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Politiker vor Ort: Hartz-IV-Empfänger schwer zu vermitteln

Politiker-Praktikum in den Hartz-IV-Agenturen: Wo hakt es, fragten gestern 26 SPD-Abgeordnete. Der Zeitpunkt ist gut gewählt: Eine Studie belegt, dass fast die Hälfte aller Hartz-IV-Empfänger seit 2005 keine Arbeit gefunden hat.

Ein Neubau in der Bundesallee, zweiter Stock, in einem kleinen Büro: Ein Mitarbeiter blickt auf die elektronische Akte auf seinem Bildschirm und seufzt. Er dreht sich zum „Kunden“, wie die Empfänger von Sozialleistungen in der Behörde neuerdings heißen: „Warum haben Sie die Maßnahme denn abgebrochen?“ Der Mann mit den strubbeligen, grauen Haaren beugt sich vor: „Na die MAE war anders, als Sie mir vorher gesagt hatten“, sagt er. MAE gehört ebenfalls zum neuen Stütze-Vokabular und steht für Mehraufwandsentschädigung, im Volksmund auch Ein-Euro-Job genannt. Der Kunde habe einen Hausmeisterposten in einem Kindergarten erwartet. Seine Stimme überschlägt sich fast: „Stattdessen sollte ich dort basteln.“

Der Mann leidet an Gelbsucht und anderen Spätfolgen seines jahrelangen Drogenkonsums. Mit seinem Vorstrafenregister und Methadon-Programm gehört der Kunde zu den hoffnungslosen Fällen im Jobcenter Wilmersdorf-Charlottenburg. Vielleicht ist es ihm deswegen egal, dass diesmal eine Politikerin seiner Besprechung beiwohnt. Ülker Radziwill von der SPD besucht gemeinsam mit ihrem Parteikollegen Christian Gaebler das Wilmersdorfer Jobcenter. Insgesamt 26 SPD–Politiker sehen sich am Dienstag in den Einrichtungen um. Sie wollen einen persönlichen Eindruck von den Problemen bei der Vermittlung von Hartz-IV-Kunden in den Arbeitsmarkt gewinnen.

Der Zeitpunkt für das Politiker-„Praktikum“ in den Hartz-Agenturen passt gut. Am Montag belegte eine Studie: Fast die Hälfte aller Arbeitslosengeld-II-Empfänger in Deutschland hat es seit 2005 nicht in den Arbeitsmarkt geschafft. Bei ihrem Besuch erhielten die Berliner Sozialdemokraten nun die Möglichkeit, Mitarbeiter der Behörden direkt zu fragen, wo die Probleme mit den Langzeitarbeitslosen liegen. So auch Radziwill nach dem beobachteten Fall. „Wie fahren Sie denn nun fort?“, fragt sie den Mann hinter dem Schreibtisch. Der Mitarbeiter seufzt. Im Mai gäbe es eine neue Maßnahme, aber die sei „eigentlich für stabilisierte Leute“, die also schon weiter sind als der Kunde von eben. Er scheint selber ratlos zu sein. „Die ganzen Langzeitkarrieren aus dem alten Sozialamt sind nun eben bei uns“.

Beim Gespräch mit Fachbereichsleitern werden andere Probleme deutlich, wie etwa der Personalschlüssel: Vorgesehen sind 150 Antragsteller auf einen Vermittler. In der Realität der Jobcenter sind es jedoch 200 bis 400 „Kunden“, die ein Mitarbeiter in der Regel betreuen muss. Dementsprechend groß seien auch die Rückstände in der Bearbeitung der Anträge und des Datenabgleichs mit anderen Behörden. Wie aus der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der CDU-Fraktion von Januar hervorgeht, handelt es sich um rund 150 000 Briefe, die auf den Schreibtischen der Jobcenter unbearbeitet Staub ansetzen. Hinzu kommt die hohe Anzahl der Bescheide, die von den Gerichten als fehlerhaft kassiert werden. „Die Fluktuation unter den Mitarbeitern ist hoch“, erklärt Geschäftsführer Johannes Langguth. Außerdem sei es nicht leicht, bei jährlich über 100 000 Bescheiden keine Fehler zu machen. Die 39 neuesten Änderungen in der Hartz-IV-Gesetzgebung wären da auch nicht gerade hilfreich. Ferda Ataman

Ferda Ataman

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