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Fall Sürücü: "Straftat Zwangsheirat? Das ist doch Trara!"

Hatuns Bruder Mutlu will sich einem neuen Prozess nun doch nicht freiwillig stellen. Die Behörden wollen den Haftbefehl international zur Fahndung ausschreiben. Im Interview mit dem Tagesspiegel verteidigt sein Anwalt Möller die Absage des Angeklagten.

Herr Möller, Sie sind der Verteidiger von Mutlu Sürücü. Sie kündigten damals an, Ihr Mandant werde freiwillig zu einer erneuten Verhandlung kommen. Und, wird er jetzt kommen?

Ich habe persönlich mit ihm gesprochen und kann sagen: Er kommt nicht zur Verhandlung. Ich habe folgende Grundüberzeugung: Mutlu Sürücü kann nicht verurteilt werden, wenn es mit rechten Dingen zugeht. Das bitte ich nicht falsch zu verstehen: Wir haben in Deutschland eine hervorragende Strafjustiz, verantwortungsbewusste Richter, fleißige Staatsanwälte und engagierte Rechtsanwälte. Nur: Was sollte der Mann gewinnen? Trotz des Freispruchs gilt er in der öffentlichen Meinung als verurteilt. Ich wüsste gar nicht, wie ich ihn unbeschadet in den Gerichtssaal bringen könnte. Man müsste für ihn sogar Personenschutz organisieren.

Das ist wohl etwas übertrieben. So weit wird es auch nicht kommen. Sollte er einreisen, würde er direkt in Untersuchungshaft kommen. Also entzieht er sich jetzt seiner Verantwortung vor Gericht.

Der BGH hat nicht gesagt, dass Mutlu Sürücü schuldig ist. Wenn man das Urteil richtig liest, sagt der BGH, man müsse das Verfahren noch einmal aufrollen und die Angaben des verurteilten Bruders Ayhan besser würdigen. Aber: Ayhan wird von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen. Das haben wir schriftlich. Das bedeutet: Man kann nichts würdigen, noch nicht mal das, was er vorher gesagt hat. Für mich als Verteidiger bedeutet das: Für die Leitlinie des BGH wäre gar keine Grundlage da. Was soll bei einem neuen Prozess anderes rauskommen?

Wenn Ihr Mandant unschuldig ist, könnte er ohne weiteres aussagen, oder?

Nein. Das ist nicht unsere Position. Es ist das gute Recht eines Beschuldigten zu schweigen. Und Mutlu Sürücü ist gut beraten, davon Gebrauch zu machen, weil sich aus Schweigen nun gar keine Rückschlüsse ziehen lassen. Was sollte der Mann denn zu seiner Verteidigung sagen können, außer dass er von nichts gewusst hat und so etwas nie getan hätte? Im Prozess kann jede Einlassung zu seinem Nachteil ausgelegt werden. Und das darf ich als Verteidiger nicht zulassen.

Glauben Sie, dass Mutlu Sürücü mitschuldig am Mord seiner Schwester ist?

Meine Rechtsposition ist nicht, darüber zu befinden, ob er schuldig oder nicht, sondern ob ihm die Schuld nachzuweisen ist.

Haben Sie Angst vor einer Vorverurteilung Ihres Mandanten?

Er ist in der Öffentlichkeit nicht nur vorverurteilt, sondern nachverurteilt. Trotz eines Freispruchs sagt jeder: Der ist trotzdem schuldig. Obwohl ein Sachverständiger im Prozess zu dem Schluss gekommen ist: Das ist die Tat eines Einzeltäters.

Liegt ein Haftbefehl für Mutlu Sürücü vor, der deutscher Staatsbürger ist?

Es wurde ein Haftbefehl beantragt. Das ist die zwangsläufige Folge bei einem solchen Tatvorwurf. Beim Schwurgericht gibt es keine Absprachen und keine Deals. Mutlu Sürücü hat neun Monate in U-Haft gesessen, hat hier Militärdienst geleistet und wurde dann eines schlimmen Verbrechens beschuldigt. Er versucht gerade, in einem Land, der Türkei, neu Fuß zu fassen, ein Land, in dem er nicht aufgewachsen ist. Auch wenn er möglicherweise das zweite Mal freigesprochen werden würde: Nach wie vor gilt er in der Öffentlichkeit als einer der Brüder, die ihre Schwester umgebracht haben.

Können Sie nachvollziehen, dass die Freisprüche gegen die Sürücü-Brüder eine bundesweite Debatte über härtere Strafen und juristische Grenzen ausgelöst hatten?

Es hat mich mehr entsetzt, dass der BGH im Revisionsverfahren eines seiner Fensterurteile gesprochen hat. Das sind Urteile, die weniger eine juristische Linie betreffen, sondern es ist zu befürchten, dass dieses Urteil der Öffentlichkeit geschuldet war. Der BGH hat auf öffentlichen Druck hin nach dem Motto gesprochen: So leicht lassen wir die nicht laufen.

Hatun Sürücü wurde zwangsverheiratet und ist irgendwann aus dieser Ehe ausgebrochen. Sie lebte nach westlichem Lebensstil und wurde deshalb ermordet. Im Strafgesetzbuch soll nun der eigene Straftatbestand Zwangsheirat eingeführt werden. Wie finden Sie das?

Es gibt einen Nötigungsparagrafen, der ausreicht. Nötigung kann mit Geldstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren verurteilt werden. Das ist doch Trara.

Das Gespräch führte Sabine Beikler.

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