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Gerichtsbericht: Getötetes Baby: Anklage fordert zehn Jahre Haft für die Mutter

Carmen B. hatte ihren Sohn erstickt und in einem Kleidercontainer abgelegt. Jetzt steht sie vor Gericht. Aus Sicht des Gutachters war sie voll schuldfähig.

Es gab für die Mutter viele Möglichkeiten zur Umkehr. Carmen B. hatte die Schwangerschaft nicht verdrängt. Sie wusste auch, was es heißt, ein Kind zur Adoption freizugeben. "Es war keine Kindstötung in einer Ausnahmesituation nach der Geburt", sagte der  Ankläger. Er plädierte gestern auf zehn Jahre Haft wegen Totschlags gegen die Mutter, die ihr Baby im Keller ihres Wohnhauses erstickt und in einem Wilmersdorfer Altkleidercontainer abgelegt hatte.

Carmen B., eine bleiche Frau mit trotzigem Blick, gibt Rätsel auf. Auf einen Psychiater, der mit der Inhaftierten ausführlich sprach, wirkte sie "selbstbewusst, zum Teil sehr barsch und gereizt". Drastisch hatte ein Polizist seinen Eindruck bei einer  Vernehmung beschrieben: "Sie war kalt wie Hundeschnauze." Sie hatte kurz nach ihrer Festnahme von einer Totgeburt gesprochen, die Tat dann aber gestanden. Am Vormittag 7. März hatte sie dem am Vortag geborenen Jungen Mund und Nase zugehalten. "Bis er  sich nicht mehr rührte", erklärte sie im Prozess. Das Kind sei "ungelegen" gekommen.

Die 42-jährige Frau hat insgesamt acht Kinder zur Welt gebracht. Sieben Jungen und Mädchen, heute elf bis 22 Jahre alt, wurden zur Adoption freigegeben oder kamen schon vor Jahren in Pflegefamilien. Was die Mutter im März tat, ähnelt auf beklemmende Weise  dem, was bereits vor elf Jahren in einem Mietshaus in Weißensee geschehen war. Carmen B. hatte auch ihr siebtes Kind kurz nach der Geburt in einen Karton gepackt und im Keller versteckt. Für das Mädchen aber wurde ein Nachbar die Rettung. Zwei Tage lag  Lisa bereits in dem Verschlag, als er sie halb verhungert entdeckte.

Für Carmen B. gab es damals Milde. Wegen versuchten Totschlags wurde sie im Januar 1999 zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Man wolle "den Kindern nicht die Mutter nehmen", begründete das Gericht. Die Persönlichkeit der Angeklagten rechtfertige  die Annahme, "dass sie künftig ein Leben ohne Straftaten führen wird", waren die damaligen Richter überzeugt. Alles ein Irrtum. Carmen B. kümmerte sich immer weniger um die drei Kinder, die Ende der 90-er Jahre noch bei ihr lebten. Hilfsangebote gab es  zur Genüge. Bewährungshelfer und Mitarbeiter des Jugendamtes liefen ihr hinterher. "Sie entzog sich", sagte nun der psychiatrische Gutachter.

Was hat die Frau so kalt werden lassen? Die Frage steht im Raum. Plausible Antworten gab es nicht. Sie ist in schwierigen, teils katastrophalen Verhältnissen aufgewachsen. Der Gutachter sprach von einem "feinseligen Familienmilieu". Sie wurde ein  trotziges und aggressives Kind. In einem Heim aber habe sich das Mädchen Carmen recht gut entwickelt. "Doch die aggressiven Aspekte blieben bestehen", sagte der Sachverständige. Auch in ihren Beziehungen. Als Opfer und von den jeweiligen Männern nicht  beachtet habe sie sich gefühlt. "Ich habe nur noch Wut auf ihn, den Vater des Kindes", erklärte sie auch im Prozess. Die Zeitungsausträgerin hatte seit 2005 mit dem Mann zusammengelebt.

Vor zehn Jahren kam ein Psychiater zu dem Schluss, dass Carmen B. bei der Tat vermindert schuldfähig war. Das ist nun anders. Nach dem jetzigen Gutachten ist sie im vollen Umfang verantwortlich. Dem schloss sich der Staatsanwalt an. Der Verteidiger  plädierte auf eine Strafe unter zehn Jahren. Carmen B. räusperte sich. Sie, die im Prozess oft verschlossen und gleichmütig wirkte, wollte den Richtern noch etwas mit in die Beratung geben. "Was passiert ist mit meinem Sohn und das vor zehn Jahren ist  unverzeihlich." Das Urteil wird am Freitag erwartet.

Kerstin Gehrke

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