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Berliner Schulen: Verdacht mit Widersprüchen

In der Schule, in der ein Neunjähriger Pädagogen geschlagen haben soll, ermittelt die Polizei bereits seit einem Jahr – gegen eine Lehrerin. Der Schuldirektor bemüht sich, Widersprüche aufzuklären.

Von Sandra Dassler

So hat sich Manfred Kammerer die letzten Wochen seines Arbeitslebens nicht vorgestellt. Der Leiter der Charlottenburger Ludwig-Cauer-Grundschule sieht sich kurz vor seiner Pensionierung im Januar mit massiven Vorwürfen konfrontiert. „Ich überlege, gerichtlich gegen den Rufmord vorzugehen“, sagte er gestern dem Tagesspiegel. Grund für seine Empörung sind Berichte, wonach es an der Schule öfter Vorfälle von Gewalt gegen Schüler gegeben hat. „Es gibt nur eine Anzeige gegen eine Lehrerin, die angeblich Kinder an den Haaren gezogen und geohrfeigt hat“, sagt Kammerer. Die Kollegin bestreite das, seit einem Jahr werde ermittelt.

Die Vorwürfe waren im Zusammenhang mit dem Fall eines neunjährigen Schülers laut geworden, der vor zwei Wochen, wie berichtet, drei Pädagogen geschlagen haben soll. Nach Aussagen des Schulleiters hatte der Junge den Unterricht gestört, den Mathelehrer geohrfeigt und einen Sozialarbeiter sowie die Sportlehrerin geschlagen. Die Mutter des Schülers schilderte dem Tagesspiegel eine andere Version: Danach habe sich ihr Sohn vom Lehrer ungerecht behandelt gefühlt und sich geweigert, das Klassenzimmer zu verlassen. Daraufhin sei er vom Lehrer und einem Erzieher mit Gewalt aus dem Raum gezerrt und dabei gewürgt worden. Ein Arzt habe bestätigt, dass der Junge Schürfungen und Hämatome davontrug.

Die Mutter, die deswegen Anzeige gegen die Pädagogen erstattet hat, bestreitet auch die Behauptung des Schulleiters, dass ihr Sohn seit der ersten Klasse verhaltensauffällig sei. „Es gab nie ein Problem – bis zu dem Tag, als er eine neue Lehrerin bekam. Eine Mitschülerin hatte ihm berichtet, dass die schon Kinder geschlagen habe. Mein Sohn hat das weitererzählt und wurde zum Direktor bestellt.“

Der bestätigt, dass er den Jungen aufgefordert habe, so etwas nicht zu erzählen. Es sei keine „befriedigende Situation“, dass die Kollegin, gegen die ermittelt werde, nicht an eine andere Schule versetzt wurde, sagt er: „Ich habe darum gebeten, aber es wurde abgelehnt.“ Manfred Kammerer bestätigt auch, dass es im Zusammenhang mit den Vorwürfen gegen die Lehrerin viele Gespräche mit Eltern und Elternvertretern gegeben hat: „Aber das hat alles nichts mit dem aktuellen Vorfall zu tun“, sagt er. „Daran war diese Kollegin gar nicht beteiligt.“ Die Mutter des Neunjährigen vermutet hingegen, dass ihr Sohn seit jenem Gespräch beim Direktor als „böser Junge“ abgestempelt wurde.

Ungewöhnlich sei so etwas nicht, sagt Berlins Elternsprecher André Schindler: „Den aktuellen Fall kann ich nicht einschätzen, aber dieses Jahr sind dem Landeselternausschuss mehr Fälle von physischer und psychischer Gewalt von Lehrern gegen Schüler bekannt geworden als je zuvor. Und die Dunkelziffer ist weitaus höher“. Schindler beklagt, dass es keine unabhängige Stelle gibt, an die sich Schüler oder Eltern in solchen Fällen wenden können: „Ich habe daher von Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) eine Art Ombudsman für die Untersuchung solcher Vorfälle gefordert.“ Zöllners Sprecher Kenneth Frisse sagt, man prüfe, „ob, und wenn ja, wie der Vorschlag eines Ombudsmanns im Einzelfall zur raschen Lösung von Konflikten beitragen kann.“

Eine rasche Lösung wäre für die Ludwig-Cauer-Schule nur zu begrüßen. Momentan scheint sie jedoch nicht in Sicht. Schulleiter Kammerer hat am Freitag seinerseits Anzeige gegen den Neunjährigen erstattet. Und der wurde von seiner Mutter inzwischen an einer anderen Schule angemeldet. Sandra Dassler

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