zum Hauptinhalt
Ehrhart Körting ist seit 2001 Berliner Innensenator.

© Thilo Rückeis

Innensenator Körting: "Mehr Polizisten schützen nicht vor Terror"

Innensenator Ehrhart Körting spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über die Gefahr von Extremisten, den Umgang mit jungen Tätern und die Nachfolge des Polizeichefs.

Können Sie die Wut der Berliner wegen des S-Bahn-Chaos nachvollziehen?
Ich kann nachvollziehen, wenn die Berliner nicht verstehen, wieso eine Firma nicht in der Lage ist, einen Auftrag zu erfüllen, für den sie viele Millionen Euro erhält. Natürlich ärgern sich die Leute, aber sie wissen auch, dass es keine einfache Lösung gibt. Es nützt auch nichts, die S-Bahn aus dem Vertrag rauszuwerfen. Bis wir ein neues Unternehmen haben, das in der Lage wäre, neue Züge auf die Schiene zu setzen, vergehen etliche Jahre. Das haben auch die Krisengespräche bis hinauf zum Bundesverkehrsministerium in den letzten Tagen gezeigt.

In den ersten Tagen 2011 gab es nicht nur S-Bahn-Chaos, sondern auch linksextremistische Angriffe. Nehmen diese zu?

Wir hatten Angriffe auf ein Polizeirevier, auf mehrere Streifenwagen, auf die Feuerwehr und die Ausländerbehörde. Zum Teil durch Gruppen von 15 bis 20 Leuten. Das sieht nach konzertierter Aktion aus. Ich würde aber wegen dieser Vorfälle noch nicht von einer Zunahme sprechen. Aber es deckt sich mit einer Einschätzung unseres Verfassungsschutzes, dass die linksautonome Szene gelernt hat, wie sinnlos es ist, Autos anzuzünden. Die Szene konzentriert sich jetzt darauf, symbolhaft anzugreifen.

Kommt die größte Bedrohung vom Islamismus?

Nicht der Islamismus, sondern der Terrorismus ist die Bedrohung Nummer 1. Islamismus ist zwar eine fundamentalistische Auffassung von Religion, die mit unserem Demokratieverständnis nicht vereinbar ist. Die eigentliche Bedrohung geht aber von denjenigen aus, die Religion für terroristische Verbrechen missbrauchen. Außerdem haben wir in Berlin einen gewaltorientierten Linksextremismus, und wir haben in der Neonaziszene viele Gewaltbereite. Das sind die drei Schwerpunkte, auf die sich der Verfassungsschutz konzentriert. Es macht keinen Sinn, kommunistische Gruppen zu überwachen, die friedlich im Hinterzimmer Lenin oder Stalin lesen. Das ist eher ein Fall für die Bundeszentrale für politische Bildung.

Auch die Muslime sind vor Angriffen nicht sicher, wie mehrere Brandanschläge auf Moscheen gezeigt haben, zuletzt am Sonnabend in Wilmersdorf. Bedroht diese Serie den Frieden zwischen den Religionen?

Es ist jetzt leider der siebte Anschlag auf drei Moscheen und eine islamische Einrichtung in den vergangenen Monaten gewesen. Ich bin am Sonnabend sofort zu der Wilmersdorfer Moschee gefahren und habe den Muslimen versichert, dass wir alles tun werden, um den Vorfall aufzuklären und weitere Taten zu verhindern. Es deutet alles darauf hin, dass es sich eher um Einzeltaten oder sogar um Taten eines Einzelnen handelt. Es ist aber nicht zu befürchten, dass ein generelles Klima für solche Taten entsteht. Die Politik und die christlichen Kirchen haben in der Vergangenheit ihre Solidarität mit den Muslimen der Stadt bekundet, wie auch die Muslime durch den Besuch des koptischen Weihnachtsfestes deutlich gemacht haben, dass wir in dieser Stadt zusammenstehen. Ich glaube, dass sich Berlin durch solche Taten von Einzelnen nicht auseinanderdividieren lassen wird.

Was kann man denn gegen eine terroristische Bedrohung tun?

Eine der Legenden ist, dass wir terroristische Bedrohung durch mehr Polizei bekämpfen können. Die Vorstellung, dass ich mich vor Terroristen schützen kann, indem ich ganz viele Polizisten auf die Straße oder vor U-Bahn-Eingänge stelle, ist Unsinn. Einige symbolische Orte wie die amerikanische Botschaft oder der Reichstag können so geschützt werden. Generell gilt: Der beste Schutz vor Terrorismus ist, wenn ich rechtzeitig Informationen über mögliche Anschläge bekomme. Dazu brauche ich eine maximale Auswertung von Informationen der Nachrichtendienste, von verdeckten Ermittlern und anderen Quellen.

1000 oder 2000 Polizisten mehr in Berlin würden die Sicherheit nicht erhöhen?

Natürlich könnte man mit mehr Polizei mehr Präventionsarbeit leisten, den Verfolgungsdruck auf Kriminelle erhöhen und damit zur Sicherheit beitragen. Aber was den Schutz vor terroristischen Anschlägen betrifft, würden mehr Polizisten auf der Straße die Sicherheit um 0,0 Prozent erhöhen.

Helfen denn mehr Polizisten im Kampf gegen kriminelle Kinder oder Dealer, die sich jünger als 14 Jahre ausgeben?

Nein. Es geht hier nicht um die Polizei, sondern um eine zügige Altersfeststellung. Dann kann ich entscheiden, ob ich die Betreffenden strafrechtlich zur Verantwortung ziehe oder pädagogisch betreue. Bei den drei „Dealer-Kindern“, über die letzten Sommer diskutiert wurde, haben wir per Gutachten festgestellt, dass sie älter und strafmündig sind. Einer ist mindestens 21 Jahre alt. Wichtig ist, kriminelle Vorbilder so schnell wie möglich aus dem Verkehr zu ziehen. Dazu hat eine senatsübergreifende Arbeitsgruppe neue Regeln festgelegt.

Sie haben geschlossene Heime für kriminelle Kinder gefordert, Jugendsenator Jürgen Zöllner baut nun ein Heim mit einem „Time-out-Raum“ ohne Gitter. Was sagen Sie dazu?

Wenn wir es wirklich mit kriminellen Kindern zu tun haben, brauchen die eine pädagogische Betreuung. Dazu müssen diese Kinder auch anwesend sein und dürfen nicht durch die offene Drehtür weglaufen können. Da sind Zöllner und ich einig: Es muss eine abgeschlossene Einrichtung sein. Wie so eine verbindliche pädagogische Betreuung am besten umzusetzen ist, muss aber die zuständige Jugendverwaltung entscheiden. Wir sprechen bei abgeschlossenen Heimen ja auch nicht von Unterbringungsanstalten, wie vor 40 Jahren, sondern von pädagogisch geführten Einrichtungen

In diesem Jahr stehen wichtige Personalentscheidungen an. Wird ein Berliner Nachfolger des Polizeipräsidenten Dieter Glietsch?

Herr Glietsch geht Ende Mai in Ruhestand. Ob der Nachfolger aus Berlin kommt oder nicht, ist mir völlig egal. Er oder sie muss in der Lage sein, einen Apparat von über 16 000 Menschen zu führen. Berlin ist die wichtigste polizeiliche Einzelbehörde Deutschlands. Wir haben dazu eine öffentliche Ausschreibung gemacht und haben Bewerbungen vorliegen. Unabhängig von der Ausschreibung hat es parallel auch Gespräche mit potenziellen Kandidaten gegeben.

Das richtige Parteibuch sollten die Kandidaten schon haben, oder?

Darum geht es mir nicht. Der Polizeipräsident muss aber laut Beamtenstatusgesetz gegenüber jedem Senat loyal sein.

Grüne und CDU kritisieren, dass Sie noch vor der Abgeordnetenhauswahl einen Nachfolger für Glietsch auswählen wollen.

Die Argumentation von CDU und Grünen ist hanebüchen. Wenn ausgerechnet CDU und Grüne fordern, mit der Besetzung der Stelle bis nach der Wahl zu warten, zeigt das doch nur, dass es beiden Parteien darum geht, diese Stelle möglichst nach ihrer Couleur zu besetzen. Ich bin in dieser Beziehung erwachsener. Ich brauche einen Polizeipräsidenten, der zu jedem Innensenator loyal ist. Erfahrung aus dem Polizeiapparat ist dabei wünschenswert. Die wichtige Position des Polizeipräsidenten sollte sofort nach der Verabschiedung von Glietsch neu besetzt werden – und nicht für eine Übergangszeit zunächst nur kommissarisch.

Mit welcher Partei würden Sie denn innenpolitisch am liebsten nach der Wahl zusammenarbeiten?

Ich kann mir jede demokratisch gewählte Partei vorstellen. Es gibt mit den Grünen Schnittmengen, aber auch mit der FDP oder der CDU. Die Frage nach Koalitionen stellt sich gegenwärtig nicht.

Sie haben immer betont, Sie seien nicht amtsmüde. Bleiben Sie auch nach der Wahl Innensenator?

Darüber denke ich nicht öffentlich nach.

Die Fragen stellten Sabine Beikler und Jörn Hasselmann.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false