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Fall Michelle T.: Oft verprügelt - und am Ende erstochen

Das 34-Jährige Opfer hatte ihren brutalen Freund nie angezeigt. In solchen Fällen kann die Polizei wenig tun. Um präventiv agieren zu können müssten die Beamten Kenntnis von den Gewalttaten haben.

Berlin - Mit Messerstichen in Oberkörper und Gesicht wurde die 34-jährige Michelle T. am Samstag tot in ihrer Wohnung gefunden. Die Hintergründe der Tat sind noch unklar. Fest steht nur: Der mutmaßliche Täter und Lebensgefährte des Opfers ist polizeibekannt. Er soll Michelle T. mehrfach geschlagen haben. Doch die Frau erstattete nie Anzeige. Die Polizei hat in solchen Fällen kaum Möglichkeiten, präventiv einzuschreiten. Thomas Kleineidam, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, betonte, es sei wichtig, dass die Opfer sich rechtzeitig Hilfe suchten.

Weder der Polizei noch dem Gesetzgeber sei ein Vorwurf zu machen, sagte Kleineidam. Die verschärften Regelungen im Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz hätten sich bei häuslicher Gewalt bereits bewährt und seien ausreichend. Sie erlauben, Gewalttäter aus der Wohnung oder dem näheren Umfeld des Opfers zu verweisen. Um präventiv agieren zu können, müsse die Polizei aber eben auch Kenntnis von den Gewalttaten haben. Nun war Jeffrey C. bekannt für seine Aggressivität. Wie ein Sprecher der Polizei mitteilte, verzeichnet die Akte des 27-Jährigen „alles querbeet“. Von Drogendelikten über Diebstahl bis Körperverletzung habe er in seiner kriminellen Karriere bis zur fraglichen Nacht nichts ausgelassen, außer einem Tötungsdelikt. Auch kurz vor der Tat war Jeffrey C. nach einer Rangelei von der Polizei in Gewahrsam genommen worden. Die Beamten ließen ihn wieder gehen. Wenig später soll er Michelle T. dann im Streit erstochen haben. Laut Martin Steltner, Sprecher der Staatsanwaltschaft Berlin, lag zu diesem Zeitpunkt aber keine Anzeige gegen den Verdächtigen vor.

Noch immer sei häusliche Gewalt ein Tabuthema, heißt es aus der Berliner Interventionszentrale bei häuslicher Gewalt (BIG). Eine Beraterin sagte, es hänge von der Einschätzung und dem Willen der Frauen ab, den Rat der Zentrale zu beherzigen und sich in schlimmen Fällen ins Frauenhaus zu begeben oder vor dem Familiengericht ein Annäherungsverbot zu erwirken. „Leider verlieren die Frauen oft den Mut und geben den Männern noch eine Chance. Viele brauchen drei oder vier Vorfälle, bis sie beim fünften Mal wirklich die Konsequenzen ziehen“, sagte die Beraterin.

Beim Berliner Landeskriminalamt ist das ein altbekanntes Problem. Die Bereitschaft der Frauen, tatsächlich Anzeige zu erstatten, habe in den letzten Jahren aber deutlich zugenommen, sagte Martina Linke. Sie ist Sachgebietsleiterin der Zentralstelle für Prävention beim LKA. Habe es 2002 nur 7552 Anzeigen gegeben, sei die Zahl im Jahr 2009 mit 16285 Anzeigen mehr als doppelt so hoch. „Das ist ein Zeichen dafür, dass die Frauen Vertrauen in die Arbeit der Polizei fassen“, so Linke. Mit speziellen Fortbildungen würden die Beamten gerade im Umgang mit Delikten häuslicher Gewalt flächendeckend geschult.

„Die Opfer werden von der Polizei eingehend beraten“, bestätigte auch der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft Berlin, Bodo Pfalzgraf. Den Schritt zur Anzeige müssten die Frauen dann aber selbst tun. Mit einer Justizverfolgung von Amts wegen sei den Opfern oft nicht geholfen. Sidney Gennies

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