Fassade des Hauses an der Gubener Straße in Friedrichshain. Zwei Bürgerbüros kommenden Mitte Mai hinzu: Fraktionschef Florian Graf wird Räume am Mariendorfer Damm mit dem Abgeordneten Roman Simon teilen. Die Abgeordneten Christian Goiny, Cornelia Seibeld und Oliver Friederici werden ein Büro am Hindenburgdamm beziehen.

Die Grünen sind am Einrichten

Bei den Grünen haben schon 17 der 29 Abgeordneten ihre Büros bezogen oder sind gerade in der Schlussphase des Einrichtens. Der parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Benedikt Lux, teilt sich seine Räume mit dem Abgeordneten Oliver Schruoffeneger. Noch ist in dem Büro an der Steglitzer Schildhornstraße nicht alles fertig; früher war dort eine Geschäftsstelle der Grünen. Die Hauptzeit wird Lux aber dennoch im Abgeordnetenhaus verbringen; als parlamentarischer Geschäftsführer muss er dort oft präsent sein. Aber einmal die Woche will er in dem Steglitzer Büro arbeiten, das sonst eher von den Mitarbeitern der beiden Abgeordneten genutzt wird.

Auch die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Anja Kofbinger eröffnete kürzlich mit der Abgeordneten Susanna Kahlefeld in der Neuköllner Wipperstraße ihr Büro, die Fraktionsvorsitzende Antje Kapek und der Kreuzberger Abgeordnete Dirk Behrendt teilen sich ebenfalls neue Räume. „Grüne Box“ haben die Abgeordneten Clara Herrmann und Marianne Burkert-Eulitz ihre Räume in der Boxhagener Straße in Friedrichshain genannt. Die Grünen waren zunächst nicht überzeugt von der Idee der Bürgerbüros. „Ich bin nach wie vor skeptisch“, sagt Herrmann. Bürgernähe sei nicht davon abhängig, ob man im Wahlkreis ein Büro habe.

Piraten entern das bürgerliche Wilmersdorf

Im bürgerlichen Wilmersdorf haben im März die Piraten Simon Weiß und Martin Delius ihr „Büro der guten Laune“ in der Uhlandstraße eröffnet. Sie wechseln sich bei den Bürgersprechstunden am Montagabend ab. Am vergangenen Montag freute sich Medienpolitiker Weiß, dass immerhin ein Interessierter in das Büro kamen. Ein Bürger wollte wissen, ob die Piraten die neuen Montagsdemos unterstützen würden. „Dass wir uns davon distanzieren, habe ich ihm erklärt“, sagt Medienpolitiker Weiß, an einem Ikea-Tisch sitzend. Mehrere Veranstaltungen organisierten die Politiker bereits in dem Büro. Der BER-Untersuchungsausschussvorsitzende Delius hofft, von dem Durchgangsverkehr in der Uhlandstraße profitieren zu können. Von den 15 Mitgliedern der Piraten-Fraktion haben bislang nur vier noch kein Büro. Bislang habe er als Geschäftsführer kaum Zeit für die Suche nach Räumen gehabt, sagt der parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Heiko Herberg. Und weil er ein Büro in Moabit sucht – der Kiez soll sein nächster Wahlkreis sein – dauert es wohl noch eine Weile. Denn Moabit wird immer begehrter.

Von 19 Links-Parlamentarieren haben vier ein Bürgerbüro

Bei den Linken haben von 19 Abgeordneten vier inzwischen ein Büro bezogen. Die anderen hoffen, noch im Sommer eines zu finden. Auch bei der Linken rückt man dahingehend zusammen: Nicht jeder Abgeordnete bekommt ein eigenes Büro. Ex-Senatorin Carola Bluhm wird mit Landesparteichef Klaus Lederer und dem früheren Fraktionsgeschäftsführer Uwe Doering zusammenziehen, Sozialexpertin Elke Breitenbach mit Fraktionschef Udo Wolf und der jugendpolitischen Sprecherin Katrin Möller. Auch Evrim Sommer (Frauen-Sprecherin) und Wolfgang Albers (Gesundheitsexperte) beziehen ein Büro, genauso wie Manuela Schmidt (Haushaltspolitik) und Regina Kittler (Bildung).

Mitten im Kiez. Das Büro des SPD-Politikers Fréderic Verrycken liegt im nördlichen Charlottenburg.
Mitten im Kiez. Das Büro des SPD-Politikers Fréderic Verrycken liegt im nördlichen Charlottenburg.

© Kai-Uwe Heinrich

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